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Aktuelle Themen "Nackt unter Wölfen"

mane
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Re: "Sterne"
geschrieben von mane
als Antwort auf Tina1 vom 20.01.2016, 16:34:20
Mane kennst du den Film "Sterne" von Konrad Wolf? Ich habe ihn als Jugendliche gesehen. Es ist ein Film den man m. E. sehen sollte, ich habe ihn nie vergessen. Vielleicht passt er auch etwas zu deinem Beitrag?
Tina


Hallo Tina,

ich kenne den Fim nicht und habe ihn bei youtube leider nicht in einer synchronisierten Fassung gefunden.
Es gibt dort eine Fassung mit Untertiteln, die werde ich mir anschauen.

Für Karl-Eduard von Schnitzler half der Film
„völlige Kenntnis des Geschehens [der Judenverfolgung] und seiner Verwerflichkeit zu bringen“ und somit eine „völlige Überwindung [der Judenfeindlichkeit] im innersten Inneren“ zu erzeugenQuelle
geschrieben von Schnitzler


Somit passt er sehr gut zu meinem Beitrag. Ich nehme an, dass auch der Hauptdarsteller des Films diese Wandlung vollzogen hat, indem er die Unmenschlichkeit des Regimes erkennt und die eigene Mitschuld.

Im folgenden Video werden Bilder des Holocaust mit den wundervollen Klängen der Serenade von Schubert unterlegt. Dieser Kontrast ist fast unerträglich.
Gruß Mane

mane
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von mane
als Antwort auf olga64 vom 20.01.2016, 17:22:08
Ich habe es bei meinem eigenen Vater miterlebt, heute muss ich sagen, es war eine Gnade, dass er verstarb als ich erst 15 Jahre alt war. Ich hatte also nicht die Gelegenheit, mich wirklich politisch mit ihm auseinanderzusetzen (mein Bruder sieht dies anders, er war beim Tode unseres Vaters erst 10 Jahre alt).
Ich erinnere mich aber gut an diese Schiessbudenfiguren - alte Nazis - die zu uns kamen, sich in einem Zimmer verbarrikadierten, nicht gestört werden durften und dort alte Hitler- und Wehrmachtsbilder ansahen und diese martialischen Lieder sangen, obwohl alle von denen nach dem Krieg einige Jahre zu Recht im Knast waren.
Wäre ich mit meinem Vater erwachsen geworden, hätte ich ihn vieles gefragt und wäre wohl bis heute erschüttert darüber, was er mit alles stolz im Detail geschildert hätte - er war Nazi bis zu seinem Tod im Jahr 1959.
Olga


Hallo Olga,

warum können viele Nachfahren der "Tätergeneration" sich nach so langer Zeit, nicht mit den Vorfahren (im Geiste, da die meisten bereits tot sind) versöhnen? Vielleicht weil sie nach dem Krieg keine Reue zeigten, ihre Taten rechtfertigten oder herunterspielten?
Mane
Medea
Medea
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von Medea
als Antwort auf olga64 vom 19.01.2016, 17:30:10
Ja Frau Olga, ich auch.
Kulturell liegen wir beide ja auch nicht
sonderlich auseinander und politisch wird
halt die vielbeschworene Toleranz geübt - zwinker


Grüße Medea.

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olga64
olga64
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von olga64
als Antwort auf mane vom 21.01.2016, 14:50:12
Ja, Mane so ist es und in meinem persönlichen FAll war und ist es bei meinem Bruder und bei mir immer gewesen, sich gegen jegliche rechtspolitische Ansichen vehement zu wehren.
Gerade in der Ist-Zeit stelle ich bei vielen deutschen Menschen fest, dass sich noch viel von diesem spezifischen deutschen Sadismus, der Unmenschlichkeit ,des grossen Egoismus, der Intoleranz gegenüber allem Fremden und der nicht vorhandenen Flexibilität, sich auf Neues einzustellen, nicht nur gehalten hat, sondern auch "erfolgreich" an Nachfolgegenerationen weitergegeben wurde.
Dieses Denken der "Herrenrasse" hat sich auch stark gerade bei den schlichteren Menschen in unserem Land gut gehalten.
Das treibt mich stark um, wenn ich dies täglich erleben muss und ich hoffe, dass ich noch lange die Kraft habe, dagegen zu poltern. Olga
mane
mane
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von mane
als Antwort auf olga64 vom 21.01.2016, 15:59:21
Wir sind die Kinder unserer Eltern, die mehr oder weniger der NS-Ideologie huldigten oder einfach wegschauten. Nicht jeder war ein Verbrecher. Nur wenn man das berücksichtigt, kann man die Lage beurteilen. Die Generation vor uns konnte nichts dafür, dass sie in diese Zeit hineingeboren wurde - und jetzt liegt über dieser Generation ein schwerer Vorwurf, von dem nur wenige ausgenommen sind. Damit geschieht vielen Unrecht, wogegen sie sich zu Recht wehren. Wir als nachfolgende Generation habe Glück gehabt, dass wir nich in diese Zeit hineigeboren wurden und sollten nicht hochmütig sein.
Mane
mane
mane
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von mane
als Antwort auf Federstrich vom 20.01.2016, 16:58:03


Wahrscheinlich war es so, dass sowohl die Verantwortlichen als auch die Mitläufer des Regimes bei aller Grausamkeit, die sie verübten, gar nicht auf den Gedanken kamen, etwas Unrechtes zu tun. Sie glaubten, so schwer es uns heute auch fällt, das nachzuvollziehen, "einer großen, guten, gerechten Sache" zu dienen.

