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Aktuelle Themen Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime

Via
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RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von Via
als Antwort auf hobbyradler vom 05.12.2019, 13:12:17

Es ist aber ebenso ungerecht alle Kindererholungsheime unter Anklage zu stellen.

Das macht doch auch keiner hier. Im Gegenteil - ich lese viele positive Erinnerungen.

Das kann nur Sache jedes einzelnen Betroffenen sein. Vielleicht geht es ihm schon besser, wenn man ihm heute glaubt. Wer darf sich das Recht nehmen Betroffene zu bevormunden?
 

Natürlich kann und soll jedem einzelnen Betroffenen Hilfe zuteil  werden. Das ist zum Glück heutzutage wesentlich einfacher als in den vergangenen Jahrzehnten. Auch Selbsthilfegruppen können viel bewirken. Oft erleichtert es schon, darüber sprechen zu können und dabei ernst genommen zu werden. 

Dennoch bin ich der Meinung (aus Erfahrung durch ehrenamtliche Tätigkeit), dass eine Traumabewältigung kaum möglich ist nach so vielen Jahren, nur die schmerzhafte Sicht darauf kann gemildert werden.

VG - Via
ingo
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RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von ingo
als Antwort auf Karl vom 05.12.2019, 13:01:19

Du meinst, dass man aufarbeiten kann; ich meine (aus Berufserfahrung), dass eine Aufarbeitung nach so vielen Jahren nicht mehr möglich ist. Dann lassen wir einander die unterschiedlichen Meinungen.
Wiederholung vermeiden? Glaubst Du wirklich, dass sich Ereignisse der Nachkriegszeit wiederholen können? Ich nicht. Wir leben in einer völlig anderen Zeit. Und da lassen wir einander wohl auch die unterschiedlichen Meinungen.

RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf hobbyradler vom 05.12.2019, 12:44:17
Als einzige kleine Unannehmlichkeit empfand ich die Mittagsruhepause, da musste man auf dem Bett liegen und still sein, durfte aber lesen. Von Woche zu Woche stieg auch das Heimweh.
Stimmt, das hatte ich ganz vergessen, das gab es bei uns auch, deine Bemerkung ruft mir die lähmenden Stunden mittags im Bett in Erinnerung. Die waren furchtbar für mich, weil ich mich dabei immer schrecklich langweilte und froh war, wenn es vorbei war. 😉 Vielleicht habe ich auch sonst einiges vergessen, was weniger schön war, keine Ahnung, ist ja ewig her, aber meine Erinnerung ist insgesamt eine positive. 😉

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olga64
olga64
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RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von olga64
als Antwort auf Karl vom 05.12.2019, 13:01:19
ingo*
"Genau so ist es! Und genau deshalb bin ich der Meinung, dass keinen Sinn mehr macht, das Thema "aufzuarbeiten". Die Betroffenen, die diese Erinnerungen begraben haben, werden jetzt erneut aufgewühlt. Das bringt ihnen rein gar nichts."
Lieber @ingo*,

die Aufarbeitung für die Betroffenen ist sehr wichtig. Nur so können sie ihre Traumata überwinden.

Aber, unabhängig davon: Wenn wir die Fehlentwicklungen der Vergangenheit nicht aufarbeiten, wie können wir dann deren Wiederholung je vermeiden?

Karl
geschrieben von karl
Sehe ich genau so wie Karl.
Es geht aber mittlerweile bei diesen unsäglichen Dingen und ihre Aufarbeitung auch um Geld. Da werden Fonds gegründet (wie schon vor Jahren bei den Heimkindern im Westen und Osten, bei dem Missbrauch der Kirchen usw.) und entsprechende Beträge als Quasi-Wiedergutmachung an die Menschen ausbezahlt.
Oft führten deren Traumata auch dazu, dass sie später oft auch Probleme im Leben hatten: berufliche, partnerschaftliche, medizinische usw.
Es ist nie zu spät, diesen Versuch zu starten und wenn die Betroffenen es selbst wollen, können das nur sie entscheiden und kein anderer.
WEr "es für sich begraben hatte" wird jetzt wieder darauf hingewiesen, was da in seinem jungen Leben so massiv schiefgelaufen war. Olga
werderanerin
werderanerin
Mitglied

RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von werderanerin

Auch wenn ich persönlich das alles zum Glück nicht miterleben musste, läuft es mir schon beim Lesen eiskalt den Rücken runter.
Es ist doch beschämend und absolut nicht tolerierbar für eine Gesellschaft, dass sie sich immer an denen vergreift, die sich wegen dem jungen Alter oder anderen Dingen nicht wehren können und konnten.
Ob es  Verschickungskinder sind oder eben auch dieser unsägliche Missbrauch in Kirchen oder viele andere Mißbrauchsarten..., es ist einfach nur furchtbar.

Natürlich muss auch heute noch dafür Sorge getragen werden, dass all das aufgearbeitet wird.
Auch wenn man den Menschen vielleicht heute nicht mehr helfen kann..., ist es doch wichtig, ihnen zumindest eine Plattform in der Öffentlichkeit zu geben, damit nicht alles unter den Tisch der Vergangenheit gekehrt wird. 


