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Innenpolitik Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These

Karl
Karl
Administrator

Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von Karl
Wir haben diesen Begriff der Parallelgesellschaft hier schon öfters diskutiert. Dabei ging es jedoch meistens um die Frage, was zu tun sei, um Parallelgesellschaften zu vermeiden oder - falls vorhanden - abzubauen. Ich hatte an diesem Wochenende die Gelegenheit im ICE in dem Buch von Daimagüler weiter zu lesen. Unter vielen spannenden Abschnitten, von denen ich hier sicherlich noch einige zur Diskussion stellen werde, fand ich auch den folgenden Abschnitt, den ich hier vollständig zitiert wiedergeben möchte, weil er einen auch für mich neuen Aspekt in die Diskussion bringt:

Parallelgesellschaften

Parallelgesellschaften sind wichtig und gut sowohl für Einwanderer als auch für die Mehrheitsgesellschaft. Sie wirken als integrative Durchlauferhitzer für Menschen, die Orientierung und Hilfe in ihrem neuen Leben brauchen. Parallelgesellschaften pauschal zu verteufeln ist Unsinn. Sie erfüllten in jedem Einwanderungsland zu jeder Zeit eine wichtige Funktion. Allerdings darf die Existenz von Parallelgesellschaften kein generationsübergreifender Dauerzustand werden.

Ich wohnte einmal in einem Hotel in Chinatown in San Francisco. An der Rezeption arbeiteten drei Generationen: Die Großeltern waren nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika gekommen. Sie sprachen kaum Englisch. Ihr Sohn und die chinesisch-stämmige Schwiegertochter waren der englischen Sprache mächtig und führten das Hotel. Sie wohnten auch in Chinatown. Eine gute Schulausbildung hatten sie nicht genossen. Die Tochter aber, die an den Wochenenden im Hotel aushalf, studierte an der renommierten University of California in Berkeley. Sie war eine waschechte Amerikanerin, die stolz auf die chinesische Tradition ihrer Familie war. Auf die Idee, später einmal wie die Eltern in Chinatown zu wohnen, kam sie aber nicht. Sie wollte ein Haus mit einem Garten.

Das ist mein Konzept von einer idealen Parallelgesellschaft, das allerdings nur funktioniert, wenn auch die aufnehmende Gesellschaft sich darauf einlässt. Wenn Neueinwanderer und ihre Nachkommen ständig auf Ablehnung stoßen, wenn sie auf eine verschlossene Gesellschaft treffen, dann bleibt ihre Parallelgesellschaft dauerhaft bestehen.

Diese Art von Parallelgesellschaft haben wir auch in Deutschland. Nicht jeder, der in Kreuzberg geboren wird, bleibt dort. Wenn jemand in Kreuzberg bleiben möchte, ist das in Ordnung. Schließlich ist Kreuzberg faszinierend. Wichtig ist aber, dass man versteht, dass Kreuzberg in Berlin liegt und Berlin ein Teil Deutschlands ist. Das realisieren manche schneller, manche langsamer. Auf jeden Fall kostet es Zeit.

Mitte der 90er-Jahre war ich einmal auf der Steuben-Parade in New-York City. An jedem vierten Samstag im September paradieren die Mitglieder von Vereinen deutscher Auswanderer und ihrer Nachkommen durch die Straßen der Stadt. Deutsche Musik und deutsche Trachten werden vorgeführt. An den Ständen gibt es deutsches Bier und deutsche Würstchen. Am Rande dieser Parade traf ich auf einen deutschen Bundestagsabgeordneten. Dieser war ganz ergriffen und meinte 'Großartig, wie diese Menschen nach Jahrzehnten und Jahrhunderten sich ihrer deutschen Wurzeln bewusst sind'. 'Stimmt' dachte ich. Aber die türkische Frau, die auch nach 30 Jahren in Deutschland ihr Kopftuch nicht ablegen will, die ist integrationsfeindlich und gehört zurück nach Anatolien - jedenfalls, wenn es nach dem Willen vieler Parteifreunde dieses Herrn geht. Quelle
geschrieben von Daimaguiler


Ich hoffe, Ihr habt den Text auch bis zum Ende gelesen! Bei mir hat dieser Text einen Nachdenkprozess ausgelöst.

Bin gespannt auf Eure Reaktionen.

