Forum Politik und Gesellschaft Innenpolitik 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST

Innenpolitik 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST

justus39
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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von justus39
als Antwort auf wandersmann vom 13.10.2015, 10:34:36
Das ist ja das Erheiternde an der ganzen Situation, alle waren gefechtsbereit, aber völlig ratlos.
Die Staatsmacht hätte es sicherlich auch auf einen Bürgerkrieg ankommen lassen, aber es gab kein grünes Licht aus Moskau. Es gab weder einen Befehl noch einen konkreten Gegner.
Es war tatsächlich die die friedliche Massenbewegung, welche sich von Leipzig und Berlin über die ganze DDR verbreitete, gegen die alle mobil gemachten Hundertschaften und Kampfeinheiten mit ihren Waffen machtlos waren.

Horst Sindermann vom SED-Zentralkomitee sagte dazu Jahre später: "Wir hatten alles geplant, wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete."

Wenn das Volk erst einmal einig und entschlossen in Bewegung geraten ist, stellt es eine Macht dar, die nicht zu besiegen ist. Das haben hoffentlich auch unsere Politiker daraus gelernt.

justus
sittingbull
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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von sittingbull
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.10.2015, 09:29:01
Das war - neben der Disziplin der Demonstranten entscheidend für den friedlichen Verlauf an der Grenze.


wesentlich für den friedlichen Verlauf , war vor allem die disziplin
der Genossen des Grenzschutzes , der Volkspolizei und die realistische
einschätzung der situation durch das Politbüro im ZK der SED .

sitting bull
Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf sittingbull vom 13.10.2015, 12:29:00
"wesentlich für den friedlichen Verlauf , war vor allem die disziplin
der Genossen des Grenzschutzes , der Volkspolizei und die realistische
einschätzung der situation durch das Politbüro im ZK der SED ."
geschrieben von sittinbgbull


Deine Einschätzung stellt die tatsächlichen Vorgänge - wie nicht anders von dir zu erwarten war - auf den Kopf.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie du als Marxist das Kausalitätsprinzip,also das Ursache-Wirkungs-Prinzip, welches bei Marx eine entscheidene Rolle spielt, auf den Kopf stellst.

Die Ursachen waren nicht die Demonstrationen also die Demonstranten, sondern die Ursache FÜR die Demonstrationen war die menschenfeindliche Politik von Partei und Regierung - also die Politik des Politbüros der DDR, das eben NICHT in der Lage war, die Situation in der DDR realistisch einzuschätzen.

Grenzschutz und Polizei konnte nur auf Befehle reagieren - und die kamen nicht, denn das Politbüro hatte keine andere Wahl nach dem "Rückzug" der Russen. Um ihre eigene Haut zu retten, taten sie nichts.
Die Demonstranten allerding waren der entscheidene Faktor. Es gab keine Gewalt- nur friedliche Demonstrationen - immer wieder mit dem Hinweis auf die Gewaltlosigkeit. Damit entfielen Eingreifgründe für Polizei, Grenzschutz...in der entscheidenden Phase.

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wandersmann
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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von wandersmann
als Antwort auf justus39 vom 13.10.2015, 12:16:31
Die Staatsmacht hätte es sicherlich auch auf einen Bürgerkrieg ankommen lassen, aber es gab kein grünes Licht aus Moskau.
geschrieben von justus_39


Da bin ich mir nicht sicher, aber selbst wenn sie der Armee und der Polizei den Befehl erteilt hätte, die Demonstrationen mit Gewalt zu beenden, ist fraglich, ob diese das auch getan hätten. Ich könnte mir eher vorstellen, dass (Achtung karl: was jetzt folgt, ist eine Vermutung!) es ausgegangen wäre, wie die Nelkenrevolution 1974 in Portugal, dass sich die Armee an die Seite der Demonstranten gestellt hätte.

wandersmann_1(wandersmann_1)


Sittingbull hat mit seiner Einschätzung meiner Ansicht nach schon recht, es ist auch der Besonnenheit einzelner Bereiche der Staatsmacht zu verdanken, dass die Eskalation ausblieb.
Die friedlich Wende, in deren Verlauf ein gesamtes Gesellschaftssystem umgekrempelt wurde, ist ja in der Rückschau auch ein Indiz dafür, dass wir mal ein gebildetes, politisch und charakterlich reifes Volk waren.
sittingbull
sittingbull
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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von sittingbull
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.10.2015, 13:01:55
Es ist immer wieder erstaunlich, wie du als Marxist das Kausalitätsprinzip,also das Ursache-Wirkungs-Prinzip, welches bei Marx eine entscheidene Rolle spielt, auf den Kopf stellst.


die Überlegungen des Marxismus beruhen nicht auf profanen Kausalitäten ...
sondern auf dem philosophischen konstrukt des Dialektischen Materialismus .

sitting bull
justus39
justus39
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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von justus39
als Antwort auf wandersmann vom 13.10.2015, 13:06:12
Es war viel, viel ernster, als es heute gesehen wird.

Die DDR-Führung hatte nur die Geburtstagsfeiern um den 07. Oktober friedlich abgewartet und war sehr wohl bereit am 09. Oktober in Leipzig ein Exempel zu statuieren.

Mannschaften, Schützenpanzerwagen und Wasserwerfer standen bereit, und wie später bekannt wurde, sind in den Krankenhäusern zusätzliche Betten bereitgestellt und die Vorräte an Blutkonserven aufgestockt worden.
In der Leipziger Innenstadt wurden Schulen, Kindergärten und Geschäfte geschlossen.
Die Staatsführung war zu einem kompromisslosen Großeinsatz bereit.

