Diskussion historischer Ereignisse Erinnerungskultur

hugo
hugo
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Re: Erinnerungskultur
geschrieben von hugo
als Antwort auf lotte2 vom 09.01.2011, 07:29:59
Diesen Weg in der Deutschen Geschichte ....Er wird auch noch kaum aufbearbeitet ....Die Generationen - ab ca 1940 Geborene und alle Jüngeren bis zu Wende --- werden stolpern, wenn sie sich erinnern ( wollen, können usw.... (lotte)

ja, lotte, da sprichste eine große Wahrnehmung gelassen aus.

ich seh das ungefähr so:
zwei Sportler beginnen einen Lauf über viele Jahre.
Der eine quält (und stolpert, wie Du schreibst)sich noch in Gummistiefeln über eine lehmige mit tiefen Pfützen übersäte Laufbahn
da stürmt der andere schon mit Turnschuhen über seine Tartanbahn

da bekommt der arme, sich quälende abseits von der Bahn einen Bottich mit abgestandenem Wasser hingestellt aus dem er sich bedienen muss
da fährt neben dem anderem schon ein modernes Begleitfahrzeug und bietet gekühlte Hochleistungs Getränke,,

,,und jedesmal wenn sich die beiden begegnen, dann streckt der Schnellere dem Anderem die Zunge raus, zeigt Ihm den Vogel, amüsiert sich köstlich über diesen lahmarschigen Nichtsnutz und macht seine beleidigenden Witze,,,

Nun hat die Geschichte jedoch nicht mit dem endgültigem Sieg des Abgehobenen und dem Tod durch Erschöpfung des andern geendet, nein sie wurden -wie auch immer- zu einer Mannschaft zusammengefügt.

Plötzlich haben beide -neben den Resten der alten Sichtweise- auch eine völlig neue Sicht aufeinander, die theoretische Möglichkeit sich gegenseitig zu helfen, zu unterstützen, zu befruchten, anzuspornen usw,,

aber was tun sie ?? in der Praxis gibts ein Sammelsurium von echter Hilfe bis hin zu heimtückischer hinterhältiger Dolchstoßlegendenbildung mit allen möglichen dazwischenliegenden Schattierungen,,


Das Paradoxe -- anscheinend Paradoxe waren dann die "Freundschaftsspiele aller Art ---der friedliche Wettkampf unter sozialistischen Freunden ... (lotte)

die Freundschaftsspiele die man für heute erwartet und erhofft hätte, haben sich zu einem dramatischem Überlebenskampf großer Menschenmassen im geeinten Deutschland gewandelt,, das geht nun schon soweit -wer von uns hätte das 1990 jemals auch nur im Entferntesten geglaubt ?- das sich neuerdings sogar die optimistischste Regierung, die mit den blühenden Versprechern, zur alljährlichen Herausgabe eines "Armutsberichtes", genötigt sieht.

bei mir erzeugt dies ein dermaßen würgendes Gefühl in der Kehle,, ich kann das gar nicht beschreiben,,,die BRD, der superreiche Wohlstandsstaat, die Republik mit den meisten Millionären in Europa, dem größten Batzen verfügbarem Geldes in Privatbesitz, der scheinbar gerechtesten Verfassung (von Menschenwürde ist da die Rede,,) leistet sich diese völlig unnötige unmenschliche Ungerechtigkeit ,,eine Masse abgehängter, ausgegrenzter, sich ihren Lebensunterhalt erbetteln müssender, auf vieles was das Leben lebenswert macht, verzichten müssender Mitbürger,,,eigentlich eine Katastrophe allergrößten Ausmaßes.


ps und diesen Sausstaat soll ich noch loben, den soll ich durch Vergleich mit der miesen Situation in der DDR optisch besser dastehen lassen? Für eine Kritik an diesen Verhältnissen soll ich mich noch entschuldigen oder gar Empfehlungen entgegennehmen vonwegen nach Nordkorea auszuwandern ??

muss doch allerhand Bekloppte hier geben, die -nur ihr eigenes Konto im Blick- die geschönte Sicht unserer Kutscher annehmen und gar nicht mehr mitbekommen das wir diese immer fetter Werdenden mit immer mehr Aufwand und zunehmenden Entbehrungen, hinter uns herziehen, anstatt sie abzukoppeln.


hugo

schorsch
schorsch
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Re: Erinnerungskultur
geschrieben von schorsch
als Antwort auf miriam vom 06.01.2011, 23:48:15
1 Erinnerung ist nicht das Abbild der Realität; es bräuchte die Erinnerungen von Millionen von Zeitgenossen, um einigermassen eine Realität zu erzeugen.

