Forum Kunst und Literatur Literatur Literaturkalender: NEUE Folge 28. November. 2009

Literatur Literaturkalender: NEUE Folge 28. November. 2009

enigma
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - heute am 30.11. zur Erinnerung an Pessoa
geschrieben von enigma
als Antwort auf miriam vom 30.11.2009, 17:02:53
Hallo Miriam,

ein Gedicht stelle ich noch ein, aber nicht von "Oscar": )


Eine Reihe von Bäumen dort in der Ferne, dort zum Hang hin.
Doch was ist eine Reihe von Bäumen? Bäume, nichts sonst.
Eine Reihe und die Mehrzahl "Bäume" sind keine Dinge, sind Namen.
Arme Menschenseelen, die alles ordnen,
Die von Ding zu Ding Linien ziehen,
Namensschilder an durch und durch wirkliche Bäume heften
Und Längen- und Breitengrade zeichnen;
Selbst auf der Erde, die unschuldig ist und grüner und blühender als all dies!

Fernando Pessoa
Der Hüter der Herden
Aus: Alberto Caiero. Poesias - Poesie

Ich mag ihn auch sehr.


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enigma
enigma
enigma
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - heute am 30.11. zur Erinnerung an Pessoa
geschrieben von enigma
als Antwort auf miriam vom 30.11.2009, 17:02:53
edit:

Hier ist auch noch ein Gedicht, im Text - Linktipp!

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enigma
longtime
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Literaturkalender: NEUE Folge - heute am 30.11. zur Erinnerung an Rudolf Lavant (Richard Cramer)
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 30.11.2009, 17:27:41
Durch Zufall habe ich noch für heute (30.11.) den Autor Rudolf Lavant (Richard Cramer) – mit den Lebensdaten 30.11.1844 – 6.12.1915 - entdeckt. Er gehört in den Umkreis des österreichischen Freiheitskämpfers Robert Blum. Er war kaufmännisch tätig, war aber auch proletarisch-pazifistisch gesinnt in seinem Schriftstellern.

Richard Cramer:
Die Flinte schießt, der Säbel haut

(1876)

Es sprach das große Wort gelassen
Und kühl der Herr Minister aus,
Und dennoch fand es auf die Gassen
Der Kaiserstadt den Weg hinaus.
Es schwieg das Lärmen und das Summen
Für Augenblicke; klar und laut
Klangs durch das plötzliche Verstummen:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"

Und weiter wehten es die Lüfte,
Das treffliche Ministerwort,
Und trugen's über Berg und Klüfte
In alle deutschen Gaue fort.
Es summt, die Arme rührend, leise
Der Arbeit Volk, vor dem dir graut,
Nach einer selbstgeschaffnen Weise:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"

Das war ein Wort, so ernst und ehrlich,
Ein Wort aus tiefstem Herzensgrund,
Wie wir's bis diese Stunde schwerlich
Vernommen aus Ministermund.
Nimm unsern Dank! Ja, du bist offen!
Nun weiß man doch, worauf ihr baut,
Nun weiß man doch, was euer Hoffen!
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"
Es scheint, daß von Gesetzestiteln
Und von dem vielerprobten „Recht",
Daß ihr von euren i n n e r n Mitteln
Euch herzlich wenig nur versprecht.
Es scheint, daß man im Rat der Weisen
Nur äußern Mitteln noch vertraut,
Der Pferdekur mit Blut und Eisen:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"

Ich geh es zu, es ist verdrießlich,
Wenn man sich plagt ein volles Jahr
Und wenn der Liebe Mühen schließlich
So ganz und gar verloren war.
Und schießt die Saat, die man zerschlagen,
Nur immer üppiger ins Kraut,
So mag man wohl sich knirschend sagen:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"
Ihr seht in Schwaben wie in Sachsen
Und in der zähen Holsten Land
Die Schar der kecken Dränger wachsen,
Ja selbst im Brandenburger Sand;
Und wenn ihr so, verzagt, beklommen
Und ratlos an den Federn kaut,
Mag wohl euch der Gedanke kommen:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut."

Ihr kerkert ein, ihr laßt bestrafen,
Ihr übertrefft euch selber fast,
Ihr dreht und biegt die Paragraphen -
Und dennoch keine Ruh und Rast.
Die Massen aufgewühlt im Grunde
Soweit der liebe Himmel blaut -
Da zischt's denn aus gekniff'nem Munde:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut."
Es ist im weiten deutschen Reiche
Vielleicht so manchem viel zu still-
Warum das Volk, das hungerbleiche,
Nur gar nicht revoltieren will?
Der Kessel hat in frühern Tagen
Ja auch gebrodelt und gebraut,
Und wir, wir würden gerne sagen:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut."

