Japanreise 2009 Teil III (Tag 2 in Tokio)


Zu Teil I | Teil II | Teil III | Teil IV | Teil V | Teil VI | Teil VII | Teil VIII | Teil IX

26. Mai 2009: Tag 2 in Tokio


Beim Frühstück saßen wir, Karl wegen seiner Größe etwas unbequem, ich dagegen sehr bequem, an einem für unsere Gewohnheit niedrigen Tisch mit Sesseln und blickten über eine bewegte Wasserfläche, die bis ans Fenster reichte, in eine Parklandschaft. Bei klassischer Musik ließen wir uns Zeit für das Frühstücksbüffet. Danach hieß es, unseren Koffer für Kyoto zu packen, denn wir wollten am Abend direkt von der Universität aus für zwei Tage in die alte Kaiserstadt reisen. Das restliche Gepäck konnten wir in unserem Hotel zurück lassen.
Karl hatte einen Arbeitstag mit Vortrag an der Universität vor sich. Ich wollte ihn dorthin begleiten, um in der Umgebung der Universität Sehenswürdigkeiten anzusehen und ihn gegen Abend wieder dort abzuholen. Karl musste sich nun an den Weg zum Institut vom Vortag erinnern. Nachdem wir in der U-Bahn die richtige Tarifstufe erfragt hatten, lösten wir am Automaten die Fahrkarten. Die Fahrkartenautomaten waren zahlreich und erklärten sich von selbst, so dass wir keinen größeren Stau verursachten. Im Nachhinein erfuhr ich, dass es auch kein Problem gewesen wäre, wenn wir zu wenig bezahlt hätten. Beim Verlassen der U-Bahn steckt man sein Ticket an der Sperre wieder in einen Automaten. Wenn alles in Ordnung ist, öffnet sich die Schranke, wenn nicht, kann man am Schalter einfach nachzahlen. Bis zum Umsteigen an der nächsten Station funktionierte Karls Erinnerung, unterstützt durch die Hinweisschilder, die zum Glück auch mit lateinischen Buchstaben beschriftet waren, einwandfrei. Doch jetzt standen wir an der Umsteigestation und beratschlagten mit Hilfe unserer U-Bahnübersicht, wie es weitergehen sollte. Plötzlich bot uns eine ältere Frau ihre Hilfe an und entschied dann blitzschnell für uns, was wir zu tun hatten. Damit wir auch wirklich keinen Fehler machten, nahm sie einen Umweg in Kauf und brachte uns über einige Rolltreppen zum richtigen Bahnsteig. Sie wich erst von unserer Seite, als sie sah, dass wir nicht mehr fehlgehen konnten. Mit einem dankbaren arigatou gozaimasu verabschiedeten wir uns. Nun, da wir bis zu unserer Zielstation sitzen bleiben durften, konnte ich mich in Ruhe umsehen und meine Beobachtungen machen. Zeit dazu hatte ich genug, da wir eine knappe Stunde unterwegs waren.

Ungewohnt war für mich die Sauberkeit der Züge. Da keiner der Fahrgäste am Essen oder Trinken war, gab es auch keine versifften Sitze, keinen Schmutz am Boden, keine klebrigen Stellen, die von verschütteten Getränken, Ketchup, Eis oder Kaugummis stammten. Als Kind lernte ich noch, dass man auf der Straße nicht isst, als einzige Ausnahme galt Eisschlecken. In Japan gilt diese Regel immer noch, sogar ohne Ausnahme. Wer sich ein offenes Eis kauft, bleibt damit da, wo er es gekauft hat. Zum Essen stehen im Verkaufsraum Bänke bereit. Aber zurück zur U-Bahn. Am meisten fielen mir die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf, die von ihrer Umwelt wohl nicht sehr viel mitbekamen: Gerüche wurden durch den Atemschutz ausgefiltert, in den Ohren steckten Kopfhörer und die Augen waren auf die Handys gerichtet, mit denen sie spielten oder SMS verschickten. Viele Leute lasen auch in Büchern oder ruhten sich aus.