Oder anders ausgedrückt. Jeder Mensch hat sein eigenes Bild der Ereignisse in seiner Erinnerung. Nur wenn man dieses Bild mit den Bildern von vielen Zeitgenossen abgleicht - und dann auch gewillt und fähig ist, sein eigenes Bild zu korrigieren -, entsteht ein der Wahrheit einigermassen entsprechendes Ganzes der Erinnerungen.

Erinnerungen sind oft nicht Tatsachen, sondern sind mit Wünschen, wie es hätte sein sollen, vermischt.

Beispiel: Die Erinnerungen eines Holocaust-Opfers entsprechen nicht den Erinnerungen eines SS-Offiziers, der zu genau der gleichen Zeit genau den gleichen Tatbestand erlebt hat.
miriam
miriam
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von miriam
Liebe Freunde,

das Thema entwickelt sich noch spannender und facettenreicher als ich es mir vorgestellt hatte beim Schreiben meines ersten Beitrags.

Vorläufig nur diese allgemeine Anmerkung, gestern hatte ich ja keine Zeit für das Forum, nun möchte ich über jeden einzelnen Beitrag nachdenken.

Wobei dies natürlich nicht bedeutet, dass ich den Durchblick bei diesem Thema habe.

Schorsch schrieb:


"Jeder Mensch hat sein eigenes Bild der Ereignisse in seiner Erinnerung. Nur wenn man dieses Bild mit den Bildern von vielen Zeitgenossen abgleicht - und dann auch gewillt und fähig ist, sein eigenes Bild zu korrigieren -, entsteht ein der Wahrheit einigermassen entsprechendes Ganzes der Erinnerungen."

Das gleiche gilt wahrscheinlich auch für die Auffassung, was eigentlich Erinnerungskultur bedeutet. Es ist anzunehmen, dass dieser Begriff unterschiedlich verstanden wird.
Nun - genau dies sind für mich die Themen die mich im Rahmen eines Diskussionsforums interessieren.

Danke Euch - und bis später

Miriam



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adam
adam
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von adam
als Antwort auf hugo vom 09.01.2011, 09:28:40
ch seh das ungefähr so:
zwei Sportler beginnen einen Lauf über viele Jahre.
Der eine quält (und stolpert, wie Du schreibst)sich noch in Gummistiefeln über eine lehmige mit tiefen Pfützen übersäte Laufbahn
da stürmt der andere schon mit Turnschuhen über seine Tartanbahn

da bekommt der arme, sich quälende abseits von der Bahn einen Bottich mit abgestandenem Wasser hingestellt aus dem er sich bedienen muss
da fährt neben dem anderem schon ein modernes Begleitfahrzeug und bietet gekühlte Hochleistungs Getränke,,

,,und jedesmal wenn sich die beiden begegnen, dann streckt der Schnellere dem Anderem die Zunge raus, zeigt Ihm den Vogel, amüsiert sich köstlich über diesen lahmarschigen Nichtsnutz und macht seine beleidigenden Witze,,,
geschrieben von hugo


hugo,

Du bringst ein gutes Beispiel, wie die Erinnerung verzerrt werden kann.

Klar lief der Sportler mit Gummistiefeln langsamer als der mit Turnschuhen. Die Ursache war aber, daß man dem einen ermöglicht hat, sich Turnschuhe zu besorgen, während es beim anderen im Rahmen der Gleichschaltung verhindert wurde. Es durfte ja niemand was besseres haben. So ist es auch mit den Erfrischungen und dem Begleitfahrzeug.

Auf das Zunge raus strecken möchte ich gar nicht eingehen. Es stimmt einfach nicht, dazu war keine Zeit beim Mallochen unter Konkurrenz- und Zeitdruck und wer sich von einem stressbedingten Herzinfarkt erholte oder daran gestorben ist, hatte anderes im Sinn als Zunge rausstrecken oder konnte es nicht mehr.

Es heißt ja immer, daß die Geschichte von den Siegern geschrieben wird. Das stimmt nicht ganz. Sie wird gleichzeitig auch von denen auf der Verliererseite geschrieben, die die Niederlage zu verantworten haben. Das ist ja auch logisch. So wie die Sieger versuchen, sich möglichst im Sieg zu sonnen, versuchen die Verantwortlichen der Niederlage die Verantwortung von sich zu schieben. Und dann kommt es zu Vergleichen, wie Du sie bringst.