Wie schade doch, daß die Patronen
Im Magazin so müßig ruhn!
Die hübschen schlanken blauen Bohnen,
Sie würden sicher Wunder tun;
Das ist die grundsolide Speise
Die jeder Magen schwer verdaut -
Dann würde wahr das Wort, das weise:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"
Man übte so in wenig Tagen
Die jungen Krieger praktisch ein,
Und die sich früher schon geschlagen,
Sie blieben in der Übung fein.
Das Volk wird ewig radotieren,
Bis Blut das Pflaster rot betaut;
Und m u ß es nicht die Schlacht verlieren?
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"

Gemach, ihr Herrn! So mag's euch scheinen,
Doch wer gibt Siegel euch und Brief?
Man hat Exempel, sollt ich meinen,
Zuweilen geht die Sache schief.
Habt ihr denn ganz und gar vergessen,
Was eure Kaiserstadt geschaut,
Daß ihr nun ruft so stolz-vermessen:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"?

Habt ihr vergessen, wie die Masse
Vors Schloßportal die Toten trug,
Und wie das arme Volk der Gasse
Des Königs schmucke Garden schlug?
Wie es verstand, die Faust zu ballen,
Und wie den Prinzen es vertrieb
In seines Zornes Überwallen?
Die Flinte schoß, der Säbel hieb.
Und weil, wie groß auch ihre Leiden,
Nicht an Gewalt die Masse denkt,
Und weil, wenn Waffen erst entscheiden,
Vielleicht sich ihre Schale senkt,
Drum streutest du des Hasses Samen
Mit jenem Worte herzlos-laut,
Das fürder klebt an deinem Namen:
„Die Flinte schießt, der Säbel haut!"
*
(In DNW 1876, Nr. 10; anonym erschienen)

Erläuterungen auf dieser Seite:



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longtime
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 1. Advent:
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 29.11.2009, 08:56:30
Die Interpretation zu diesem Borchers-Gedicht

"ICH WILL IHN HEBEN
den versunkenen Schatz"

findet sich schon im dradio.de-Lyrikkalender vom 1.12.; insbesondere wird die Metapher der "Weltenuhr" beleuchtet.

S. Linktipp:


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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 1. Advent:
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 01.12.2009, 06:47:17
Wer neben eigenem literarischen Interesse und Gespür für Ehrentage für den 1.12. Anregungen sucht:

Abraham a Santa Clara


Ernst Toller


Peter Maiwald


Gute Tagesform udn produktive Ergbnisse wünscht sich und dem STA.S.R.


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Literaturkalender: NEUE Folge - als Erinnerung an Ernst Toller:
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 01.12.2009, 07:24:31
Ernst Toller (1.12.1893 - 22.05.1939; er verschied durch Suizid wegen der aussichtlosen NS-Verfolgung bei einem Besuch in New York.)

Toller war radikaler Vertreter der littérature engagée seiner Zeit, de Weimarer Republik; die politische Wirkung seiner Themen und Texte war ihm literarisches Gesetz, neben der selbstverständlich hohen, sprachlichen Qualität.


Ein Statement von ihm:

„Kann Kunst die Wirklichkeit beeinflussen? Kann der Dichter vom Schreibtisch her Einfluß auf die Politik seiner Zeit gewinnen? Es gibt Autoren, die diese Frage verneinen, ich bejahe sie. Alle Kunst hat magische Wirkung. [...] Kunst erreicht mehr als den Verstand, sie verankert sein Gefühl. Sie gibt dem verankerten Gefühl geistige Legitimation. Ich glaube darum, daß der Künstler nicht Thesen begründen, sondern Beispiele gestalten soll. Kunst gehört zu jenen seltenen geistigen Mitteln, verschüttete Instinkte zu erhellen, tapfere Haltungen zu schulen, spontanes Gefühl für Menschlichkeit, Freiheit und Schönheit zu vertiefen.“
(E. T.: Kritische Schriften, Reden und Reportagen. (Gesammelte Werke, Bd. 1). S. 148.)


Vgl. zu Toller den Linktipp:

Zur Uraufführung seines Dramas "Die Maschinenstürmer" gibt es ein Kalenderblatt Von Hildegard Wenner „Revolution der Liebe“
im DLF:

Zum "Maschinenstürmer"


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enigma
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - als Erinnerung an Ernst Toller:
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 01.12.2009, 08:20:30
Danke für die wichtige Erinnerung an Ernst Toller.


Heute konnte ich mich eigentlich kaum entscheiden, an wen ich erinnern sollte, denn es gab einige Schriftsteller, die ich für erinnerungswürdig gehalten habe, wie z.B. den von Longtime vorgeschlagenen Peter Maiwald, der einiges aus seinem Werk in einem Verlag, der in meiner Stadt beheimatet ist, veröffentlicht hat.


