Forum Politik und Gesellschaft Diskussion historischer Ereignisse 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang

Diskussion historischer Ereignisse 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang

simba
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Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von simba
als Antwort auf hafel vom 06.10.2008, 13:57:38
Ja Hafel so war es - hab wohl einen Fehlklick getan

Eleonore kränk dich nicht - schon Fürst Metternich sagte: " Der Balkan beginnt in Wien"

Ja dann ist mir noch einiges aufgefallen auf unserer Ungarnfahrt damals. Es war schon fast Winter und die Felder waren abgeerntet, die Ernte eingefahren, aber "drüben" war nicht viel davon zu merken. Die Strohballen lagen wahllos rum und es gab auch noch zuviel Nichtzusammengeharktes. Wir waren recht verwundert, dass man das so verfaulen liess auf den Feldern. Jahre später las ich dann mal im Geo einen Bericht von der sogenannten Planwirtschaft, wo in Russland die Kartoffeln am 15 Oktober geerntet wurden, egal ob jetzt noch grün oder schon verfault. Vielleicht wars ja in Ungarn auch so. Oder die Leute haben resigniert, weil eh nix ihnen gehörte. In Budapest haben wir entfernte Verwandte meines Mannes besucht. Wir hatten keine Gelegenheit sie vorher zu verständigen und so kamen wir für sie überraschend ca um 11 Uhr. Die beiden waren noch im Bett, aber nicht weil sie gern so lange schliefen, sondern weil sie kein Geld für die Heizkosten hatten und eben so lange drinnen blieben um sich zu wärmen.
Als ich mit meinen Kindern mal nach dem Fall des Vorhanges in Sopron war, fiel mir schon ein enormer Unterschied auf - die Felder waren alle sauber abgeerntet....


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simba
luchs35
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Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von luchs35
als Antwort auf simba vom 06.10.2008, 15:16:37
@Simba, ich hänge mich bei dir an.

Junge,Junge, jetzt musste ich erst mal kräftig nachlesen, war bis jetzt unterwegs. Ich gehe deshalb nicht auf jeden Beitrag ein.

Doch was ich gelesen habe deckt sich mit dem, was mir die Menschen in Ostdeutschland kurz nach der Wende erzählten. Damals hatten die Leute noch ein besonderes Lieblingswort "Wendehals", sowie sie von jemand sprachen, der alles schlecht machte, was die DDR in einem besseren Licht dastehen liess.

An was ich mich in der Anfangszeit noch besonders gut erinnere, war die Angst vieler Menschen vor dem , was nun kommt und vor allem vor dem, was ihnen vorher als Propaganda gegen den Westen eingetrichtert worden war.
Manchmal kamen mir die Leute vor wie Kinder, die von jemand an der Hand genommen werden wollten, der ihnen zeigt, wie ihr Leben von nun an aussehen wird. Ihre Fragen waren so unsicher und zaghaft. Nur die unbekümmerten Jungen waren voller Neugier und Aufbruchstimmung.

Das zweite war die leise Hoffnung , dass sie nun in ein Land kämen, wo Milch und Honig fliesst. Wo man nur hinstehen muss und die Tauben fliegen gebraten in den Mund. Da wurden hochfliegende Pläne gewälzt , was nun alles möglich sein wird, wenn nur erst auch die DM da ist.
Ja, es stimmt, diese Ungeduld war da. Man wollte etwas und man wollte es sofort!
Mahnende Stimmen wurden hüben und drüben in den Wind geschlagen. Schweizer Geschäftsleute und Politiker sagten mir damals schon: Da kommt etwas auf den Westen zu, das unabsehbar ist, wenn es zu schnell kommt.

Sie haben wohl Recht behalten.

Von meiner Sicht aus wurden die Politiker Deutschlands von der Wirtschaft gedrängt, rein und abwickeln hiess die Parole. Als die DM eingeführt wurde, waren Quelle, Neckermann, C&A ...und und und schon da und standen bereit, die neugewonnene DM der Ostler schnellstens abzugreifen. Ich bin damals in Ostberlin durch diese Geschäfte gelaufen und habe mir das Angebot angesehen.

Ehrlich gesagt, ich habe lange gegrübelt, wo die auf die Schnelle soviel unmöglichen Ramsch herbrachten! Vor allem die Kleider waren ein Schock. Männerjackets kanariengelb, pink, grasgrün und auch noch andere Scheusslichkeiten waren die ersten Angebote mit dem Hinweis, dass dies topmodisch sei. Ich bezweifle allerdings, dass die Leute auf dieses Zeug reinfielen, die Abteilungen waren meist kundenarm.

