Mit dem Präsidenten werben lernen ...












... westfälisches Landschaftsmoment






Evan Jastoshforman

Mit dem Präsidenten werben lernen ...



(Nach einer Erzählung meines deutschen Übersetzers Reinhard Heider-Schimpf)







"Hej, Paps, gehst du mal ans Telefon? Da ist ein ehemaliger Schüler von dir dran!"
"Wie? Wer denn?"
"Hab' den Namen vergessen. Ziemlich laut der Macker! Matern oder so. Schnasser Typ! Cooler Organisator! Flottweg dabei der!"

Lehrer P. meldet sich.

Von anderswo spricht ihn Oliver Mertens herzlich an. Dem überraschten Lehrer, der ihn seit Olivers Abgang aus der Stufe 12 vor cirka zehn (oder nur acht? Man vertut sich so schnell mit der Zeit! Mensch, Lehrer, wirst nicht jünger!), ihn vor vielleicht zehn Jahren also nicht mehr gesehen hat, erklärt der, daß es ihm erfreulich gut gehe, auch ökonomisch exzellent. ("Ja, danke! Bestens!")

Ein Mißverständnis und eine Nachfrage erbringen, daß nicht Oliver bei P. angerufen, sondern Sohn Martinus den Herrn Hertens. Pardon, Herrn Herzog!

"Und warum, wenn ich dich fragen darf?"
"Hat er das nicht mit Ihnen besprochen? Er hat meine Agentur angewählt. Hier in Berlin."
"Und warum?"
"Ja, er wollte Auskunft von uns haben. Über einen Ferienjob."
"Und was vermitteln Sie da für ihn?" P. ist sich sicher; er will ab sofort beim Sie bleiben.
"Ihr Martin hatte unsere Anzeige gelesen, wohl in der INOF-Ost bei Ihnen drüben. Da sind wir seit drei Wochen im Ruhrgebiet geschaltet. Wir vermitteln Fördermitgliederwerbung (exakt gesprochen: För-der-mit-glie-der-Werbung)."
"Was ist das? Eine Vermittlung oder Werbung von zahlenden Fördermitgliedern?"
"Der Ruck, der durch den Präsidenten Her-zog geht?"
„Aber da gibt’s do schon was Neueres - an Präsidialfiguren!“

*

Nach fünf Minuten hat der Lehrer eine ungerecht kleine Wissenslücke erkannt und unvermittelt geschlossen: Ärzte, Lehrer, Rechtsanwälte, Architekten oder sonstige Freiberufliche, sogar evangelische Pastöre werden von Werbern ("Nein! Herr P., Agenten sind unsere Mitarbeiter! Sie sind Sponsorenvermittler! Moderne Dienstleister!") aufgesucht. Dann erfragt man, wo ihre Kinder zur Schule gehen oder ob sie schon studieren, die lieben, teuren Großen. Oder vielleicht erst im Kindergarten sind - die süßen Kleinen! Und dann kann man sie darauf aufmerksam machen, daß alle großen Tages- und Wochenzeitungen - natürlich auch alle Magazine, neuerdings auch die Software-Hersteller mit ihren school-ware auf CD-Roms - Sonderpreise haben, die fördernde Mitglieder zahlen können, wenn sie für die Schule ihres filius ("Herr Petry, auch filia, bitte! Das ist heute selbstverständlich!") ein Abonnement oder eine Produkt- Präsentation übernehmen. Steuerlich absetzbar, natürlich, für zwei oder mehr Jahre; zeugt von Renommé, von Solidität - ("mhm, auch von Interesse am Schulerfolg des Nachwuchses, Sie verstehen?") - von zeitgemäßem Engagement.

Auch Partnerschaften von Buchclubs, Graphik-Agenturen und Print- und Plott-Häusern sind möglich, für die Schülerbücherei par exemple - ("auch für die Schülerzeitschrift?" - "Selbstverständlich, Herr Petry, wir reagieren flexibel auf Bedürfnisse und Wünsche und Trends.
Wir gehören zur neuen Dienstleistungsbranche, auch vom Präsidenten gefördert, geistig, ideell, Sie wissen ja wohl?! Ja, auch Bertelsmanns Wissenschaftliche Buchgesellschaft; ehrenwerte, renommierte Firma! In Sachen Fortbildung, Validierung und Supervisionspitze, einfach Weltspitze, sag ich mal.")

