Forum Politik und Gesellschaft Innenpolitik Auf dem Weg zur Inklusion

Innenpolitik Auf dem Weg zur Inklusion

mane
mane
Mitglied

Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von mane
als Antwort auf DonRWetter vom 15.08.2015, 14:48:55
Ich finde den Begriff "gehandikapt" treffend. Er sagt zwar nichts anderes aus, als "behindert", hat aber meiner Meinung nach nichts Beschönigendes an sich, sondern beizeichnet letztendlich - nicht in der wörtlichen Übersetzung, sondern im heutigen Sinn dieses Begriffs - daß jemand in einem bestimmten Bereich nicht die gleich ausgeprägten Fähigkeiten hat, wie der Durchschnitt. Aus welchem Grunde auch immer.


Hallo DonRWetter,

ich sehe das anders, was aber nicht bedeutet, dass wir nicht beide Begriffe hier verwenden dürfen.
Mane
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von Mareike
als Antwort auf mane vom 14.08.2015, 19:08:50


Was meint Ihr, sind wir bereits eine inklusive Gesellschaft oder sind wir noch weit davon entfernt? Ist Inklusion überhaupt auf jedem Gebiet sinnvoll? Können z.B. schwerstbehinderte Kinder in einer Regelschule optimale Bedingungen vorfinden oder besteht nicht eher die Gefahr, dass sie dort "untergehen"?

Gruß Mane
geschrieben von mane


Hallo Mane,
ich greife nur mal die Frage Regelschule und Inklusion auf:
Ich bin der Meinung, dass unsere heutige Regelschule im Grunde keinem Kind gerecht wird.

Brave angepasste Mädchen und Jungs kommen noch so einigermaßen klar, besonders wenn sie linear veranlagt sind.

Der größere Teil der Menschheit denkt geradlinig, linear: Ein Ziel wird auf direktem Weg und mit gleichmäßiger Geschwindigkeit angesteuert, bis es erreicht ist.

Schule und Karriere verlangen lineares Denken.

Nun ist das lineare Denken durchaus die Regel und so ist es erklärbar, dass das Schulsystem so ist, wie es ist.

Brav und angepasst sind die meisten Kids heutzutage jedoch nicht.
Da hat die Lehrerschaft tagtäglich zu kämpfen.

Die LehrerInnen brauchen nun in hohem Maße die Fähigkeit vernetzt zu denken und zu handeln - offen und experimentierfreudig. Dies sind allerdings nicht gerade Eigenschaften, welche im Studium vorrangig gefördert werden.
Diesen kreativen Typus LehrerIn findet man zur Zeit am ehesten im Sonderschulbereich. Und da macht häufig die Not erfinderisch...

Kreative Menschen denken in der Regel nicht linear sondern divergent.
Beim divergenten Denken wird das Ziel im Geiste weiträumig umkreist und alle Möglichkeiten der Annäherung geprüft, um den interessantesten Weg auszuwählen, der dann aber auch spontan zugunsten eines vermeintlich besseren geändert werden kann. Das wirkt dann chaotisch.

Wie sich diese Veranlagung im schulischen Alltag auswirkt - ich habe jetzt diese unruhige, wibbelige, witzige, sprühende Kids vor Augen - (oft Jungs - früher unsere Jäger - immer auf der Hut), ich glaube viele Eltern können jetzt ein Liedchen singen...
Hier kommt immer mehr die Droge Ritalin zum Einsatz.
Chemie statt kreative Pädagogik.

Nein, ich übertreibe nicht.

Eine Tochter ist im Sonderschulbereich tätig.
Sie arbeitet im Schwerstbehindertenbereich,sie unterrichtet, beschult, betreut, (wie soll man es benennen?) blinde Kinder mit Mehrfachbehinderung, geistig und körperlich.
Vieles ist da möglich in Sache Förderung, allerdings immer mit ganz individuellem Ansatz.
Aber sogar in diesen Spezialschulen bleibt vieles auf der Strecke weil die Gruppen zu groß sind.

Meine Tochter war ein Jahr lang als "Sonderschullehrerin auf Rädern" unterwegs in Sache Inklusion.
Vieles ist zum Haareraufen.

Ich befürchte mein Beitrag ist etwas wirr.
Habe zuviele Gedanken zu diesem Thema im Kopf.

http://www.minges.ch/mentor/Lineares_und_divergentes_Denken.pdf

Unsere Gesellschaft braucht mehr Offenheit und Kreativität ... in allen Lebensbereichen.