Ja, das ist ein Phänomen. Eine solche Sichtweise war u.a. dadurch möglich, dass sich diese Leute auf eine partikulare Moral berufen haben, die sie sich selbst zuschreiben und die nur auf die eigene Referenzgruppe bezogen wird und nur für diese Gültigkeit hat, während die Moralvorstellungen anderer abgelehnt werden.
Eine universale Moral im Sinne von Kants kategorischem Imperativ gab es für diese Leute nicht. Lieber verwendeten sie die Opferperspektive im Sinne von "Wir haben auch Schweres durchmachen müssen".
geschrieben von mane


In den ersten Jahren nach dem Krieg sahen sich die Deutschen in erster Linie als Opfer und nicht als Täter, das stimmt. Erst später trat die Beschäftigung mit den NS-Tätern in den Vordergrund, leider nicht bei allen.
Hannah Ahrendt schrieb in ihrem Buch: "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen", dass das Beunruhigende an seiner Person gewesen sei, dass er wie viele gewesen sei und das diese Vielen weder pervers noch sadistisch, sondersn erschreckend normal waren und sind.
Mane

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Federstrich
Federstrich
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von Federstrich
als Antwort auf mane vom 21.01.2016, 22:18:45
Ja, wie du vorher richtig schreibst, Hochmut ist nicht angesagt, wenn es um das Leben in Diktaturen, gleich welcher Art, geht. Als Außenstehender und mit der Gnade der späten Geburt lässt sich wohlfeil urteilen.
Arendts Diktum ist verstörend, weil es wahr ist. Es unterstreicht die These, dass sich die Täter mit einer Art Partikularethik zu schützen versuch(t)en, die ich angesprochen habe. Man muss jedoch in allem auch sehr differenzieren. Auch da stimme ich dir zu.
Aus der Vielzahl von Menschen, die unter dem Regime leben mussten, fällt mir da spontan einer ein, der die Zerrissenheit, das Gespaltene und Widersprüchliche in sich vereinte, der mitmachte und doch ein ganz "normaler" Mensch im Sinne von Arendt gewesen zu sein schien. Ich meine Rochus Misch, Hitlers Telefonist und Leibwächter, der bis zuletzt bei ihm im Bunker war.
Sandra Zarrinbal charakterisiert ihn im Nachwort zu seiner Biografie so:
„Misch, SS-Mann, aber nie NSDAP-Mitglied, mag nicht Soldat sein und will keinen Krieg, lebt aber dort, wo er ausgebrütet und vorangetrieben wird, holt Onkel Paul aus dem KZ und Himmler den Mantel, hört im Dienst Goebbels und mit dem Schwiegervater den Feindsender, hat ein sozialdemokratisch geprägtes Zuhause und den NSDAP-Führer als ‚Chef‘“.
Und Ralph Giodarno erkennt etwas "Intellektfernes" bei ihm, "eine unverbergbare Unfähigkeit zu analysieren und zu interpretieren, bei gleichzeitig scharfer Beobachtungsgabe, aber emotional begrenzter Eindrucksfähigkeit."
Arendt meinte ja auch, dass wir auch für unser Gehorsam verantwortlich sind. Insgesamt ein sehr weites Feld, zu dem sich viel sagen lässt, das aber auch viel Raum zum Nachdenken bietet.
mane
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von mane
als Antwort auf Federstrich vom 22.01.2016, 09:17:18
Hallo Federstrich,

Ich kannte Rochus Misch nicht und habe jetzt einiges über ihn gelesen. Interssant finde ich, dass ausgerechnet Ralph Giordarno als jüdischer Journalist, das Vorwort zu der Biographie von Rochus Misch geschrieben hat. Er sieht in ihm keinen glühenden Nazi, aber als einen Mann, der mit den herrschenden Ideen der NS-Zeit übereinstimmte (so schreibt es Giordano. Ich weiß nicht, inwieweit er das beurteilen kann) und in seiner Wahrnehmung eingeschränkt, aber wahrheitsgemäß schreibend. Obwohl Misch fünf Jahre (1940-1945) in Hitlers unmittelbarer Nähe verbracht hat, hat er fast nur den Privatmann kennengelernt.
Ich nehme an, dass er ein pflichtbesessener Mann war, der wenig darüber nachgedachte, was er tat, und kein Unrechtsbewusstsein hatte. Auch für ihn gilt sicher, die von Dir erwähnte partikulare Ethik, wenn auch nicht in der radikalen Form.