Allerdings ist es nach 20 Jahren müssig, sich im Sieg zu sonnen, wenn schon lange Wolken aufgezogen sind, die die Schatten der Geschichte zeigen. Und der verantwortliche Verlierer, der immer noch versucht, die Niederlage von sich zu weisen, benimmt sich wie ein Fußballspieler, der 20 Jahre nach Abpfiff des verlorenen Spiels immer noch auf dem Platz steht und auf den Schiedsrichter schimpft. Es wirkt ein bißchen lächerlich. Das ist mein Beispiel, die Geschichte mittels Sport zu erklären.

--

adam


miriam
miriam
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von miriam
Wir entdecken hier immer mehr Facetten dessen was letztendlich unsere Erinnerungskultur ausmacht.
Wahrscheinlich sind wir nicht alle einer Meinung bezüglich dessen was für uns persönlich zur Erinnerungskultur gehört – aber auch dies ist Sinn dieses Themas.

Nun möchte ich hier über zwei Persönlichkeiten berichten, die einerseits durch ihren Beitrag dazu, gleichzeitig auch ein Stück Erinnerungskultur ausmachen.
Die Voraussetzungen der beiden dafür sind fast unvorstellbar unterschiedlich.

Der eine ist Gottfried Wagner, Musikhistoriker und Urenkel von Richard Wagner, der andere ist Abraham Peck, Historiker, Sohn einer jüdisch-polnischen Familie die den Holocaust überlebt hat.
Der Urenkel eines großen Antisemiten und der Sohn von Holocaustüberlebenden suchen gemeinsam eine Antwort und führen zu diesem Zweck, 15 jahrelang einen Dialog. An dessen Ende erschien das gemeinsame Buch:

"Unsere Stunde Null – Deutsche und Juden nach 1945".

Darin sind die jeweiligen Familiengeschichten enthalten - doch der Anfang des Dialogs findet am ehemaligen Güterbahnhof Berlin-Grunewald statt – Bahnhof der seinerzeit der Anfang einer Reise in dem Tod war für 50.000 Juden, die ins KZ verschleppt wurden.

Ich denke, dass die Überwindung von solch belastenden Lebensgeschichten eher gemeinsam, in einem ehrlichen aber schmerzhaften Dialog stattfinden kann.
Und vielleicht liegt da am ehesten die Antwort zur Frage des Umgangs mit dem Leben.

Am Ende dieser 15 Jahre unternehmen beide zusammen eine sehr schmerzhafte Reise durch Deutschland und Polen - auf der Suche nach dem Ursprung der Familie Peck.
Und ihr gemeinsamer Blick richtet sich in die Zukunft, sie suchen gemeinsam nach Antworten um eine neue Tragödie zu vermeiden.

Dazu sagt der Holocaust-Experte Abraham Peck:


"Wir sind kein Täter, wir sind kein Opfer. Aber es gibt in der Tat auch die Frage, was für eine Stunde Null brauchen wir? Ich würde sagen, jetzt, innerhalb dieser Krise, dieser so genannte clash of civilizations, zwischen Westen und Islam, gibt es auch die Möglichkeit ein Nationalgespräch noch einmal anzufangen zwischen den drei leitenden Religionen der Welt, Christentum, Judentum und Islam."

Und der Musikwissenschaftler Gottfried Wagner sagt dazu:

"Wir glauben, dass wir Ansätze mit diesem Buch geben, wo wir sagen können, wir sind ein ganz kleines Stückchen eines schwierigen Weges gegangen, um sagen zu können 'unsere Stunde Null'."

Miriam
Urego
Urego
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Re: Erinnerungskultur
geschrieben von Urego
als Antwort auf miriam vom 09.01.2011, 12:42:35


@ miriam

Könntest Du bitte ein paar nähere Angaben zu dem Buch geben. Ich meine, ich habe nichts in Deinem Artikel gefunden. Das Buch würde mich interessieren.

Urego

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adam
adam
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von adam
als Antwort auf miriam vom 09.01.2011, 12:42:35
Und der Musikwissenschaftler Gottfried Wagner sagt dazu:

"Wir glauben, dass wir Ansätze mit diesem Buch geben, wo wir sagen können, wir sind ein ganz kleines Stückchen eines schwierigen Weges gegangen, um sagen zu können 'unsere Stunde Null'."