Kristine

olga64
olga64
Mitglied

RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von olga64
als Antwort auf werderanerin vom 05.12.2019, 15:40:02

Und es vergeht doch keine Woche und wir erfahren wieder von Missbrauchsfällen an Kindern. Sei es nun auf dem Campingplatz bei Detmold oder wenn Familienväter und auch Mütter die eigenen Kinder im Internet gegen Geld an Pädophile anbieten.

Der einzige Unterschied zu früher dürfte sein, dass man heute schneller davon erfährt und wenn man die Täter erkennt und erwischt, diese auch lange Zeit in den Knast schicken kann.
Aber die meisten dieser Verbrechen an Kindern geschehen im direkten Umfeld, also in den Familien, bei Nachbarn und Verwandten. Diese bearbeiten dann diese armen, missbrauchten Kinder noch, damit sie darüber schweigen, weil "sonst die Familien kaputtgehen". Etwas Besseres könnte einem Kind gar nicht geschehen, als dass so eine Familie wirklich kaputtgeht, das KInd herausgenommen wird, bevor es zu spät ist und ihm die Chance für ein besseres Leben einzuräumen. Olga


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werderanerin
werderanerin
Mitglied

RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von werderanerin
als Antwort auf olga64 vom 05.12.2019, 15:45:23

Dieses Elend heute irgendwie schneller zu erfahren, ist sicher auf eine Art "besser"..., dennoch frage ich mich immer und immer wieder, wie kann es "menschliche" Individuen geben, die das alles Kindern antun...hinzu kommt ja auch, warum schauen so viele einfach weg..., wie kann ich als "Nachbar/Freund/Verwandter/Fremder" das auf Dauer ertragen...ich versteh das nicht und werde dies auch nie, weil ich so etwas zum Glück noch nie erleben musste aber sollte es so sein, ich würde sehr bestimmt eingreifen, das weiß ich genau !

Kristine

olga64
olga64
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RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von olga64
als Antwort auf werderanerin vom 05.12.2019, 15:54:04

Ich behaupte das von mir auch ,dass ich umgehend eingreifen würde, wenn ich Zeugin eines Kindesmissbrauchs werden würde.
Aber die Täter sind ja nicht so dumm, mich daran teilhaben zu lassen. Die machen das im Verborgenen, z.B. in den Familien, zu denen ich keinerlei Zugang habe.
So kann man leider nach wie vor nur ungläubig zusehen, was ERwachsene Kindern alles antun und in welch gefährlichem Umfeld Kinder leben, die in solchen Familien aufwachsen müssen. Olga

aixois
aixois
Mitglied

RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von aixois
als Antwort auf Karl vom 04.12.2019, 21:22:34

Da ihr quasi vor Ort seid (allerdings "nur" Behindertenhilfe und Psychiatrie): ein Versuch zur Aufarbeitung ?

05.02.2020, 15.00 Uhr
Rathaus Freiburg, Großer Sitzungssaal, Rathaus im Stühlinger (Bestandsgebäude), Fehrenbachallee 12, 79106 Freiburg
Ausschnitt Flyer Dokumentationsprojekt Zwangsunterbringung
In stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie kam es in der Nachkriegszeit vielfach zu Leid und Unrecht. Unter den Folgen leiden viele Menschen noch heute. Noch bis 2020 gibt es für Betroffene die Möglichkeit, bei der Stiftung "Anerkennung und Hilfe" Anträge auf eine Geldpauschale und Rentenersatzleistungen zu stellen sowie mit Hilfe des Landesarchivs das eigene Schicksal aufzuarbeiten.
Die Veranstaltung informiert umfassend über die Arbeit der Stiftung und des Landesarchivs. Weitere Details zum Programm und den Vortragen finden Sie in Kürze hier.
Die Veranstaltung ist kostenlos und barrierefrei. Bei Fragen wenden Sie sich gerne an: [email protected]
 

aixois
aixois
Mitglied

RE: Verschickungskinder und sogenannte Ferienheime
geschrieben von aixois
als Antwort auf Karl vom 04.12.2019, 21:22:34

Auch ich kam als knapp 11-jähriger in den Genuss einer 4-wöchigen „Kindererholung“, weil der Junge wohl etwas „bleich, dünn“ war und manchmal Bauchschmerzen hatte. Allerdings war das keine Zwangsverschickung, sondern meine Eltern nahmen das Angebot bewusst wahr (auf  Anraten des Hausarztes ? jedenfalls gab es eine ‚amtsärztliche Untersuchung‘).

Ich erinnere mich nur noch sehr dunkel an diese 4 Wochen. Vielleicht habe ich einiges einfach auch gleich in tiefere Schichten zum Selbstschutz abgelegt. Es wäre spekulativ und nicht fair versuchen zu wollen, da was gezielt  'hochzuholen', was vielleicht gar nicht da ist.
Die Kinderkur  war wohl erfolgreich, denn ich hatte einige Kilo zugenommen, was bei dem Zwang all die  hoch-kalorigen Teller leer zu essen, auch keine Kunst war. Dass einige solange  am Tisch sitzen bleiben mussten, bis… das habe ich noch vor Augen, auch den Einsatz eines hölzernen Kochlöffels zum 'Stopfen'.
 