Die meisten Männer trugen Anzüge mit Krawatte, die in Japan übliche Arbeitskleidung. Schülerinnen und Schüler fielen durch ihre blau-weiße Schuluniform auf. Die Damenwelt war modischer und eleganter als in Freiburg gekleidet. Gammellook gab es bei Jugendlichen nicht, eher Styling wie bei Bill von Tokio Hotel oder bei Mädchen enge Leggins mit kurzen Kleidchen darüber. Ab und zu traf man auf Frauen, die zu gemeinsamen Unternehmungen einen Kimono trugen und sich auch dementsprechend mit kleinen Schritten bewegten.
Obwohl ich in den Zeitungen Berichte über Sumo-Athleten (Durchschnittsgewicht rund 150 kg) sah, scheinen diese keinen Vorbildcharakter zu haben. Fast alle Japanerinnen und Japaner waren schlank.

Wir erreichten unseren Zielbahnhof und gingen zur Tokyo University, wobei wir öfters in Gefahr gerieten mit Radfahrern zusammenzustoßen. Radfahrer benützen prinzipiell den Gehweg, Klingeln scheint nicht üblich zu sein, Unfälle haben wir dennoch keine beobachtet, da die Radfahrer langsam fahren und die Fußgänger an den Radverkehr gewöhnt sind und aufpassen.

Aus Sorge, ich könnte in der 12 Millionen Stadt verloren gehen, hatte Karls Kollege seine Frau gebeten, mich durch Tokio zu begleiten und den Tag mit mir zu verbringen. So konnte ich ganz andere Einblicke gewinnen, als wenn ich allein unterwegs gewesen wäre.

Die U-Bahn brachte uns nach Asakusa, dem traditionsreichsten Viertel Tokios. Nach dem Besuch des Nationalmuseums wandten wir uns dem aktuellen Leben zu und schlenderten durch den Park, vorbei an einem Reiterdenkmal, das verblüffende Ähnlichkeit mit unseren Kaiserdenkmälern aufwies in Richtung des Senso-ji-Tempels, dem ältesten und bedeutendsten Tempel von Tokio. Im Park herrschte reges Leben. Bei schönsten Wetters gingen viele Japanerinnen mit aufgespannten Regen- oder besser Sonnenschirmen spazieren. Spaß gemacht haben mir zwei Katzen, die von ihrem Herrchen im Park beaufsichtigt wurden und auf Taubenjagd gingen. Immer, wenn sie einer Taube gefährlich nahe kamen, wurden sie zurückgeholt. Die Tauben kannten das Spiel wohl, denn sie kamen den Katzen provozierend nahe und hatten absolut keine Angst.

Wir betraten den Tempelbezirk durch das große Kaminarimon, das Donnertor. Den Durchgang beherrscht eine riesige, vier Meter hohe rot-blaue Papierlaterne, rechts und links vom Durchgang stehen die Statuen des Windgottes Fükjin und des Donner- und Blitzgottes Raijin. Der Weg (Nakamise-dori) zum Tempel ist eigentlich eine Einkaufstraße mit rund 90 kleinen Geschäften, in denen Spezialitäten, Süßigkeiten, Tee, Fächer, Kalligraphien, Schreibwaren, Taschen, Spielzeug und Kimonos mit Zubehör verkauft werden. Viele Schüler, leicht an ihrer Schuluniform zu erkennen, waren unterwegs, die ihr Taschengeld ausgaben. Auch ich hätte beim Einkaufen die Zeit vergessen können. Schon vor dem Tempel werden Lose, Räucherstäbchen und kleine beschriftete Holzplättchen verkauft. Im Hof des Tempels steht ein gewaltiger Kupferkessel, in dem Räucherstäbchen qualmen und ihren Duft verbreiten. Auch wir haben uns den Rauch zugefächelt, der Schmerzen vorbeugen oder bereits vorhandene lindern soll.

Im Tempel, der nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1985 originalgetreu wieder aufgebaut wurde, gab es die Möglichkeit die Zukunft zu erfahren. Gegen eine kleine Spende durfte ich eine Holzdose drehen und dann durch eine kleine Öffnung den mir zukommenden Stab entnehmen. Entsprechend dem darauf vermerkten Schriftzeichen suchte ich mir aus einer Wand mit Schubladen die passende aus und fand ein Blatt mit meinen Prophezeiungen darin. Und tatsächlich wusste das Orakel, dass ich an diesem Tag etwas verloren hatte und sagte mir voraus, ich würde das Verlorene wieder erhalten, allerdings erst spät. Leider hat sich das Wiederbekommen noch nicht erfüllt. Das „spät“ bedeutete wohl „zu spät“, denn ich habe meinen verlorenen Railpass während unserer Reise nicht wiedererhalten. Orakelsprüche, die positiv sind, nimmt man mit nach Hause, andere, die nicht den eigenen Wünschen entsprechen, werden zusammengefaltet und an spezielle Ständer geknotet mit der Bitte an die Gottheit, sich um das Problem zu kümmern und Schaden abzuwenden. Da hatte ich wohl einen Fehler gemacht.

