Literatur Schöne Lyrik
***
Christian Fürchtegott Gellert
(1715-1769)
Der wahre Freund
Der ist mein Freund, der mir stets den Spiegel zeigt,
den kleinsten Flecken nicht verschweigt,
mich freundlich warnt, mich ernstlich schilt,
wenn ich nicht meine Pflicht erfüllt'.
Das ist mein Freund –
so wenig wie er's scheint!
Doch der, der mich stets schmeichelnd preist,
mir alles lobt, nie was verweist,
zu Fehlern mir die Hände beut,
und mir vergibt, eh' ich bereut,
das ist mein Feind –
so freundlich er auch scheint!"
***
Eigenes Foto
Nur einmal bringt des Jahres Lauf
Richard von Wilpert (1862 - 1918)
Nur einmal bringt des Jahres Lauf
uns Lenz und Lerchenlieder;
nur einmal blüht die Rose auf,
und dann verwelkt sie wieder;
nur einmal gönnt uns das Geschick
so jung zu sein auf Erden:
Hast du versäumt den Augenblick,
jung wirst du nie mehr werden.
Drum lass von der gemachten Pein
um nie gefühlte Wunden!
Der Augenblick ist immer dein,
doch rasch entfliehn die Stunden.
Und wer als Greis im grauen Haar
vom Schmerz noch nicht genesen,
der ist als Jüngling auch fürwahr
nie jung und frisch gewesen.
Nur einmal blüht die Jugendzeit
und ist so bald entschwunden;
und wer nur lebt vergangnem Leid,
wird nimmermehr gesunden.
Verjüngt sich denn nicht auch Natur
stets neu im Frühlingsweben?
Sei jung und blühend einmal nur,
doch das durchs ganze Leben!
Nur einmal bringt des Jahres Lauf
Richard von Wilpert (1862 - 1918)
Nur einmal bringt des Jahres Lauf
uns Lenz und Lerchenlieder;
nur einmal blüht die Rose auf,
und dann verwelkt sie wieder;
nur einmal gönnt uns das Geschick
so jung zu sein auf Erden:
Hast du versäumt den Augenblick,
jung wirst du nie mehr werden.
Drum lass von der gemachten Pein
um nie gefühlte Wunden!
Der Augenblick ist immer dein,
doch rasch entfliehn die Stunden.
Und wer als Greis im grauen Haar
vom Schmerz noch nicht genesen,
der ist als Jüngling auch fürwahr
nie jung und frisch gewesen.
Nur einmal blüht die Jugendzeit
und ist so bald entschwunden;
und wer nur lebt vergangnem Leid,
wird nimmermehr gesunden.
Verjüngt sich denn nicht auch Natur
stets neu im Frühlingsweben?
Sei jung und blühend einmal nur,
doch das durchs ganze Leben!
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Abendgesang
Wandre, Seele, nimm dir zum Geleit
Wind und Wolke, morgen bist du weit.
Frühe schimmert; Dämmrung schwindet ganz,
Dunst wird Bläue, Nebel wird zum Glanz.
Äther flutet flimmernd wie ein Meer:
Bist du jung? Bist du von alters her?
Sieh, die schwarzen Tannen stehen dicht!
Gipfel tauchen aus der fernsten Sicht.
Aus der Ebne, zwischen reifer Saat,
Blitzt ein Fluss herauf wie Silberdraht.
Kommt ein Dunkel, greift dir Sturm ins Haar,
Jagt Gewölk wie eine Flüchtlingsschar -
Streift dich Steingerölle, das da fiel:
Bist verirrt und findest doch dein Ziel.
Über Abend wird der Sturm gelind:
Schlafe, schlafe nur im offnen Wind!
Liegst so in der sternenreichen Nacht,
Leuchtest wie ein Bergsee aus dem Schacht.
Wandre, Seele, nimm dir zum Geleit
Wind und Wolke, morgen bist du weit.
Hedwig Lachmann
foto pixabay
Wandre, Seele, nimm dir zum Geleit
Wind und Wolke, morgen bist du weit.
Frühe schimmert; Dämmrung schwindet ganz,
Dunst wird Bläue, Nebel wird zum Glanz.
Äther flutet flimmernd wie ein Meer:
Bist du jung? Bist du von alters her?
Sieh, die schwarzen Tannen stehen dicht!
Gipfel tauchen aus der fernsten Sicht.
Aus der Ebne, zwischen reifer Saat,
Blitzt ein Fluss herauf wie Silberdraht.
Kommt ein Dunkel, greift dir Sturm ins Haar,
Jagt Gewölk wie eine Flüchtlingsschar -
Streift dich Steingerölle, das da fiel:
Bist verirrt und findest doch dein Ziel.
Über Abend wird der Sturm gelind:
Schlafe, schlafe nur im offnen Wind!
Liegst so in der sternenreichen Nacht,
Leuchtest wie ein Bergsee aus dem Schacht.
