Wer kennt noch die STEG-Lager


Wer kennt noch die STEG-Lager

Der Krieg war zu Ende. Überall hat er Trümmer hinterlassen. Und überall waren Reste an Kriegsgerät übrig geblieben. Was sollte man damit machen? Kann man daraus noch Geld schöpfen, jetzt nach der Währungsreform?

Der Staat handelte – wer auch immer damals unter dem Synonym firmierte – er rief die STEG ins Leben, die STaatliche Erfassungs Gesellschaft. Die richtete für die Kriegsüberbleibsel Lager ein. Da konnte man hingehen und sich Brauchbares erstehen. Als Radiobastler und Funkamateur interessierten da besonders Radio- und Funkteile, so etwa Röhren – Transistoren und Chips gab’s noch nicht. Die Lager brachten sogar Kataloge heraus. Also einfach mal hinfahren.

Mein Vater und ich machten uns mit den Rädern auf von Bonn nach Wiesbaden, da war so ein Surplus-Lager. Mich hat das besonders gefreut, daß ich mit dem Vater – auch nach seiner Verwundung – gemeinsam radeln konnte – das gab es zehn Jahre lang nicht, ich saß nun nicht mehr auf dem Kinderrad, ich hatte ein selbstgestricktes Herrenrad, meinen Laubfrosch.

Wir zogen also los. Es ging den Rhein aufwärts, für Vater Neuland, für mich schon „kalter Kaffee“, hatte ich doch noch vor dem Umzug nach Bonn den Mittelrhein unter meine Pedale gebracht. Ich weiß nicht mehr, zu welcher Jahreszeit es war, aber man bot Spargel mit Schinken und Holl.-Soße an.

So um die Mittagszeit, da waren wir schon so auf Höhe Bingen, meinte Vater, daß man doch in eine der vielen Straußenwirtschaften einkehren könnte. Wir Beide hatten wohl gelesen und gehört, was solche Wirtschaften wohl können, aber drinnen waren wir noch nicht. Also stiegen wir in den Keller bei einem Winzer, durften essen und Wein verkosten (auch etwas, was wir Beide nie von vorher kannten). Die Mutter im Keller war in ihrer Breite und ihrem besonderen Gewicht ebenso freundlich wie auch die um uns herumtanzenden Töchter des Hauses.

Wie lange wir gebraucht hatten, da wieder herauszukommen, Vater kann ich nicht mehr fragen, ebenso wenig, wie viel der Alte Herr für den Spaß hingeblättert hatte. Jedenfalls, als wir aus den Katakomben wieder in die Außenwelt zurückkehrten, schlug uns die Mittagshitze fast um. Wir hatte Schwierigkeiten, den Rädern die Fahrtrichtung und –stabilität zu verpassen. Huih, Donnerlittchen!

Wir überquerten den Rhein bei Mainz über die Straßenbrücke. Wir kamen an den Main. Runter vom Deich zur kleinen Fähre ging ein Trampelpfad. Plauz, sauste mein Vater da, wo der Pfad eine Krümmung einnahm, vom Fahrrad – hatte ich wohl die unpassende Handbremse falsch justiert? (Immer auf die Kleinen!). Ein Fährmann setzte uns über den Main. Wir erreichten das STEG-Lager noch bevor es seine Büros und Lager schloß. Egal, wir fanden nicht das Erhoffte, konnten den Heimweg ohne zusätzlichen Ballast antreten.

Es ist einfach ehernes Gesetz: Hin- und Rückweg sollen unterschiedlich sein. So ging wir den Hochtaunus an, den Großen und Kleinen Feldberg im Visier. Etwas mulmiges Wetter wollte den Abend einnehmen. Frage mich nicht, wie das Kaff da oben hieß, wo wir in einer Gastwirtschaft in einem Dorf nach einer Bleibe fragten.

Jedenfalls durften wir nach einem kalten Abendbrot in der Scheune in Heu und Stroh übernachten. Da war der Vater ganz stolz im Erzählen seines Wandererlebnisses in 1923 auf dem Weg von Berlin nach Dessau, wo er als Wandervogel auch in der Scheune ein Nachtquartier zugewiesen bekommen hatte.

Er war nicht der Einzige in dieser Bleibe – ein Dachdecker-Meister mit Gesellen und Stiften hatte da ebenso Platz gefunden. Vater kam mit dem Meister ins Gespräch über woher und wohin. Der Meister kannte Vaters Großvater, den Ollen Rechnungsrat Müller, der mit dem Thurn und Taxis die Poststationen, die auf den Wegen der Postlinien lagen, visitierte. Für Vater war das Neu! Zuhause quetschte er seinen Vater aus – damit startete unser Vater seine genealogischen Forschungen.

Am nächsten Morgen stapften und strampelten wieder weiter, wir ließen den Hochtaunus langsam hinter uns, kamen schließlich bei Wetzlar an die Lahn. Weiter ging es durch den Westerwald auf und ab. Auf der Straße an der „Kalten Eiche“ schob mein Vater bei 20% Gefälle sein Rad, noch einmal vertraute er sich den Bremsen nicht mehr an. Wir erreichten bei Eiserfeld die Sieg. Noch ein Stück siegabwärts und wir erreichten nach einem Aufstieg die Jugendherberge Freusburg über der Sieg.

Die Jugendherberge war voll, überbelegt. Vater bekam bei den Herbergseltern noch ein Notquartier, ich lernte, wie man auf einem blanken Tisch schlafen kann, man gönnt sich ja sonst nichts …

Die Sieg einfach runter bis nach Siegburg und dann rüber nach Bonn – nee, da macht Vater mit: also wieder rauf in den Westerwald nach Altenkirchen, dann über Neustadt/Wied runter nach Linz am Rhein. Eine schöne Tour.

Als wir Linz verließen, konnte Vater nicht mehr in die Pedale treten: die Splitter in seinen Arschbacken waren zu einem Nerv gewandert, muß fürchterlich schmerzhaft gewesen sein. Wenn er dann auf dem Rad im Sattel saß, strampelte ich an ihn heran und schob ihn mit auf seine Schulter gelegte Hand und meiner Tretkraft in Richtung Bonn. Wir überlegten dabei, welche Strecke wohl die mit den geringeren Steigungen wäre, in Mehlem übersetzen oder bis Beuel und da über die Rheinbrücke. Es ging in Mehlem auf die Fähre. Ganz schon ab, kamen wir zu Hause in Bonn an. Noch einmal mußte der Alte Herr schmerzhaft erdulden, daß seine Beine ihn ins 2.OG hochbrachten. Ende gut Alles gut.

Wer kennt noch die STEG-Lager

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Kommentare (1)

henryk ..gemeinsam radeln konnte.....ja...lieber Ortwin...das war bestimmt schoen...danke ..HenrykSommer 2010(henryk)


Rybnik heute 12.06.2010(henryk)



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