15 Jahre nach Kriegsende gehörte das (ausschließlich weibliche) „Tanten“ Personal mindestens zur Hälfte der Adenauerschen Kategorie der „ich- muss- die Leute - nehmen- die-ich - hab“ (altgediente Offiziere für die neue „Wehrmacht = Bundeswehr“) an. 
Da waren einige ‘Fregatten‘ (wie die älteren Jungen sie nannten)  darunter , die bei „scapa flow“ wohl entwischt waren: schlagkräftig, auf klarem Kurs : „Disziplin, Gehorsam“ und Einsatz der damals so üblichen Mittel (z.B. Bloßstellen ‚notorischer‘ Bettnässer, Toilettengang nur mit – nicht immer- vorher  erteilter Genehmigung, körperliche ‚Züchtigung‘, Ausschluss von events ). Geläufige Motti: "gelobt sei, was hart macht", "ein Klaps hat noch keinem geschadet" , " was mich nicht umbringt, macht mich stark".  Es gab aber auch andere „Betreuerinnen“, wie die für meine Altersgruppe, die (zumindest zu mir, der ich gelegentlich Heimweh hatte) keine ‚schlagende Verbindung‘ gehabt hatte.
 
An zwei Dinge erinnere ich mich aber noch gut: das  von zuhause mitgebrachte,  von meiner Mutter gebackene, Kuchenstück (Quitte !), das ich bei der Heimaufnahme trotz allgemeiner strikter Anweisung nicht abgegeben hatte (weil ich ihn halt essen wollte, dies aber nicht mehr unbeobachtet tun konnte) und der dann (3 Wochen in einer Spind-Ecke versteckt)  vergammelte, da ich aus Angst vor Strafe auf einen (der sehr seltenen) auch von anderen Kindern  unbeaufsichtigten Moment warten musste, um ihn schnell in den Papierkorb zu werfen. Er wurde natürlich entdeckt, aber trotz Strafandrohung konnte der Übeltäter nicht ausfindig gemacht werden (ich hatte Blut und Wasser geschwitzt…).

Es bestand Besuchs-Kontaktsperre. So  durfte ich – trotz aller Bemühungen meiner Eltern an ‚höherer Stelle‘ - nicht zur Hochzeit meiner Schwester (Samstag/Sonntag) fahren. Musste ihr aber eine Glückwunschkarte schreiben (mit Unterschrift der ihr völlig unbekannten Betreuerin) und durfte im Sekretariat (nur sehr kurz) einen Anruf von ihr und meinem Schwager annehmen. Natürlich nur in Gegenwart einer Betreuerin, die auch die beiden kurzen Pflicht-Briefchen an die Eltern zensierte und selbst noch irgendwas hinschrieb, wie toll es sei und wie gut es mir ginge etc.
Dass andere ältere Mit-Kurer erheblich strenger rangenommen wurden, und dass ich als Pimpf mit demeinen oder anderen 'Mitleid' hatte, daran erinnere ich mich auch noch.

Man war mitten im Schuljahr vier Wochen aus der ersten Klasse Gymnasium  genommen worden und musste dann halt Arbeiten nachschreiben, was auch im Zeugnis vermerkt wurde.

Die Kuranstalt wurde 1974 geschlossen.  Was die Unterlagen angeht :
 
Zerstörung/Aufhebung: 1974
Beschreibung:  -

 Sonstiges:
Heimkinderakten: nicht vorhanden
Aufsichtsakte des Landesjugendamts: nicht vorhanden
einfache Belegungsnachweise: nicht vorhanden
sonstige Verwaltungsunterlagen: vorhanden
Quelle/Sammlung: Verzeichnis der Kinder- und Jugendheime …1949-1975


 
Es sind keine gerade angenehmen Erinnerungen an diese 4 Wochen, aber auch keine traumatischen. Die aus heutiger Sicht fiese Behandlung von Kindern war ja im Rahmen des damals Üblichen, auch die, nicht NS-Zeit geprägten, Lehrer (und Pfarrer !)  schlugen Schülernasen blutig, ohrfeigten, boxten, warfen mit Griffelkästen,  von Brüllen, Wutanfällen, demütigenden Beleidigungen  etc. gar nicht zu reden. Jede(r) Ü-70-er könnte da so seine Erlebnisse haben.
 
 Tempora mutantur, nosque mutamur in illis (die Zeiten ändern sich, und wir uns mit ihnen) bis man merkt, dass es die Menschen sind,  die sich und damit die Zeiten ändern. Das waren dann die von den Konservativen auch heute noch oft kritisierten 1967/68-er Aufräum-und Aufbrucharbeiten,  aber danach getrauten sich nur noch wenige Lehrer, Kindernasen blutig zu schlagen, bei älteren Jugendlichen riskierten sie sogar,  dass zurückgeschlagen wurde.
 

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