Forum Kunst und Literatur Literatur Bis die Börse wieder lächelt...?

Literatur Bis die Börse wieder lächelt...?

enigma
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Re: Bis die Börse wieder lächelt...?
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 09.10.2008, 10:35:17
K.T. wusste auch schon was zum Thema:

Kirche und Wolkenkratzer

Es läuten die Glocken: Bim-bam-bim-bam;
es sausen die Autos über den Damm;
die Kirche reckt ihren Turm zum Himmel
und macht Reklame mit ihrem Gebimmel.
Sie wirbt für den christlichen Gedanken –
aber drum herum die Häuser der Banken
sind eine Etage höher.

Wenn zu New York die Börse kocht,
dann beten die frommen Pfaffen:
dass keiner werde eingelocht,
dass sie alle Geld erraffen.
Aber wie sie auch beten in brausendem Chor:
die Banken ragen zum Himmel empor
eine Etage höher.

Und es beten die Pfaffen nach alter Art
gegen sündige Teufelsgedanken.
Das Kirchenvermögen liegt wohlverwahrt
nebenan, nebenan in den Banken.
Wer regiert die Welt –? Hier kann man das sehn.
Um alle Kirchen die Banken stehn
eine Etage höher.


Theobald Tiger
Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1930, Nr. 6, S. 108.


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enigma
longtime
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Re: Bis die Börse wieder lächelt...?
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 09.10.2008, 11:38:17
Ja, der Tucholsky - aus dem Jahre 1930! Die Kirche macht es heute noch genau so mit ihrem Kapital (ihrem Raubgut von den Armen und den Himmelsvorsorgern).


*

Hier aber ein Achim Reichel-Song:

Achim Reichel
Der Spieler


Es ist mitten im Winter
im tiefen Schnee.
Es ist späte Nacht im Kasino an der See

und der letzte Spieler an Tisch 1 im Großen Saal
setzt den letzten Riesen und weiß nicht
auf welche Zahl.

Er hat alle Zahlen durch und auf allenverloren.
Er weiß: wenn er jetzt verliert
ist er selbst verloren.
Und als er die Hand ausstreckt
um den Riesen zu setzen

hört er die Spieler im Meer
den Wind hört er hetzen:

Komm rüber
Spieler
Spieler komm rüber.
Das Spiel ist doch längst vorbei - Spieler komm rüber.
Denn wenn du nichts mehr hast
bist du frei.
Erst wenn du nichts mehr hast
bist du frei
frei.

Und der Spieler setzt alles auf eine Zahl

auf den höchsten Sieg und auf die tiefste Qual.
Er setzt alles auf die 17
und 17 fällt -
und mit einem Streich hat er das füfunddreißigfache Geld.

Fünunddreißig Riesen
und alle starren ihn an.
Und was macht der Spieler ? Seht doch den Irren an !
Er läßt alles auf der 17 ! Hat man sowas schon gesehn ?
Und dann geht nichts mehr
und der Spieler hört sich flehn:

Komm rüber
Kugel
Kugel komm rüber.
Das Spiel ist doch nie vorbei - Kugel komm rüber.
Noch einmal die 17
und ich bin frei.
Noch einmal die 17
und ich bin frei.

Es ist immer noch Winter
immer noch Schnee

und ein Spieler ohne Glück
das tut immer noch weh.
Und am Hafen heulen die Schiffe
die Möven schrein sich heiser -
in der Dämmerung wird's dunkel
der Wind wird leiser
leiser
leiser.

Und das Mädchen sgt zum Spieler: Junge
jetzt ist es Zeit.
Du hast soviel verloren
bist du endlich soweit ?
Und der Spieler hebt den Kopf: Wie weit ? Wofür ?
Und das Mädchen ruft - es steht schon in der Tür:

Komm rüber
Spieler
Spieler komm rüber.
Dieses Spiel hast du frei - Spieler komm rüber.
Denn wenn du mich erst hast
bist du frei.




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longtime
enigma
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Re: Bis die Börse wieder lächelt...?
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 11.10.2008, 09:17:18
Gut, der Reichel!