Mareike
Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Mareike vom 15.08.2015, 18:29:39
Danke mareieke, sehr interessant.

Ich denk noch an andere Probleme. In den Sonderschulbereich werden Kinder oft auch abgeschoben,die einfach im Regelschulwesen zu "schwierig" sind oder einfach auch Probleme mit Deutsch haben und auf ihre Weise "aussteigen".
...das bedeutet eine programmierte Negativkarriere.

Andererseits gibt es den ungeheuren Druck auf Lehrer (von der Öffentlichkeit,von Elternseite oder auch schlicht selbstgemacht) bestimmte Lehrziele (und das sind dann "meßbare") zu erreichen. Weder Lehrer noch Kinder sind eierlegende Wollmilchsäue.

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Lindensee
Lindensee
Mitglied

Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von Lindensee
als Antwort auf mane vom 15.08.2015, 17:35:38

...auch ich habe erste Erfahrungen mit Inklusion...

In folgendem verlinkten Bild wird der Gedanke der Inklusion anschaulich beschrieben
(untere Hälfte des verlinkten Beitrages, das Bild mit den bunten Pünktchen):
Was Du beschreibst, würde ich in dem verlinkten Bild der 'Separation' bzw. gegebenenfalls der 'Integration' zuordnen.
geschrieben von mane


Hallo Lindensee,

danke für das "Bild", welches die Unterschiede von Exklusion - Seperation - Integration - Inklusion, als veschiedene Konzepte des Zusammenlebens, sehr gut veranschaulicht.

Der Text dazu, zeigt, dass "soziale Inklusion" nicht als geschlossenes System betrachtet werden sollte. Wenn ich es richtig verstanden habe, und wie der "Supraleiter-Flashmob" es in dem Video darstellt, wandeln sich soziale Gruppen, um sich optimal entfalten zu können. Somit ist auch Inklusion offen (durchlässig?) zu gestalten.

Magst Du über Deine Erfahrungen mit Inklusion schreiben?

Mane

Danke für Deine Antwort, Mane.
Mag ich über meine Erfahrungen schreiben ...?
Da überlege ich selber erstmal gründlich.
Was spricht dagegen?
Mir steht ein Mensch sehr nahe, der in die Gesellschaft (nun heißt es: )
zu inkludieren ist.
Er (der Mensch, dessen Handicap nicht offensichtlich ist) möchte sich der Gesellschaft gegenüber - in Bezug auf seine Einschränkung - nicht offenbaren. Da stünde die Frage, warum er das nicht tun möchte?
In seiner derzeitigen Ausbildungsphase (nach der Schule kommt die "y", nach der "y" kommt das "z") wurde ihm jedoch als Bedingung für fördernde Maßnahmen gestellt, dass er sich mit seinem Handicap und der entsprechenden Diagnose den anderen gegenüber zu offenbaren habe. Da stehen wir nun ... und haben zu entscheiden.
Möchten wir uns offenbaren?
Derzeit noch offen.
mane
mane
Mitglied

Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von mane
Bevor ich auf die letzten Beiträge antworte, möchte ich aus dem anfangs erwähnten Thread auf zwei Meinungen zu dem Thema eingehen, die ich, wegen des OTs unbeantwortet ließ. (Ich hoffe, dass ist erlaubt, wegen crossposting und so )

Wir schrieben über den Trend zur Schließung der Förderschulen und meine Bedenken dazu, wenn es um schwerstbehinderte Kinder geht, die ein hohes Maß an Einzelbetreuung brauchen und diese meist in Regelschulen nicht finden.
Meiner Meinung nach ist schulische Inklusion u.a. sinnvoll und zu unterstützen, wenn es möglich ist, dass in der Regelschule die Aufgaben übernommen werden, die bisher durch die Förderschulen geleistet wurden.

Ich frage mich, warum ist man so radikal? Die Differenzierung in spezielle Sonderschularten war in Deutschland so extrem wie in keinem anderen Land - in meinen Augen ein Fehler. Und jetzt geht man aus gutem Grund den Weg zurück, aber warum muß das wiederum absolut im Extrem geschehen?


Hallo Gerdd,
mir war gar nicht bewusst, wie viele Förderschularten es gibt, um auf jeden Förderbedarf gezielt eingehen zu können.