Karl
barbarakary
barbarakary
Mitglied

Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von barbarakary
als Antwort auf Karl vom 01.11.2015, 20:38:46
Danke, lieber Karl, habe ihn zu Ende gelesen. Und er ist nachdenkenswert. Mir fällt dazu ein - vielleicht etwas hinkender - Vergleich ein: Nach der Wende landeten einige Wessis aus beruflichen Gründen im Osten. Viele der Ehefrauen - noch etwas westlich auf Hausfrauen getrimmt - fanden sich dann in einem Kulturverein wieder, wo sie sich einbringen konnten. Dem Verein gehörten auch Einheimische an, heute 25 Jahre nach Gründung ist es eine gute Mischung und keiner fragt mehr, wo der andere herkam. Es tat den Zugereisten am Anfang aber gut, sich mit Leuten zu treffen, die ein ähnliches Leben hatten zuvor, denn die Sprache (obwohl Deutsch) war damals noch sehr unterschiedlich. Man musste erklärt bekommen, was eine Brigade war usw.!
So freuen sich unsere ausländischen Mitbürger auch, sich mit Leuten mit den gleichen Wurzeln zu treffen und vertraute Laute zu hören. Dies alles soll ihnen gegönnt sein, wenn sie andererseits offen und neugierig sind auf das Land, in dem sie nun leben und dessen Gepflogenheiten akzeptieren und die Gesetze respektieren.
Karl
Karl
Administrator

Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von Karl
als Antwort auf barbarakary vom 02.11.2015, 09:09:58
Guten Morgen barbarakary,

ja, diese Bringschuld der Einwanderer sehe ich auch. Wichtig ist jedoch auch Folgendes in dem Text von Daimagüler:
Wenn Neueinwanderer und ihre Nachkommen ständig auf Ablehnung stoßen, wenn sie auf eine verschlossene Gesellschaft treffen, dann bleibt ihre Parallelgesellschaft dauerhaft bestehen.
geschrieben von Daimagüler
Auch die Mehrheitsgesellschaft muss offen sein!

Karl

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barbarakary
barbarakary
Mitglied

Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von barbarakary
als Antwort auf Karl vom 02.11.2015, 09:16:25
Genau, lieber Karl! Da ich offen bin für Neues, schien mir dies selbstverständlich - leider ist es das ja nicht.
Edita
Edita
Mitglied

Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von Edita
als Antwort auf Karl vom 02.11.2015, 09:16:25

Wenn Neueinwanderer und ihre Nachkommen ständig auf Ablehnung stoßen, wenn sie auf eine verschlossene Gesellschaft treffen, dann bleibt ihre Parallelgesellschaft dauerhaft bestehen.
geschrieben von karl
Auch die Mehrheitsgesellschaft muss offen sein!
Karl
geschrieben von Daimagüler


Meine Meinung dazu ist, daß der Begriff "Parallelgesellschaften" immer dann gebraucht wird, und dann selbstverständlich negativ, wenn eine Mehrheitsgesellschaft eine Minderheitsgesellschaft nicht zu 100% für sich vereinnehmen kann, das ist dubios, das ist verdächtig, das ist anrüchig und fragwürdig, da stimmt was nicht, Beispiele gibt es da genügend zu recherchieren!
Hinzu kommt, wenn Politik obendrein unnötige Hindernisse aufbaut oder einrichtet, die es der Minderheitsgesellschaft sehr erschwert, in ganz vielen Fällen sogar unmöglich macht, sich der Mehrheitsgesellschaft anzuschließen, z.B. die Bildungspolitik, in Deutschland kommt es allzu häufig vor, daß ein Architekt, ein Arzt der ein Lehrer aus dem ferneren Ausland hier sein Leben als Taxi-Fahrer(in) fristen muß, weil selne (ihre) Bildungsabschlüsse aus dem Heimatland hier nicht anerkannt werden, in Zeiten in denen man deutschen Akademikern ihre plagiierten Dissertationen nachweisen kann, müßte es doch mittlerweile auch zum bürkratischen Standard gehören, daß im Ausland getätigte Bildungsabschlüsse nach spezifischer Überprüfung an der jeweiligen Universität, hier schnellstens anerkannt werden könnten...........wenn man denn wollte!
Das gilt für den Lehrer, den Anwalt und was weiß ich, den Klempner, den Elektriker, den Bäcker und die Klofrau, sie alle kann man direkt an der " Baustelle " überprüfen, und dann gelassen auf die Nachricht der auswärtigen Behörden warten!
Jedenfalls wird ein eritreischer Klempner eher ein stolzes Mitglied der Mehrheitsgesellschaft, als der gleiche Mann als Hartz4-ler oder Leergutsammler!
Zu diesem Thema habe ich einen guten Artikel ausgerechnet vom ollen Broder im Spiegel aus dem Jahre 2010 gefunden!

Die Parallelgesellschaft - sie lebe hoch!