Aus “gegebenem Anlass” und der Aktualität des “Minarett"-Themas habe ich mich jedoch entschieden, an Tahar Ben Jelloun zu erinnern, den am 1. Dezember 1944 in Fès geborenen Schriftsteller und Psychotherapeuten, der als Achtzehnjähriger nach Tanger zog, um dort ein Französisches Gymnasium zu besuchen.
1963 begann er ein Philosophie-Studium in Rabat und unterrichtete dann Philosophie in Marokko, emigrierte jedoch 1971 nach Paris, da die Lehre der Philosophie arabisiert wurde und er dafür nicht ausgebildet war.
In Frankreich promovierte er 1975 in sozialer Psychiatrie, wovon auch seine Werke beeinflusst wurden.

In der Folge erhielt Tahar Ben Jelloun wichtige Literaturpreise, u.a. den Prix Goncourt und den Grand Prix littéraire du Maghreb.

Er hat sich immer gegen Rassismus ausgesprochen.

So erklärte er u.a. in dem für seine Tochter, aber natürlich auch für andere Interessenten geschriebenen
Buch „Le Racisme expliqué à ma fille“ (auf Deutsch: „Papa, was ist ein Fremder?“), warum Rassismus entsteht und wie man dem vorbeugen kann.

Mehr über den Schriftsteller
hier:

Und noch mehr auf der Marabout-Seite
hier:

Auch zum Thema „Bau von Minaretten in der Schweiz“ hat er in einem Interview von und mit Oliver Meiler seine Meinung geäußert, die mir persönlich sehr gefallen hat. Das Interview wurde u.a. im Zürcher Tagesanzeiger abgedruckt - she. Linktipp!



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enigma
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - als Erinnerung an Ernst Toller:
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 01.12.2009, 11:39:10
Dank dir, enigma, für diese Stimme aus Marokko (vermittelt aus dem Züricher Tagesanzeiger)!

Wer diesen moslemischen Intellektuellen gelesen hat – braucht keine Weltdesaster mehr zu inszenieren, keine Diskriminierungen anzuzetteln, kein angeblich christlich "legitimiertes" Herabsetzen und Observieren anderer Religionen!


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enigma
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - als Erinnerung an Ernst Toller:
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 01.12.2009, 16:11:18
Hallo Longtime,

ich freue mich sehr, dass Du Ben Jelloun und seine Denk- und Handlungsweise auch so empfindest, hatte aber bei Dir auch eigentlich nichts anderes erwartet.

Mir gefällt auch, dass B.J. mit den immer noch bestehenden Märchen über das Tragen der Burka und des Schleiers aus religiös motivierten Gründen erneut aufräumt. Genau so hat es mir mein ehemaliger (muslimischer) Kollege auch erklärt. Was Fundamentalisten daraus machen, ist ein ganz anderes Thema.
Ich finde allerdings, dass, wer immer sich faktisch über den Islam informieren will, bei den vielen seriösen Quellen, die es gibt, heute auch die Chance dazu hat.

Das Wichtigste, was Ben Jelloun gesagt hat, ist für mich, dass wir im multikulturellen Zusammenleben eigentlich keine andere Wahl haben, als Minderheiten in ihrer Eigenart und Besonderheit, auch was die Religionsausübung angeht, zu akzeptieren, solange sie nicht einen gewalttätigen Weg beschreiten.

***

James Baldwin ist übrigens am 1.Dezember 1987 in Süd-Frankreich gestorben.
Der hatte auch gegen religiösen Fanatismus zu kämpfen, bei seinem Stiefvater.

Ich formuliere aber jetzt keinen Beitrag mehr, sondern stelle nur einen Link ein, der zu seiner Kurzbiografie führt - Linktipp!


Gruß

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enigma
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - als Erinnerung an Ernst Toller:
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 01.12.2009, 18:11:13
Ja, enigma - der gute, fast messianisch begrüßte James Baldwin!

Da habe mich jetzt sofort an meine Buchhändlerzeit erinnert:

Er der erste, große US-Erfolg, den ich erlebte, der eines farbigen Autors:

"Go Tell It on the Mountain" (amerik. 1953; dt. "Gehe hin und verkünde es vom Berge". 1966)

Damals herrschte in den USA eine ähnliche Aufbruchszeit wie heute um Präsident Obama... - ja, Baldwins Optimismus, dass sich die ethnischen Konflikte bereinigen ließen. - Es dauert nun schon zwei Generationen an, dass sich da Entscheidendes verändern müsste in der sozialen, schulischen und medizinischen Realität..!

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longtime

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