In Großbritannien soll es bereits im 18. Jahrhundert, genau 1720, eine historische Finanzkrise, die sogenannte “Südseeblase”, gegeben haben, der auch viele Prominente zum Opfer fielen.

Es ging aber überhaupt nicht, wie es der Titel vielleicht zunächst suggeriert, um Handelsaktivitäten der South Sea Company in der heutigen Südsee (die war damals noch nicht ausreichend bekannt), sondern um Handel mit südamerikanischen Ländern bzw. Kolonien, der aber wohl kaum oder nur in geringem Maße zustande kam.
Stattdessen entwickelte sich ein florierender Sklavenhandel.

Als schließlich die “Südseeblase” platzte, und die South Sea Company und Trittbrettfahrer pleite waren, gab es eine Menge Anleger, die Hab und Gut verloren hatten.

Isaac Newton war ein Opfer dieser Krise und verlor eine Menge Geld.
Daraufhin soll er folgenden Ausspruch getan haben :
„Ich kann zwar die Bewegungen der Himmelskörper berechnen, aber nicht die Verrücktheit der Menschen.“

Und den Schriftsteller Jonathan Swift, der ebenfalls zu den Verlierern gehörte, soll der Verlust inspiriert haben zu dem Buch „Gullivers Reisen“, einer Satire über die britische Gesellschaft.

Nachzulesen im Artikel aus der FAZ - Linktipp!

Nach einiger Zeit wird es sicher wieder passende Zitate von literarisch befähigten, aber in der Spekulation weniger begabten Zeitgenossen zur derzeitigen "Bankenkrise" geben wahrscheinlich schon jetzt...)



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enigma

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hugo
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Re: Bis die Börse wieder lächelt...?
geschrieben von hugo
als Antwort auf longtime vom 11.10.2008, 09:17:18
gegenwärtig passiert fast genau mal wieder das, was irgendwie irgendwann wohl jeder Generation mal widerfährt, und immer wieder aufs Neue muss der Mensch diese miserable Erfahrung selber machen. Er traut eben den Erkenntnissen seiner Vorfahren wenig zu.

da denk ich gerade an mein erstes Buch ( Anfang der fünfziger) wo über Solches geschrieben wurde. "Das Geld" von E. Zola dürfte wohl vielen ein Begriff sein, ich habs wohl mehrmals gelesen,,


Er beschreibt genau diese Euphorie, wenn die Börse himmelwärts stürmt, und die anschließenden Depressionen, wenn die Kurse über Nacht ungemein fallen.
,,und wenn man bedenkt das er sich auf Begebenheiten und Ereignisse vor 130 Jahren (noch vor dem Deutsch-Französischem Krieg- bezieht dann,,alle Achtung,,,wir haben nix gelernt.



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hugo
enigma
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Re: Bis die Börse wieder lächelt...?
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 11.10.2008, 16:27:09
Es geht schon los, der Pleitegeier beginnt Blüten zu treiben.
Die Werbegeschenke bankrotter Banken werden bereits bei Ebay versteigert.
Und da sollen die Kurse ganz vorzüglich sein. )

Geworben wird ganz forsch:

...."Seien Sie ein Teil der Geschichte, ein Teil des größten Banken-Bankrotts aller Zeiten", appelliert der Anbieter einer „Lehman-Tragetasche“ an mögliche Interessenten. Und der Käufer muss sich nicht nur auf Lehman-Produkte beschränken, er kann seinen Kaffee wahlweise auch aus der Tasse des bankrotten Konkurrenten Bear Stearns schlürfen. Für nur 20 Dollar. "Kaufen Sie, bevor die Tassen weg sind – so wie die Bank", wirbt ein gewiefter Verkäufer.“....

Den Bericht lesen kann man
hier:

Ja, da sind noch nicht die “richtigen” Schriftsteller am Werk, aber vielleicht kommen die auch noch auf Ideen, z.B. für eine passende Satire.



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enigma
longtime
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Vom Pleitegeier
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 11.10.2008, 17:11:32
Ja, wer Augen hat und lesen und fühlen kann, liest nicht nur Börsennachrichten und Aktien-Threads im ST.