Nur dadurch, dass sich kein Anlass zum Eingreifen bot, dass am Abend die Demonstranten, die sich zum Friedensgebet in der Nicolaikirche getroffen hatten, auf dem anschließenden Marsch mit Kerzen in die Innenstadt immer mehr und mehr wurden, friedlich und diszipliniert verhielten, dass sie von Persönlichkeiten wie Kurt Masur und Pfarrer Peter Zimmermann begleitet wurden, blieben die Sicherheitskräfte passiv. Sie wurden zudem auch noch von den Prominenten zur Besonnenheit und Gewaltlosigkeit aufgerufen.
Sogar Mitglieder der SED- Bezirksleitung unterstützten den Aufruf an die Schützenkommandos, nicht gegen die Demonstranten vorzugehen.

Es war schon fast ein Wunder, dass es so unblutig verlaufen ist.

justus

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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf wandersmann vom 13.10.2015, 13:06:12
"...es ist auch der Besonnenheit einzelner Bereiche der Staatsmacht zu verdanken, dass die Eskalation ausblieb."


Schon - aber garantiert nicht der Besonnenheit der obersten Führungsriege - also Politbüro.
Hier spielte meines Erachtens ganz allein die fehlende russische moralische und vor allen Dingen militärische Unterstützung eine Rolle.
Auf Anweisung des Politbüros waren alle Vorbereitungen getroffen worden, die Konfrontation mit Gewalt zu "lösen".
Siehe "Justus" und nicht zu vergessen die landesweit vorbereiteten Internierungslager für Kritiker des SED-Staates (Kennwort Rosenstock).
wandersmann
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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von wandersmann
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.10.2015, 15:38:13
@ klaus

Die oberste Riege war hier auch nicht angesprochen.
Aber, um nur mal ein Beispiel zu nennen, gut einen Monat nach diesen Demonstrationen verkündete Schabowski die Öffnung der Grenzen für jedermann, ohne dass auch nur einer der Angehörigen der Grenztruppen davon zuvor in Kenntnis gesetzt worden wäre. Die standen an der Grenze, waren vereidigt und vergattert und hätten die ihnen gegebenen Befehle ausführen müssen. Die Generäle im GKM wussten nicht, wie sie angesichts der Lage handeln sollen, und schoben die Verantwortung auf die unteren Ebenen ab, auf den jeweiligen KGS der Grenzkommandos 33; 34 und 35. Dass die mit der Situation heillos überfordert waren, muss man nicht weiter ausführen. Einen Befehl zur Grenzöffnung hatten sie nicht. Dass es an den Grenzübergangsstellen in jener Nacht kein Blutvergießen gab, ist auch den verantwortlichen Grenzoffizieren der GÜST zu verdanken. Mal völlig ausgeblendet, was die einst motivierte, diesen Beruf auszuüben. Das hätte dort auch alles ganz anders kommen können.
justus39
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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von justus39
als Antwort auf wandersmann vom 13.10.2015, 13:06:12

......... es ist auch der Besonnenheit einzelner Bereiche der Staatsmacht zu verdanken, dass die Eskalation ausblieb.
Die friedlich Wende, in deren Verlauf ein gesamtes Gesellschaftssystem umgekrempelt wurde, ist ja in der Rückschau auch ein Indiz dafür, dass wir mal ein gebildetes, politisch und charakterlich reifes Volk waren.

Mit der Einschränkung "einzelner Bereiche" magst Du schon Recht haben.

Im Vorfeld hatte Erich Honecker die SED-Bezirksverwaltungen zwar angewiesen, Krawalle durch "entsprechende Maßnahmen von vornherein zu unterbinden". Als es aber soweit war, hatte er sich zurückgezogen und war nicht mehr erreichbar. Die Einsatzleitung in Leipzig erlässt daher den Befehl, nicht auf die Demonstranten zu schießen, und wie es hieß hat Egon Krenz diese Entscheidung im Nachhinein auch noch abgesegnet.

Der Zug der Demonstranten soll zum Schluss auf 70 000 Menschen angeschwollen sein, die mit Kerzen in der Hand friedlich die Leipziger Innenstadt füllten. Dass das so friedlich ablief war tatsächlich ein Aufbruchsignal und ein Beweis, wie stark ein Volk auch ohne Waffen sein kann.

justus
sittingbull
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Re: 25 Jahre Deutsche Einheit und die Ossi-Wessi Debatte im ST
geschrieben von sittingbull
als Antwort auf justus39 vom 13.10.2015, 16:17:49
Der Zug der Demonstranten soll zum Schluss auf 70 000 Menschen angeschwollen sein, die mit Kerzen in der Hand friedlich die Leipziger Innenstadt füllten. Dass das so friedlich ablief war tatsächlich ein Aufbruchsignal und ein Beweis, wie stark ein Volk auch ohne Waffen sein kann.


ich möchte euch eure "friedliche Revolution" ja nicht madig machen ...

aber selbstverständlich war es im engeren sinne eigentlich gar keine Revolution , sondern die im historischen kontext fällig gewordene
einsicht des staates der DDR , dass der Sozialismus im globalen Klassenkampf vorübergehend eine niederlage hinnehmen muss .

das seitens der staatsgewalt gegenmassnahmen durchgespielt wurden , ist
eine sache ... dass sie nicht durchgesetzt worden sind und damit ein bürgerkrieg und potentiell auch ein weltkrieg verhindert wurde , kann man nicht genug loben .

es gibt in der geschichte bürgerlicher staaten kaum oder besser keine beispiele , die mit dieser haltung vergleichbar wäre .

wegen 70000 oder auch 500000 mit kerzen bewaffneten demonstranten , geht
hier sicher keiner nach hause ...

sitting bull

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