Wandre, Seele, nimm dir zum Geleit
Wind und Wolke, morgen bist du weit.
Hedwig Lachmann
foto pixabay
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Der wahre Freund
Der ist mein Freund, der mir stets den Spiegel zeigt,
den kleinsten Flecken nicht verschweigt,
mich freundlich warnt, mich ernstlich schilt,
wenn ich nicht meine Pflicht erfüllt'.
Das ist mein Freund –
so wenig wie er's scheint!
Doch der, der mich stets schmeichelnd preist,
mir alles lobt, nie was verweist,
zu Fehlern mir die Hände beut,
und mir vergibt, eh' ich bereut,
das ist mein Feind –
so freundlich er auch scheint!"
Christian Fürchtegott Gellert
1715-1769
Danke, lieber Maikel, für dieses Gedicht und besonders für dieses Satz!
Das ist hohe Philosophie, was der gute Gellert hier sagt.
Das ist eine Perle im Wust der Meinungen!
Aus einem ganz bestimmten Grund freue ich mich so sehr -
es wird den ganzen Tag anhalten.
Clematis
Liebe @Clematis , es freut mich sehr, dass Dir das Gedicht von Gellert so viel "Gewinn" bringt. 😊
Übrigens ärgere ich mich manchmal, dass ich die Gedichte von Poe, Whitman, Tennyson und so vieler anderer, mangels Sprachkenntnisse nicht im Original lesen kann, aber wenn ich bedenke, welch' unglaublich großen Schatz deutschsprachiger Gedichte es gibt, bin ich damit mehr als getröstet 😊, zumal ich z.B. die Gedichte von Poe in der großartigen Übersetzung von Hans Wollschläger habe. Leider unterliegen diese Übersetzungen auch dem Urheberrecht, sodaß wir sie hier nicht lesen können, seufz. 😌
***
Novalis
(Georg Philipp Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg)
(1772-1801)
Bange Zeiten
Es gibt so bange Zeiten,
Es gibt so trüben Mut,
Wo alles sich von weiten
Gespenstisch zeigen tut.
Es schleichen wilde Schrecken
So ängstlich leise her,
Und tiefe Nächte decken
Die Seele zentnerschwer.
Die sichern Stützen schwanken,
Kein Halt der Zuversicht;
Der Wirbel der Gedanken
Gehorcht dem Willen nicht.
Der Wahnsinn naht und locket
Unwiderstehlich hin.
Der Puls des Lebens stocket,
Und stumpf ist jeder Sinn.
Wer hat das Kreuz erhoben
Zum Schutz für jedes Herz?
Wer wohnt im Himmel droben,
Und hilft in Angst und Schmerz?
Geh zu dem Wunderstamme,
Gib stiller Sehnsucht Raum,
Aus ihm geht eine Flamme
Und zehrt den schweren Traum.
Ein Engel zieht dich wieder
Gerettet auf den Strand,
Und schaust voll Freuden nieder
In das gelobte Land.
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Novalis
(Georg Philipp Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg)
(1772-1801)
Bange Zeiten
Es gibt so bange Zeiten,
Es gibt so trüben Mut,
Wo alles sich von weiten
Gespenstisch zeigen tut.
Es schleichen wilde Schrecken
So ängstlich leise her,
Und tiefe Nächte decken
Die Seele zentnerschwer.
Die sichern Stützen schwanken,
Kein Halt der Zuversicht;
Der Wirbel der Gedanken
Gehorcht dem Willen nicht.
Der Wahnsinn naht und locket
Unwiderstehlich hin.
Der Puls des Lebens stocket,
Und stumpf ist jeder Sinn.
Wer hat das Kreuz erhoben
Zum Schutz für jedes Herz?
Wer wohnt im Himmel droben,
Und hilft in Angst und Schmerz?
Geh zu dem Wunderstamme,
Gib stiller Sehnsucht Raum,
Aus ihm geht eine Flamme
Und zehrt den schweren Traum.
Ein Engel zieht dich wieder
Gerettet auf den Strand,
Und schaust voll Freuden nieder
In das gelobte Land.
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Bildquelle: www.Goetheportal.de
Frühling ohne Wiederkehr
Charlotte von Ahlefeld (1781-1849)
Lieblich ist des Lenzes erstes Lächeln,
wenn in Blütenbäumen laue Luft sich wieget,
und des Baches eisbefreite Welle
nicht mehr stockend, durch die Fluren rinnt.
Dann ermuntern sich zu neuem Leben
die verblichnen Wiesen aus dem Winterschlafe,
und das Gras wacht auf, und decket träumend
wiederum den Schoß der Mutter Erde.
Und die Blumen öffnen ihre Kelche -
alle die im späten Herbste starben
richten sich aus ihrem dunklen Grabe
neu empor im Glanz der Auferstehung.
