Lebenszeichen
Am 8./9.Mai 1945 schwiegen die Waffen. Der Krieg war aus. Die Russen waren in Eichwalde eingezogen. Wir haben den Krieg überstanden.

Die Kinder der Vermieterin zum Haus in der Schillerstraße 43 waren plötzlich Erzkommunisten. Sie bestanden darauf, daß wir ausziehen müßten – man muß wissen, daß die Eltern mit den Vermietern im Clinch lagen, weil diese früher in unserer Abwesenheit ohne Anmeldung das Anwesen betreten hatten. Später, 1944, bezogen sie in der Zeit, wo wir im Odenwald evakuiert waren, nach ihrer Ausbombung in Britz hier zwei Zimmer, und das war dann für uns ganz schön eng geworden. Aber auch, weil die Eltern in der NSDAP gewesen waren, waren wir „vogelfrei“ geworden.

Mutter bekam von der Gemeinde, wo sie durch ihre Arbeit beim Roten Kreuz noch immer bekannt war, verschiedene Wohnungen zugewiesen. Oft haben wir da angefangen zu schrubben, damit wir einziehen konnten, dann wurde uns die Wohnung wieder weggenommen.

Schließlich bekamen wir eine Wohnung in der Zeuthener Straße 63. Mit dem Maurer-Handwagen schleppten wir unsere Habseligkeiten durch Eichwalde. Dann kam der Befehl, alle Bücher, die nach 1933 gedruckt waren, zu vernichten. Eine große Menge wurde im Garten verbrannt. Die brannten sehr schlecht.

Wo ist unser Vater?
Er war doch in Dänemark auf eine Mine getreten, hat die Explosion als Einziger der von ihm geführten Gruppe überlebt, er wurde in einem Lazarett in Dänemark kuriert. Mehr wußten wir nicht.
Wir im russisch besetzten Teil Deutschlands,
er: Nachrichten darüber gab es nicht, wie es da in Dänemark den Wehrmachtsangehörigen ergeht, da waren doch die Engländer einmarschiert.

Die Eltern müssen wohl für den „Ernstfall“ verschiedene „Anlaufpunkte“ ausgemacht haben.

Mutter fuhr nach Stolberg im Harz zu Großmutter Müller. Da war eine Nachricht von Vater eingetroffen. Eine Tante hatte die Karte über die damals noch nicht so ernst genommene Zonengrenze gebracht. Ein wichtiges Dokument.

Als Mutter aus Stolberg zurückgekommen war, wurde dem Vater signalisiert, nicht nach Eichwalde zu kommen, was ohnehin der Engländer gar nicht zugelassen hatte.

Mutter setzte sich hin und nähte Rucksäcke. Diese und die Schultaschen und Koffer sollten bereitstehen für unsere Auswanderung. Für Vater wurde Wäsche eingepackt, denn er hatte doch sicherlich nur seine Militärkleidung.

Jedes Kind bekam sein Gepäck. So hatte eine der Schwestern das Bügeleisen in der Schultasche. Jedes Kind durfte sich etwas Persönliches mitnehmen. Dieter hatte seine Englische Grammatik und die Blockflöte eingepackt, es sollte in die Britische Zone gehen.

Wir zogen also los, erst mit der Vorortbahn von Eichwalde bis Grünau, stiegen dann in die allmählich wieder fahrende Ringbahn. Die lief abschnittsweise im Pendelverkehr, denn jedes zweite Gleis mußte abmontiert und nach Rußland gebracht werden. Immer wieder umsteigen bis wir in Westend ausstiegen und zu Fuß zur Sophie-Charlotte-Schule liefen. Nicht ganz einfach mit dem Gepäck und unserer kleinen Schwester Uschi (2 Jahre alt).

Vierzehn Tage lang kampierten wir in den U.N.N.R.A.-Lager, später brachte uns der Tommy auf seinen Militärlastwagen durch die Sowjetische Besatzungszone bis hinter Helmstedt. Mutter hatte vom Holländischen Lagerarzt noch vier Jugendliche mit auf den Weg gegeben bekommen.

Unser Vater hatte sich – sein letzter Akt als Soldat (überwiegend in der Schreibstube) - den Entlassungsschein selbst ausgestellt. Wir fanden ihn in Walsum Kreis Dinslaken bei einem Vetter.

64 Jahre ist das schon her - Kinder, wie die zeit vergangen ist!

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