Unsere Generation oder - die Reife der 50+ ...!


Erst spät habe ich meine eigene Generation 'entdeckt'und kennen gelernt. Ich meine jetzt nicht nur Leute, mit denen ich tagtäglich und öfter zu tun habe, sondern auch solche, denen ich auch in Kliniken, wo ich als Patient war, oder auch im Supermarkt begegnete, oder auch bei Tagungs-Treffen mit Menschen meiner Generation.

Ich war schon immer der Meinung, dass es viel verborgene Persönlichkeiten in unserer Gesellschaft gibt, wo ich zur näheren Charakterisierung die Überschrift eines meiner letzten Artikel nehmen möchte: "Es gibt das Gute im Menschen - nur macht es keinen Lärm."

Oft sind es Frauen, von denen ich den Eindruck habe, dass sie durch Familie und andere Umstände in ihrem Leben viel Schweres und viel Leid erlebt haben mit geradezu traumatischen Erlebnissen, und dadurch gütig und mitfühlend wurden. Häufig fühle ich mich von meinem Herzen her zu ihnen hingezogen, denn ich denke, diese erkennbare gereifte (Alters-?)Güte hat oft auch mit ihrem Glauben zu tun.

Manchmal darf man auch hinter die Kulissen schauen. Häufig passiert es mir, dass sich mir diese Menschen anvertrauten, der ich ja auch von ihrer Altersgruppe bin, wie sie es bei Jüngeren evtl. nicht so leicht machen würden. Kürzlich erzählte mir eine 85jährige Frau einer Tagungsgruppe am Mittagstisch, sie sei als junge Frau während des Krieges als Russlanddeutsche nach Sibirien verschleppt worden, nachdem sie in ganz brutaler Weise von ihrem Mann und ihren kleinen Kindern getrennt wurde. Sie hätte dann viele Jahre unglaublich hart in einem Steinbruch arbeiten müssen, sie sei oft gepeitscht, sadistisch gequält und halb zu Tode geschlagen worden. Ich war innerlich davon so stark berührt, dass ich keinen Ton dazu sagen und nicht mehr weiteressen konnte. Eine andere Frau, die auf der gegenüberliegenden Tischseite saß und alles mitgehört hatte, sagte mir: "Ja, vielen von uns ist es so ergangen. Aber wer glaubt uns das heute?"

Vor einigen Wochen sprach mich im Supermarkt eine Frau an. Wie sich später herausstellte, war sie schon 78 Jahre alt, ihr Mann 83. "Die Männer könne man doch oft gar nicht ernst nehmen", meinte sie. "Na ja", sagte ich darauf, "aber wir alle sollten doch versuchen, uns gegenseitig ernst zu nehmen!" Sie begann zu erzählen, von zu Hause, von ihrem Mann, der daneben stand, von ihren Kindern. Sie kam aus den Ostgebieten und hatte erlebt, wie ihr Sohn nach dem Krieg zusammengeschlagen wurde, so dass er vor ihren Augen verblutete. Dann mußte sie noch zusehen, wie andere Menschen vor ihren Augen erschossen wurden.

Ich stand während dieses Gesprächs an der Einpacktheke und stellte fest, dass unser Gespräch schon eine halbe Stunde dauerte. "Sie können gut zuhören und sie wirken so ausgeglichen", meinte sie.

An dem Punkt merkte ich, dass ich jetzt Farbe bekennen musste und sagte ihr, dass dies auch daran liegen könnte, dass ich gläubig sei. Sie bekam große Augen und meinte: "Vielleicht bin ich auch gläubig, auch wenn ich nicht viel in die Kirche gehe. Wissen Sie, man bekommt als Kind viel mit, das dann später im Alter wieder hochkommt." Ich erzählte ihr von meiner Erfahrung, dass Gott die Liebe sei und dass der Mensch, der auch liebt und sich den anderen liebend zuwendet, sich schon in Gott bewegen würde. Das Gespräch dauerte noch einige Zeit, und sie ging dann mit ihrem Mann heim und verabschiedete sich herzlich mit dem Wunsch, dass wir uns mal wieder sehen würden.

Das ist jedoch noch nicht geschehen, obwohl ich weiter in dem gleichen Supermarkt einkaufen gehe.

stefan15

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Kommentare (2)

tilli Lieber Stefan, diese Geschichte hat mich sehr berührt,Du hast zugehört und verstanden. Leider gehen die Menschen vorbei, sie hören nicht zu, sie verstehen nicht. Unsere Generation kann alles noch wegstecken. Sie kann sparen, sie kann bescheiden sein. Sie hat auch viel Leid gesehen.Heute sind andere Sorgen, nein kein Hunger,aber Stress der die Menschen verändert..Jede Generation ist anders ,darum muss man immer zuhören.Bloß das ist schwer.
Grüsse an dich und danke für deine Menschlichkeit.
Tilli
floravonbistram ja, dazu muss man bereit sein, sich Zeit nehmen, Gespräche entwickeln sich dann von selber.
Ich habe durch mein erstes Buch viele Gespräche gerade mit Frauen aller Altersgruppen führen dürfen, die durch Ereignisse stark traumatisiert waren und sind, doch immer versuchten, dies zu verschweigen, stark sein um den Preis des Ichs.
Geschichten der Fluchten, von Übergriffen, Verlusten und unsäglichem Leid tun sich da auf
Gruß
Flo

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