O Natur - wie milde gibst Du wieder
was Dein feierlicher Gang zerstöret.
Fest im stillen, ewig gleichen Kreislauf,
folgt auf Deinen Ernst ein mildes Lächeln.
Nicht Vernichtung, nur ein leiser Schlummer
hält des Frühlings holde Lust gefangen;
bald, bekränzt mit Veilchen, kehrt er wieder
süß umhallt von Nachtigallentönen.
Doch wann kehrt der Liebe Frühling wieder?
Ach, verscheucht hat ihn die Nacht der Trennung
und der Winterschauer einer ew'gen Ferne
tötet rauh das zarte Grün der Hoffnung.
Des Beisammenlebens Stundenblumen
starben hin im Seufzerhauch des Abschieds.
Kummervoll benetzt von heissen Tränen,
sind der Freude Rosen längst verblichen.
Keine Sonne wird sie neu erwecken -
keines Wiedersehens goldner Schimmer
winkt des Glückes lichterfüllte Tage
aus dem Grabe der Vergangenheit hervor.
Traurig zieht der Jahreszeiten Wechsel
meinem still umwölkten Blick vorüber.
Ach es folgt der Frühling auf den Winter,
aber nimmer kehrt der Liebe Frühling wieder!
Frühling ohne Wiederkehr
Charlotte von Ahlefeld (1781-1849)
Lieblich ist des Lenzes erstes Lächeln,
wenn in Blütenbäumen laue Luft sich wieget,
und des Baches eisbefreite Welle
nicht mehr stockend, durch die Fluren rinnt.
Dann ermuntern sich zu neuem Leben
die verblichnen Wiesen aus dem Winterschlafe,
und das Gras wacht auf, und decket träumend
wiederum den Schoß der Mutter Erde.
Und die Blumen öffnen ihre Kelche -
alle die im späten Herbste starben
richten sich aus ihrem dunklen Grabe
neu empor im Glanz der Auferstehung.
O Natur - wie milde gibst Du wieder
was Dein feierlicher Gang zerstöret.
Fest im stillen, ewig gleichen Kreislauf,
folgt auf Deinen Ernst ein mildes Lächeln.
Nicht Vernichtung, nur ein leiser Schlummer
hält des Frühlings holde Lust gefangen;
bald, bekränzt mit Veilchen, kehrt er wieder
süß umhallt von Nachtigallentönen.
Doch wann kehrt der Liebe Frühling wieder?
Ach, verscheucht hat ihn die Nacht der Trennung
und der Winterschauer einer ew'gen Ferne
tötet rauh das zarte Grün der Hoffnung.
Des Beisammenlebens Stundenblumen
starben hin im Seufzerhauch des Abschieds.
Kummervoll benetzt von heissen Tränen,
sind der Freude Rosen längst verblichen.
Keine Sonne wird sie neu erwecken -
keines Wiedersehens goldner Schimmer
winkt des Glückes lichterfüllte Tage
aus dem Grabe der Vergangenheit hervor.
Traurig zieht der Jahreszeiten Wechsel
meinem still umwölkten Blick vorüber.
Ach es folgt der Frühling auf den Winter,
aber nimmer kehrt der Liebe Frühling wieder!
Am Wochenende las ich etwas Hölderlin, besonders dieses Gedicht hat mich sehr beeindruckt, vor allem die letzten zwei Zeilen. 😊
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Friedrich Hölderlin
(1770-1843)
(1770-1843)
Menschenbeifall
Ist nicht heilig mein Herz,
schöneren Lebens voll, seit ich liebe?
Warum achtetet ihr mich mehr,
da ich stolzer und wilder,
wortereicher und leerer war?
Ach, der Menge gefällt,
was auf den Marktplatz taugt,
und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen;
an das Göttliche glauben
die allein, die es selber sind.
***
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Theodor Fontane
(1819-1898)
Mittag
Am Waldessaume träumt die Föhre.
Am Himmel weiße Wölkchen nur.
Es ist so still, daß ich sie höre,
die tiefe Stille der Natur.
Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach.
Und doch, es klingt, als ström' ein Regen
leis tönend auf das Blätterdach.
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Theodor Fontane
(1819-1898)
Mittag
Am Waldessaume träumt die Föhre.
Am Himmel weiße Wölkchen nur.
Es ist so still, daß ich sie höre,
die tiefe Stille der Natur.
Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach.
Und doch, es klingt, als ström' ein Regen
leis tönend auf das Blätterdach.
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Eduard von Bauernfeld
(1802-1890)
Rückblick
Und so sind sie hingeschwunden,
Jahre, voll von Leid und Glück,
Tief im Innersten empfunden –
Lächelnd schau ich jetzt zurück.
Jugendgärung ist vorüber,
Fühle Ruhe, fühle Kraft;
Doch die Unruh' war mir lieber,
Die nur einzig zeugt und schafft!
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