In NRW gibt es z.B. lt. Wikipedia folgende Förderschultypen:
- Emotionale und soziale Entwicklung,
- Geistige Entwicklung,
- Hören und Kommunikation,
- Körperliche und motorische Entwicklung,
- Lernen,
- Sehen,
- Sprache.

Da ist zu überlegen, wie man sie zusammenfassen könnte. Besonders, weil Eltern ihre Kinder lieber in Regelschulen schicken, wie es erscheint. Dann wird es für Förderschulen schwierig sein, die geforderte Mindestanzahl von 144 Kindern zu erreichen. Wenn es dann keine Förderschulen mehr in der Nähe gibt, werden viele Eltern sich gezwungen sehen, ihre Kinder in Regelschulen zu geben.
Das Schulministerium hält, soweit ich informiert bin, eine Fahrzeiit für eine Strecke von 90 Minuten für zumutbar, was einige leisten können.

Inklusion ist ein langwieriger Prozess, der seine Zeit braucht.
Mane
anjeli
anjeli
Mitglied

Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von anjeli
als Antwort auf mane vom 15.08.2015, 22:45:17
Meine Enkelin ist am Donnerstag, den 13. 08.15 eingeschult worden...

Ich habe teilweise im Pausenhof aufgehalten und dort mit einer Lehrerin und der Vorsitzenden des Fördervereins über Inklusion unterhalten...

Beide Damen meinten... im schulischen Bereich ist die Inklusion nicht sinnvoll...

es ist kein Gewinn... für die Schüler und für die Lehrer auch nicht...
aus Erfahrung weiß man, dass die geistig behinderten, sowie körperlich behinderten Schüler sehr hohe Fehlzeiten aufweisen...

Die Grundschullehrer haben auch keine Spezialausbildung...
für die Schüler mit Förderbedarf steht ein Sonderschullehrer zur Verfügung, der auch noch an anderen Schulen eingesetzt wird... (es gibt aber mehr Bedarf, aber zu wenig Lehrer mit der Spezialisierung...

Ich meinte, es wäre doch nicht gut, wenn die Kinder mit Handicap Klassen wiederholen müssten...

anjeli

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Mitglied_81b4260
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf anjeli vom 15.08.2015, 23:56:24
Körperliche Behinderung kann/darf doch für den Regelunterricht kein echtes Hindernis sein.

Jedenfalls ging ich vor Jahrzehnten mit einem gelähmten Mädchen 12 Jahre lang zur Schule und es war für keine Seite ein Nachteil,auch für die Lehrer nicht,meine ich.
Mareike
Mareike
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von Mareike
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.08.2015, 19:03:57
Du hast mit wenigen Worte die Situation an den Regelschulen exakt beschrieben.
Merkwürdigerweise hat diese komplexe Problematik bislang nicht dazugeführt, das ernsthaft über neue Weichenstellungen und Zielsetzungen in den Regelschulen nachgedacht wird.
Immer noch sehen die LehrerInnen sich an erster Stelle als Wissensvermitler.
Vor kurzem sagte eine Lehrerin wörtlich zu mir: "Erziehung ist nicht meine Aufgabe.Ich will unterrichten können."
Diese Einstellung ist vorherschend und so wundert es nicht, dass die Schulen für lern-behinderte und erziehungsschwierige Kinder immer mehr Kinder zugewiesen bekamen.

Es sind vorwiegend diese Sonderschulen, die nun geschlossen werden.
Folgender Artikel gibt die Situation gut wieder: http://www.zeit.de/2015/04/inklusion-schule-behinderung-hamburg-wahlkampf

"Die seit 2010 stark gestiegene Anzahl von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung (LSE) wird jetzt genauer untersucht. Schulsenator Ties Rabe: „Analysen zeigen: Nur ein Drittel der heute von den allgemeinen Schulen gemeldeten LSE-Kinder wäre früher wirklich als Sonderschüler an die Sonderschule geschickt worden. Zwei Drittel waren dagegen schon immer an den allgemeinen Schulen und wurden früher nicht als sonderpädagogisch förderbedürftig eingestuft. Hier wird deutlich: Nicht die Kinder, sondern der Blick auf die Kinder hat sich verändert.“
Zitat aus: http://www.hamburg.de/bsb/pressemitteilungen/4095374/2013-08-27-inklusion-lse-zahlen/