Liebe Miriam,

Du hast den Anstoß zum Thema "Erinnerungskultur" gegeben und jetzt muß ich Dir sagen, daß zu meiner Erinnerungskultur nicht nur der Holocaust gehört, sondern daß er Bestandteil einer Gesamtheit ist. Aus diesem Grund kann es für mich auch keine Stunde Null für Teile von Kultur oder Erinnerung geben, in dem Sinn, daß vorher nichts war oder so getan wird als ob.

Jede Erinnerung beruht, wie auch jeder Abschnitt der Kultur auf vorausgehenden Ereignissen. Es kann einen Schlußstrich in Bezug auf politische Handlungsmöglichkeiten geben, aber keinen in der Erinnerung. Da wäre eine Stunde Null verhängnisvoll, weil sie das Ziehen von Lehren verhindert, da wichtige Entwicklungen fehlen würden, aus denen man lernen kann.

Erinnerungskultur soll ein möglichst wahres Bild ergeben. Wird in dieses Bild ein Stunde Null eingepaßt, wird das Bild nicht nur verwischt, sondern es folgt fast automatisch die Frage, wem die Stunde Null, für dieses Segment der Erinnerungskultur, nützten oder schaden soll. Diese Frage sollte, meiner Ansicht nach, nicht möglich gemacht werden.

--

adam

miriam
miriam
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von miriam
als Antwort auf adam vom 09.01.2011, 14:31:42
Erinnerungskultur soll ein möglichst wahres Bild ergeben. Wird in dieses Bild ein Stunde Null eingepaßt, wird das Bild nicht nur verwischt, sondern es folgt fast automatisch die Frage, wem die Stunde Null, für dieses Segment der Erinnerungskultur, nützten oder schaden soll. Diese Frage sollte, meiner Ansicht nach, nicht möglich gemacht werden.
geschrieben von adam


Da teile ich deine Meinung nicht, Adam. Fragen sollten immer möglich sein, auch wenn wir bei manchen festellen müssen, dass wir sie nicht beantworten können - oder sie nicht beantworten wollen.

Wenn man Erinnerungen von Holocaustüberlebenden liest, stellt man bei der Mehrheit fest, dass sie mit ihren eigenen Kindern bzw. jüngeren Verwandten, nie darüber gesprochen haben.

Doch ihre Erinnerungen sind mir persönlich sehr wichtig.
Natürlich nicht nur mir – es sind so viele solche filmische Dokumente - zum Beispiel im Werk von Claude Lanzmann, Shoah, enthalten, in denen man feststellt mit wieviel Feingefühl aber auch Beharrlichkeit, Lanzmann seine Fragen wiederholen muss.

Natürlich gab es eine Zeit vor dem Dritten Reich – natürlich erleben wir nun diese nicht immer einfache, Nachkriegszeit.

Ich denke schon, dass mit gutem Recht, unsere persönlichen Erinnerungen viel mit unserer Biographie und mit unserem Alter zutun haben.
All dies zusammen bildet unsere Erinnerungskultur – und es ist halt so, dass für manche Erinnerungen anderer, wir keine Beziehung herstellen können, nicht in Form einer Empathie, nicht indem wir sie abstoßend finden.

Miriam
lotte2
lotte2
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von lotte2
als Antwort auf miriam vom 09.01.2011, 16:33:36
es tut mir Leid, miriam, dass ich Dein Thema vorhin offensichtlich für Dich unannehmbar auf die deutsche Geschichte erweiterte ..


noch ein Hinweis ... ich las eben die Tagebücher Viktor Klemperers zuende.. 1933 bis 1945

In diesen aktuellen Direktzeugnissen eines Überlebenden des Holocausts -- die ja nicht Erinnerungen ,sondern jeweils Tages - Gegenwart sind, wird vieles deutlich, woran wir Älteren hier uns noch erinnern ... und das Bild des Alltagsdeutschen wird realistisch gezeigt ....
Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf adam vom 09.01.2011, 14:31:42
Für mich bringt Wikipedia Stichwort "Erinnerungskultur" einen sehr guten Überblick.

"Erinnerungskultur" als anderer Ausdruck für Erinnerung an den Holocaust finde ich ungerechtfertigt einschränkend. Wenn es darum geht, dann wäre es wesentlich besser den nicht umschreibenden Ausdruck zu verwenden, um nicht auf "Abwege" zu geraten.

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