Hannah Arendt gebrauchte die Worte: "Wir sind auch für unseren Gehorsam verantwortlich", im Zusammenhang mit einem Erschießungskommando, durch das drei Männer einen Tag bevor die Amerikaner einmarschierten, noch getötet wurden. Sie hatten die weiße Fahne gehisst, da das Ende des verlorenen Krieges in der Luft lag.

Da tun sich die Fragen auf: Ist Ungehorsam anständig oder unanständig? Ist jede Form von Gehorsam ein Zeichen von Verantwortungslosigkeit? Wer entscheidet darüber, ob wir gehorchen müssen, können oder dürfen?
Gruß Mane
Federstrich
Federstrich
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von Federstrich
als Antwort auf mane vom 22.01.2016, 21:22:36
O ja, das mit Giordano fand ich auch erstaunlich. Es gibt im besagten Vorwort auch den bedeutungsschweren Satz, dass er Misch "wohl sogar die Hand hätte geben können" (aus dem Gedächtnis zitiert). Das zeigt, dass er Misch nicht als hartgesottenen Nazi gesehen hat. Ich glaube, Giordano hat das aus seiner Beschäftigung mit Mischs Biografie während der NS-Zeit und auch aus seinem Verhalten nach dem Krieg abgeleitet. Ob sie auch miteinander gesprochen haben, weiß ich nicht mehr.

Deine Fragen haben es in sich. In der Beantwortung haben sich schon immer die Geister geschieden. Ab einem bestimmten Punkt in einer bestimmten Situation gibt es vermutlich nur die persönliche Sicht und Verantwortung, die individuelle Entscheidung. Es ist zunächst situationsgebunden. Für manche ist letztlich das Gewissen der Gradmesser und Entscheidungshilfe. Denn auch die Auffassung darüber was "anständig" oder "unanständig" ist, ist ja nichts Kristallines, sondern eher ein flüssiger Aggregatzustand. Man denke an die Männer des 20. Juli, an Whistleblower wie Snowden und viele andere und anderes. Am Tragischsten finde ich es immer, wenn Menschen noch für etwas eingetreten sind, gar ihr Leben geopfert haben, bevor sich die Sachlage geändert oder/und sich ein neues Verständnis für eine Sache konsensual verfestigt hat.
mane
mane
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Re: "Nackt unter Wölfen"
geschrieben von mane
als Antwort auf Federstrich vom 23.01.2016, 09:21:53
Hallo Federstrich,

in unserer(?) Generation wurde Gehorsam den Eltern gegenüber (und diese ordneten sich mehr oder weniger allen Autoritäten unter) erwartet. Das ist in den ersten Jahren z.T. auch heute noch so und nicht falsch. Die Kleinen brauchen Anleitung, um später ihre eigenen Entscheidungen treffen zu können. So entwickelt sich das Gewissen, welches uns (vereinfacht gesagt) veranlasst, gesellschaftlich übliche Erwartungen zu erfüllen.

Absoluter, bedingungsloser Gehorsam ist gefährlich, weil das Gewissen ausgeschaltet und jede Verantwortung abgegeben wird. Totalitäre Regime fordern einen solchen Gehorsam, weil sie nur so funktionieren können. Bei den Nürnberger Prozessen haben sich die Kriegsverbrecher auf Befehl und Gehorsam berufen und sich damit zu rechtfertigen versucht.

Nach Hannah Arendt war Eichmann nicht übermäßig antisemitisch. Er erfüllte nur seine Pflicht und gehorchte Befehlen und Gesetzen (dem Führerwillen). Er war nicht Herr über sich selbst gewesen, war unfähig selbst zu denken.
"Als auf der Wannseekonferenz die Spitzen von Ministerien, Justiz und Wehrmacht der Endlösung unwidersprochen zustmmten, fühlte Eichmann sich jeder Verantwortung enthoben: die gute Gesellschaft stimmte zu, was sollte er als kleiner Mann da machen? Nach der Wannseekonferenz, als er im Kreis der Großen fachsimpeln durfte, waren minimale Zweifel, eventuelle Gewissensbisse verschwunden. Sein Gewissen hatte er an die Oberen abgetreten." Quelle

Wenn es einer Organisation oder anderen Menschen gelingt, in unser Innerstes einzudringen, so dass sie unsere innere Welt und unsere Wertehaltung bestimmen kann, dann schließen wir alle anderen Werte aus. Wenn ich mein Herz für Menschen öffne, dann kann ich bestimmte Prinzipien nicht mehr durchsetzen. Wenn ich einen jüdischen Mitbürger anschaue, der ängstlich vor mir steht, weil er um sein Leben fürchtet, dann kann ich ihm, wenn ich richtig hinschaue, kein Leid antun.
Ich muss mich blind machen für den Blick zu dem Menschen, um so etwas zu können und die Prinzipien an die erste Stelle setzen und den Kontakt zur Menschlichket völlig verlieren.
Mane

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