Gott sei Dank haben die Ostdeutschen dann sehr schnell begriffen, was reell ist und wo sie einfach geleimt wurden und schlugen ganz ordentlich zurück.
Die knapp zwei Jahre, 1990 - 1992 , die ich zu zwei Dritteln beruflich und privat in Ostdeutschland verbrachte , waren für mich eine menschliche Lehrzeit, die ich nie missen möchte.

Über die heiteren und ernsten Erlebnisse könnte ich glatt zwei Bücher füllen. Vielleicht schreibe ich die noch, wenn ich alt bin )) Allein meine erste Fahrt per Auto im Mai 90 durch Dresden ist eine Geschichte, die heute noch die Lachtränen bei mir fliessen lässt, so wie die Dresdner damals lachten, als ich schräg im Auto hängend versuchte, den Wagen durch die badewannentiefen Löcher in den Strassen zu steuern, während die Trabbis in einem Affentempo rechts und links vorbeiflitzten!
Heute sind die Strassen dort tipptopp. Zu etwas muss die Wende doch gut gewesen sein )))!
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luchsi35
hugo
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Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von hugo
als Antwort auf EehemaligesMitglied58 vom 06.10.2008, 15:02:46
hallo gram, ob wir uns nun hier um die Wortwahl Flucht, Auswandern, Abhauen, Desertieren, Wegziehen oder wie auch immer streiten, der Fakt an sich bleibt bestehen, die Menschen flüchten von hier vor den Problemen, vor der Verarmung mit der Hoffnung auf ein noch besseres Leben und das war früher so und ist auch heute so und wird so bleiben,,

hier mal ein Bericht den die Westler so wohl eher selten zu lesen bekommen (Auszug)

Von der Hauptstadt Berlin aus geht es im Zug immer Richtung Norden, fast drei Stunden lang. Vorbei an Kiefern im Sand und alten Buchenwäldern, durch ein Land weiter Felder und langer Alleen, durch ein schlafendes Land, still und schön. Immer weiter geht es vorbei an stillgelegten Fabriken und verlassenen Höfen, durch ein Land leerer Gewerbeparks und rostiger Maschinen, durch ein stillgelegtes Land ohne Kraft, verbraucht und verlassen. Das Land heißt Mecklenburg-Vorpommern, an seinem Rand liegt die Ostseeinsel Usedom.

Seit der Wiedervereinigung sind fast 200.000 Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern weggezogen, bis 2020 werden von den heute knapp 1,7 Millionen Einwohnern wahrscheinlich noch einmal so viele Menschen ihrer Heimat den Rücken kehren, fast ausschließlich die Jungen. Sie gehen in der Hoffnung, im Westen eine Arbeit zu finden. Es gibt auf Usedom Dörfer, die in ein paar Jahren "Wüstungen" sein werden. Bisher war der Begriff für die entleerten Landstriche nach dem Dreißigjährigen Krieg reserviert

Die Menschen, die ihre Heimat nicht verlassen wollen oder können, kommen irgendwann in die Praxis von Dr. Wagner. Jeder Mensch ist einmal krank und André Wagner, 41, hat vor acht Jahren das "Landambulatorium" in der kleinen Stadt Usedom übernommen, nach der die ganze Insel benannt ist. Im "Landambulatorium" haben sich in der DDR drei Ärzte und zwei Zahnärzte um die Patienten gekümmert.

Heute ist Wagner allein zuständig für rund 4.500 Menschen in einem Umkreis von fast 30 Kilometern,,,,,,Fast 70 Prozent von Wagners Patienten sind Rentner, sie heißen auf Usedom "Fußkranke", das sind diejenigen, die zu alt sind, um wegzugehen. Rheuma, Gicht, Herzprobleme, Alterszucker sind die häufigsten Leiden, die Wagner in seiner Praxis behandelt. In seinen Krankenakten fehlen die Leute zwischen 20 und 30 Jahren. Die Jungen leben in Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart.
Ende Zitat

was glaubst Du, welch tolle blühende Landschaften die Menschen hier noch erwarten ? Denen ist der Glaube daran abhanden gekommen, die wählen rechts und links oder gar nicht,,die würden flüchten (FLÜCHTEN) wenn sie denn nur könnten, wenn es denn irgendwo für sie einen Hoffnungsschimmer gäbe,,

ich wünschte, allen Ex Ostlern würde es so gut gehen wie uns beiden, oder halb so gut, dann hätt ich wenig zu meckern,,,aber ich seh rund um mich das was viele von Euch nie sehen,,,und nur mal ab und zu in einer Sendung des mdr zu sehen bekommen aber wer guckt den schon ??