Edita
Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Wer Parallelgesellschaften beklagt, hat selber noch nie Auslandserfahrung gesammelt. Ich habe das zweimal getan, in Italien und in Frankreich. Und auch ich war jedesmal Mitglied einer deutschen Parallelgesellschaft. Es gab nämlich für mich in beiden Fällen die Möglichkeit, Anschluss zur deutschen Community zu finden über deutsche Kirchengemeinden, ich habe immer in deren Chören mitgesungen. Dadurch habe ich vor allem Beziehungen zu Deutschen gepflegt und es genossen, mit denen auch Deutsch sprechen zu können, weil es anstrengend ist, immer eine Fremdsprache zu sprechen, vor allem am Anfang, wenn man sie noch nicht so gut kann.
Und ich fand es nicht einfach, Konakte oder gar Freundschaften zu Einheimischen zu finden, ich fühlte mich auch immer als Ausländerin nicht ganz integriert. Und das war immerhin in Europa. Wie viel schwieriger erst muss es für die sein, die aus einem ganz anderen Kulturkreis kommen!
Ich würde deshalb jedem empfehlen, mal eine Zeitlang im Ausland zu leben, das erweitert nicht nur den Gesichtskreis, sondern befähigt einen auch, sich in die Lage von Menschen hineinzuversetzen, die von außen neu einströmen. Dann weiß man nämlich um die Probleme und Schwierigkeiten, die sie haben. Und dabei waren die, die ich zu bewältigen hatte, ein Klacks, verglichen mit dem, was sie hier durchmachen. Immerhin hatte ich eine Arbeitsstelle und eine Wohnung, die Sprache hatte ich auch vorher wenigstens ein bisschen in der Schule gelernt. Das alles trifft auf die Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen, nicht zu, sie haben es ungleich schwerer. Deshalb ist es völlig natürlich, wenn sie Kontakt zu ihren Landsleuten suchen und Parallelgesellschaften bilden.

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Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 02.11.2015, 13:01:40
Ich habe mehr als mein halbes Leben im Ausland verbracht, aber nie in einer Parallelgesellschaft. In den USA hätte ich die Möglichkeit gehabt, aber für die "ältere Gesellschaft" eines Edelweiß am Rio Grande, war ich nicht bereit und in den anderen Ländern lebten keine deutschen Landsleute, insofern war es für mich äußerst wichtig mich schnell zu integrieren, denn sonst hätte mir Segregation gedroht und die galt es für mich zu vermeiden.
Ich habe mich immer weitgehend angepaßt ohne jedoch meine Identität aufzugeben.
In Spanien erlebe ich Parallelgesellschaften, aber von ausgewanderten Rentnern.
Bruny
Karl
Karl
Administrator

Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von Karl
als Antwort auf Edita vom 02.11.2015, 12:06:08
@ edita,

sehr interessant dieser Artikel von Broder. In der Tat, einer seiner wenigen, denen ich zustimmen kann.

Karl
pippa
pippa
Mitglied

Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von pippa
als Antwort auf Karl vom 01.11.2015, 20:38:46
Ich hoffe, Ihr habt den Text auch bis zum Ende gelesen! Bei mir hat dieser Text einen Nachdenkprozess ausgelöst.

Bin gespannt auf Eure Reaktionen.
geschrieben von karl

Ja, habe ich.

Ich sah diese Steuben-Parade mal im Fernsehen und empfand sie eher wie einen Karnevalsumzug.

Die Menschen, die dort mit Begeisterung marschieren, werden in ihrem Alltag waschechte Amerikaner sein und genauso rumlaufen wie all die anderen.

Bei der muslimischen Frau ist das aber grundlegend anders. Sie will sich von europäischen Frauen bewusst abgrenzen.

Würden all diese Frauen zB bei einem Gedenktag oä ihre traditionelle Kleidung bei einem Umzug tragen, hätte gewiss niemand was dagegen.
Pippa,
die auch jetzt nichts dagegen hat, jedoch Vermummung vehement ablehnt. (Auch die der Biker.)
Tina1
Tina1
Mitglied

Re: Parallelgesellschaften sind wichtig und gut - eine diskussionswürdige These
geschrieben von Tina1


Die Reportage vom ZDF zeigt eine andere Seite der Parallelgesellschaften in Deutschland. Hier kommen alle zu Wort, die damit zu tun haben u. das auf allen Seiten.
Es geht um Menschen mit Migrationshintergrund die schon Jahrzehnte in Deutschland leben, davon viele in Deutschland geboren sind. In meinen Augen haben die Kinder, die in solchen Parallelgesellschaften aufwachsen keinerlei Selbstbestimmungsrecht, sondern sie müssen das befolgen, was ihnen der Vater o. Bruder vorgibt. Es betrifft besonders die Mädchen u. jungen Frauen. Diese Kinder u. Jugendlichen haben von Anfang an, keine Chance sich so zu integrieren, wie sie es vielleicht gern wöllten und wie es der größte Teil der Muslime in Deutschland getan hat und trotzdem seine Religion leben kann. Das alles wird in der Reportage real sichtbar, denn es reden die Muslime selber. Ich denke man muss diesen Kindern, den jungen Menschen in der Frage helfen, da sind die Pädagogen, die Politiker gefragt. Meine Meinung.
Tina

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