Ich habe dort - in der ZEIT - ergänzt (unter dem Ps. KOMETA):

Pleitegeier, Pleitegeher ... - unermüdlich unterwegs


Pleitegeier? ... ist in jiddischer Aussprache derselbe Vogel wie ein „Pleitegeher“.

Diese zoologische unbekannte Art erscheint in deutschem Schrifttum „wilhelminisch-II-befrackt“ bei Julius (Ernst Wilhelm) Stinde (auch unter Pseudonymen tätig wie: Theophil Ballheim, Dr. Böhm, Wilhelmine Buchholz, Julius Ernst, David Hersch, Julius Neuland, D. Quidam, J. Steinmann).
Der Autor wusste bürgerlich&real Bescheid, dass er humorvoll bis satirisch auf die Verhältnisse im Wilhelminismus und im bürgerlichen Arroganzismus reagieren konnte.

In „Die Familie Buchholz“ (1884-86; in drei Teile) charakterisierte er eine Nachbarsfamilie 'Weigelt':

„Wie es bei den Weigelts zustand, konnte ich von ihr nicht erfahren: ob sie schon einen Scheffel Zwanzigmarkstücke von der Millionenschwägerin bekommen hatten, oder ob ihnen bereits der Pleitegeier auf dem Dache saß, wie Onkel Fritz zu sagen pflegt, wenn die Rechnungen für das gute Leben bezahlt werden sollen und bloß der gute Wille dazu vorhanden ist.“

Wie die BRD-Aktiengeselligkeit „Alles Schröder oder Merkel oder Münte was…?“ hierzulande um sich greift und geiert, kann man wöchentlich in glänzenden Kabarettnummern sehen.
Aber die Aktioneure (Aktienspekulanten und Bankrotteure) sitzen Tag und Nacht an den Rechnern und Strippen und dirigieren die „Filiale des Kapitals“ die von den gutgläubigen Wählern als „unsere Regierung“ bezeichnet wird.

Der Pleitegeier flog aber auch früh in höheren literarischen Sphären:

“Sehr einfach: Proletarier, Kleinbürger und Feudaler - drei der Börsendemokratie gleich verhasste Machtfactoren - lassen ihre papiernen Drachen (Parteienpresse) steigen, über ihnen aber schwebt stolz der Aar, der die ‚Zeit' bedeutet. Ein Witzbold meinte freilich, es sei der sogenannte » Pleitegeier - «. Dies würde, hätte er' s so gedacht, den genialen Münchener Zeichner vollauf rehabilitieren. Aber wahrlich, er hatte gar nicht die Absicht gehabt, Socialdemokraten, Christlichsociale und Großgrundbesitzer zur höheren Ehre der Singer Comp. (…)

Ach, wer das schrieb?
Karl Kraus, in: " Passant" (Die Fackel 9. 1903. Nr. 135, S. 29)

* ~ *

Es gibt nichts, was nicht "fliegen" will, wenn es an die Arbeitskraft oder ans Geld anderer fassen will. Bis es im Schwindel endet.

--
longtime

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longtime
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Re: Vom Pleitegeier
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 12.10.2008, 10:24:00
TIPP:

Wr sich noch sprachlich-begrifflich über den "Pleitegeier" infomieren will.

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longtime
adam
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Re: Vom Pleitegeier
geschrieben von adam
als Antwort auf longtime vom 12.10.2008, 10:34:51

Bei Banken heißt das nicht Pleite sondern Marktaustritt.

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adam
enigma
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Re: Vom Pleitegeier
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 12.10.2008, 10:34:51

Danke Longtime,

ein paar nette Cartoons gibt`s auch schon zum Thema.
Und da thront das genannte Tier auch majestätisch!
Ausgangspunkt der Krise - Bankensterben
hier:

Das Suchen nach Lösungen, aber Beratungsresistenz?
hier:


Und schließlich die Lösung??
Bankraub,
aber mal andersrum....
)

Das ließ sich einfallen Roger Schmidt - Linktipp!







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enigma
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Re: Vom Pleitegeier
geschrieben von enigma
als Antwort auf adam vom 12.10.2008, 10:56:11
)
Sorry, Adam, Deinen Beitrag hatte ich noch nicht gesehen.

Und tschüss....
--
enigma

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