Da wir inzwischen hungrig waren, verließen wir den Tempelbezirk und meine Begleiterin führte mich zu einem kleinen Holzhaus, das zwischen zwei hohen Neubauten eingequetscht war. Wir betraten ein kleines japanisches Restaurant, in dem kalte Nudeln in Spaghettiform serviert wurden, die vorzüglich schmeckten, aber schon einige Übung mit den Stäbchen voraussetzen. Ich mühte mich redlich ab und schaffte es irgendwann auch die letzte Nudel, nachdem ich sie einige Male durch den Teller geschoben hatte, zu erhaschen. Für mich ist seitdem die Bedeutung der o-hashis klar: „oh, hasch sie“. Dieses Mal stand mir meine gute Erziehung im Weg, mich richtig gut zu benehmen. Zum Essen der Nudelsuppe gehört das Schlürfen. Jeder im Gasthaus schlürfte genussvoll, nur mir kam kaum ein anständiger Schlürf über die Lippen – trotz dezentem Hinweis, dass sich das so gehört.

Beeindruckt von Tempeln, Schreinen und einfach allem fand ich dank meiner sympathischen Fremdenführerin gegen Abend wieder zum Institut und wartete dort bis Karl seine Gespräche beendet hatte. Einer seiner Kollegen brachte uns dann zur Tokio Station, von wo wir den Schnellzug nach Kyoto nahmen. Spät abends nach rasender Fahrt und einem leckeren japanischen Sandwich-Imbiss mit Schinken-, Fisch- und Eierfüllung kamen wir im 480 km entfernten Kyoto an. Glücklicherweise war das Granvia Hotel in den Bahnhof integriert und wir mussten nicht erst lange suchen. Zur Selbstdarstellung des Hotels

Nachdem wir unser Zimmer im elften Stockwerk bezogen hatten, konnten wir auf die tief unten liegenden Bahngleise blicken. Die Gleise verlaufen übereinander auf verschiedenen Stockwerken, unter der Erde für die U-Bahnzüge, darüber die für die normalen Züge und in der nächsten Ebene für die S h i n k a n s e n-Schnellzüge. Eine geniale Idee, um Platz zu sparen. Von oben sah die Anlage aus wie eine Märklin-Modelleisenbahn, nur mit moderneren Zügen. Die Menschen, die auf den Bahnsteigen hin und her eilten, wirkten wie ferngesteuerte Dekorationsfiguren. Den Hintergrund bildete die beleuchtete Stadt.
Unsere Neugierde siegte über die Müdigkeit und so machten wir noch einen kleinen Spaziergang durch die Straßen am Bahnhof. Zwischen modernen Hochhäusern standen kleine, zweistöckige Holzhäuser, ab und zu auch unbebaute Grundstücke, die von hohen Bauzäunen umgeben waren. Es scheint, dass die Stadtplaner organisches Wachstum zulassen und nicht so rigide Regeln aufstellen wie bei uns. Einsetzender Regen brachte uns dazu, früher als geplant in unser Hotel zurückzukehren. Jetzt sahen wir, dass genügend Gästeregenschirme bereitstanden, die wir ohne Komplikationen hätten ausleihen können. Da es aber spät war, beschlossen wir, nicht noch einmal nach draußen zu gehen, sondern mit einem Schlummertrunk in der Skylounge den Tag mit Blick auf das beleuchtete Kyoto ausklingen zu lassen.

Zu Teil I | Teil II | Teil III | Teil IV | Teil V | Teil VI | Teil VII | Teil VIII | Teil IX


Anzeige

Kommentare (1)

marianne dass du dir die Mühe machtest, so ausführlich zu berichten!
Ich freue mich schon auf das Weitere..
herzlich, M

Anzeige