Wenn man diese Gutachteranalyse liest und folgendes weiß, dann weiß man wie der Hase hüpft.
Zitat: "Insgesamt reiche das Geld, sagt die Schulleiterin, das sei allerdings einem Trick zu verdanken: Weil das Geld für die LSE-Kinder nicht reicht, versucht die Schule, behinderte Kinder aufzunehmen. Die sind relativ einfach in den Unterricht zu integrieren und bringen eine berechenbare Summe Geldes mit. Das ist gängige Praxis, bestätigen Lehrer und Schulleiter – stets anonym, weil keiner sich öffentlich äußern mag." (erster Link)

Mareike
mane
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von mane
als Antwort auf Mareike vom 15.08.2015, 18:29:39
Hallo Mareike,

es ist leider kaum möglich, aus linear denkenden Schülern/Lehrern - Du schreibst von Veranlagung - kreative Genies zu machen.
Da ist es wünschenswert (und wird besonders im Förderschulbereich gebraucht), dass Lehrer dieses Potential haben, aber wie Du ganz richtig schreibst, ist es nur in geringem Maße in der Bevölkerung gegeben.

Es gilt, über die jeweiligen Lerntypen informiert zu sein, sie zu erkennen und entsprechend zu fördern.
Es ist schade, wenn kreative Persönlichkeitseigenschaften, weil nicht erwünscht, verloren gehen.

Ich nehme an, dass Deine Tochter im sogenannten "Mobilen Dienst" tätig war, und schwerbehinderte Kinder in inklusiven Schulen betreute. Ein spannender, herausfordender Job.

In dem, von Dir eigestellten Link geht es auch um "intrinsische Motivation", welche divergent denkende Menschen antreibt. Die Tätigkeit selbst muss Spaß machen und herausfordern, Noten sind weniger wichtig. Das erinnert mich an das Interview mit Gerald Hüther, welches im ST besprochen wurde: "Macht Lernen dumm?" Hüther setzt sich dafür ein, dass Pädagogen nicht primär Wissen vermitteln, sondern die in den Kindern verborgenen Talente zur Entfaltung bringen. Den Kindern nicht etwas eintrichtern, sondern etwas aus ihnen herausholen. Sie müssen Kinder begeistern können.
Mane
mane
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von mane
als Antwort auf Lindensee vom 15.08.2015, 20:34:56

Danke für Deine Antwort, Mane.
Mag ich über meine Erfahrungen schreiben ...?
Da überlege ich selber erstmal gründlich.
Was spricht dagegen?
Mir steht ein Mensch sehr nahe, der in die Gesellschaft (nun heißt es: )
zu inkludieren ist.
Er (der Mensch, dessen Handicap nicht offensichtlich ist) möchte sich der Gesellschaft gegenüber - in Bezug auf seine Einschränkung - nicht offenbaren. Da stünde die Frage, warum er das nicht tun möchte?
In seiner derzeitigen Ausbildungsphase (nach der Schule kommt die "y", nach der "y" kommt das "z") wurde ihm jedoch als Bedingung für fördernde Maßnahmen gestellt, dass er sich mit seinem Handicap und der entsprechenden Diagnose den anderen gegenüber zu offenbaren habe. Da stehen wir nun ... und haben zu entscheiden.
Möchten wir uns offenbaren?
Derzeit noch offen.


Hallo Lindensee,

ich kann es verstehen, dass ein Mensch mit einer Behinderung dies nicht öffentlich machen will, besonders, wenn diese nicht direkt erkennbar ist. Derjenige ist wahrscheinlich noch jung und hat sich, wie ich annehme, selbst noch nicht ganz mit diesem Teil seiner Person arrangiert.

Er ist noch in der Ausbildung, hat vielleicht einen Schwerbehindertengrad von 30 oder 40, was leider noch nicht zu einem anerkannten Schwerbehindertenstatus im Berufsleben führt. Um eine Gleichstellung zu bekommen, ist ein Antrag notwendig, von der wahrscheinlich der Arbeitgeber erfahren wird. Wenn jemand ohne diese Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz oder eine Fördermöglichkeit nicht bekommen kann, ist es sicher sinnvoll, was ihm eigentlich zusteht, auch zu fordern und sich zu offenbaren. Damit verbunden ist auch ein besonderer Kündigungsschutz.

Das ist meine Interpretation von Deinem nicht ganz eindeutigen Beitrag, lieber Lindensee.
Mane

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