luchsi schrieb u.a. :An was ich mich in der Anfangszeit noch besonders gut erinnere, war die Angst vieler Menschen vor dem , was nun kommt und vor allem vor dem, was ihnen vorher als Propaganda gegen den Westen eingetrichtert worden war.
sehr gut beobachtet, da stimmt jedes Wort. (trifft zwar nicht für alle Ossis zu aber de Richtung hat sie erkannt)
leider ist das nun eben doch teilweise eingetroffen und außer großen Worten tut sich für diese armen Menschen eben nix,,,

die Merkel denkt Tag und Nacht an Börsenmanager an Außenpolitik an Wiederwahl ,,ihre letzte Idee für den Osten war die Weiterführung des Solidarpaktes II. und ihr Dank zum 3. Okt 2007 an jene, die den Aufbau Ost voranbrachten.

in den letzten ca 120 Wochen kam in ihren Video Podcasts -welche einen Überblick über Ihr Tun und Lassen zeigen sollen- dieses Problem überhaupt nie richtig zur Sprache,,,


--
hugo

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hafel
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Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von hafel
als Antwort auf luchs35 vom 06.10.2008, 17:17:04
@ Luchsi: Ich kann alles ebenso nachempfinden.
Ich möchte Deinem guten Bericht um eine Sache ergänzen. Kurz nach der Wende bekamst Du im gesamten Westen kein gebrauchtes Auto. Wehe, Du brauchtest eins!!! Alle Gebrauchtwarenhändler hatten ihre (zum Teil Schrottkisten) in den Osten buchsiert, da die Nachfrage dort Riesengroß war. Noch heute wird man (fast) jedes Schrottauto los. In Neustadt/Ostsee fährt jede Woche ein Dampfer Richtung Russland, wo man sofort gegen Bargeld seine "Schrottkiste" los wird. Brrrrrrr.

PS: "Wendehälse" wurden diejenigen genannt, die ihre Gesinnung nach dem gerade herrschenden Wind ausgerichtet hatten. Heute SED- morgen CDU. Die hatten wir aber nach dem zweiten Weltkrieg auch.
--
hafel
EehemaligesMitglied58
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Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von EehemaligesMitglied58
als Antwort auf luchs35 vom 06.10.2008, 17:17:04
Luchsi, nur damit das richtig ankommt.
Nach deiner fassung wären die bürgerrechtler und ddr kritiker ja alles wendehälse gewesen.
Als wendehals wurde nach der wende der oder die bezeichnet, die noch zu ddr zeiten stramme genossen spielten oder begeistert zu jedem anlaß die fahne raushingen.
Nach der wende spielten sie sofort die neubegeisterten und hingen ihr mäntelchen wieder in den neuen wind.

Aber solche leute gibts wohl überall und zu jeder zeit.

Pardon, aber hafel war schneller als ich mit der erklährung für den wendehals.
--
gram
hugo
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Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von hugo
als Antwort auf EehemaligesMitglied58 vom 06.10.2008, 17:57:39
ok gram und hafel, das habt ihr beide ordentlich erklärt,,,Politische Wendehälse, so verstehe ich das auch,,

aber was machen wir nun mit Leuten die sich nicht spontan wendeten sondern nach langanhaltendem inneren Kämpfen und schwierigen Entscheidungsfindungen zu neuen aktuellen Überzeugungen gelangt sind ?

Ab wann sprechen wir nicht mehr vom Wendehals,, habt ihr dafür eine Idee ?

Irgendwann muss für Euch doch aus einem Wendehals ein normaler Mensch werden können und aus einem Betonkopf ein ehemaliger Betonkopf *g*

ich hoffe ihr versteht auch meine etwas überspitzt formulierte Frage nicht als all zu ernsten Angriff auf heutige -immer noch vorhandene- Befindlichkeiten *g*
--
hugo

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luchs35
luchs35
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Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von luchs35
als Antwort auf EehemaligesMitglied58 vom 06.10.2008, 17:57:39
gram, die Bürgerrechtler waren doch bestimmt damit nicht gemeint.

Eine Frau erklärte mir damals den für mich neuen Ausdruck so: "Die Wendehälse haben uns gepiesakt bis aufs Blut, kehrten die ganz Linientreuen raus. Und als die Mauer fiel, waren sie plötzlich lammfromm und hatten natürlich mit nix was am Hut!Im Gegenteil, plötzlich wurde nur noch auf die DDR geschimpft und dass sie glücklich sind, dass es nun so kam."

War von mir wohl missverständlich ausgedrückt.











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luchsi35
EehemaligesMitglied58
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Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von EehemaligesMitglied58
als Antwort auf luchs35 vom 06.10.2008, 19:39:42
Jetzt passt es.
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gram

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