(Pause. - Will da jemand aufhängen?)

"Wir machen auch product-placement, ganz nach Ihren pädagogischen Vorstellungen. Vom Füller bis zum Computer, vom Aschenbecher mit Goethe-Zitat bis zum Kaffeepott mit der Signatur von Marie Curie, für Ihre Schule, especially."
"Das klingt ja very successfully. Und bei Ihnen wollte Martin sich um einen Job bewerben?"
"Ebend. Kann er morgen bei Ihnen in Gelsenkirchen kriegen, die Informationen, completely, im Bahnhofsrestaurant. Bei unserm Herrn Schnittgers. Ich hab's Ihrem Sohn genau erklärt. Er weiß bescheid. Er kann gut was verdienen mit uns."

*

Martinus ist inzwischen mit Lea los. Weiss der Teufel, was die Jugend heute treibt, die nicht mehr Fontane liest... Und nix mehr auswendig lernt!
"Mhm! Den Ribbeck - und die Apfelgeschäfte..?"
"Birnengeschichte, meinste?"
"No, diese hier, einfach anzuwenden!"

Die Alten und die Jungen

„Unverständlich sind uns die Jungen“
Wird von den Alten beständig gesungen;
Meinerseits möchte ich’s damit halten:
„Unverständlich sind mir die Alten.“
Dieses am Ruderbleibenwollen
In allen Stücken und allen Rollen,
Dieses sich Unentbehrlichvermeinen
Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,
Als wäre der Welt ein Weh getan -
Ach, ich kann es nicht versahn.
Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,
Wirklich was Besserers schaffen und leisten,
ob dem Parnasse sie näher gekommen
Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,
Ob sie, mit andern Neusittenverfechtern,
Die Menschheit bessern oder verschlechtern,
Ob sie Finden* sä’n oder Sturm entfachen,
Ob sie Himmel oder Hölle machen -
Eins läßt sie stehen auf siegreichem Grunde:
Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;
Der Mohr kann gehen, neu Spiel hebt an,
Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

(1897; aus: Gedichte. 5., vermehrte Aufl. 1898. Nach: Th. F.: Allerlei Glück. Ein Lebensbuch. Dtv 12538. S. 204f.)


*
... pardon, heißt natürlich: "Frieden" - hübscher Verschreiber, kam vom Scannen....! - So Martin!

"Ist der wohl beim Abendessen wieder da, Erika. - Erika? Hörst du?"
Schwaches Echo auf die prinzipalische Stimme: "Bin im Kühlschrank...!"
"Wo - wo steckt der Sohnemann?"
"Ich glaub' nicht. Die wollten ins UCI nach Bochum. Riesenkino. Spieln gleichzeitig Himmel und Hölle - nur nicht 'Papst und Pumpernickel'. Das geht bis Mitternacht, der neue Spielberg-Film. Willst du was mit ihm besprechen?"
"Müssen die denn bei solch rauschhaftem Frühlingswetter ins Kino? Da flutscht es doch von Endorphinen ... draußen. - Weißt du noch, wir zwei unter der rotblühenden Kastanie im Rombergpark..."

"Wir drei!"

"… ja, Gott, ja! Nähe des Ausgangs zum Parkplatz? - Aber er weiß doch, daß er morgen Schule hat?"
"Ja, aber erst zur dritten, hat er gesagt. Der Lüders da -"
"Ja, der ist auf Fortbildung, hab' schon gehört."
"Ja, weißt' Bescheid?"

"Ja, Fortbildung 2005 bis -10.
Und noch für die Jahre davor und danach: ‘Wie vermitteln wir an unserer autonomen Schule pädagogisch den ideellen Ruck, der der Zeit durch Deutschlands Auen geht?’
Den argen Ton hab’ ich noch im Ohr von der Schulkonferenz."
"Ebend: Mit dem Präsidenten Abos reißen, heißt siegen lernen!"



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Kommentare (1)

eleonore anton, biste mal wieder mutiert??

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