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Plaudereien Wer erinnert sich....?

Gillian
Gillian
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Re: Wer erinnert sich....?
geschrieben von Gillian
als Antwort auf gerry vom 26.06.2011, 16:15:48
Danke für die Aufklärung, Gerry. Wir waren Großstädter und fuhren nur (mit dem Fahrrad) in die näheren Dörfer um zu stoppeln. Das Gestoppelte hat der Volkswirtschaft dann nicht gefehlt... und meine Mutter konnte unbehelligt Sirup kochen. Mein kleiner Bruder hat davon mal so viel genascht, dass ihm hinterher sterbensübel wurde ...
Ich erinnere mich noch, in der Zeit 1946/47 (später wurde es besser mit den Rationen) gab es für Normalverbraucher 250 g Brot pro Tag, das waren 5 Scheiben. Besagter kleiner Bruder hat abends vor dem Schlafengehen immer noch gebettelt: "Mutti, kann ich noch eine Bemme von morgen haben?"
Es wurde unterschieden bei den Rationen in "Normalverbraucher", "Schwerarbeiter" und sogar "Schwerstarbeiter".
Falls Du keine "Bemme" kennst, das heißt auf sächsisch "Brotscheibe, Stulle, Schnitte".

Und an minu: Ich hab in meinem langen Leben noch nicht gewusst, dass auch die Schweiz Lebensmittelmarken hatte! So lernt man nie aus (dank ST ! Uns wurde nur immer tröstend gesagt, dass auch Großbritannien als "Siegermacht" noch viele Jahre Rationierung hatte.

G.

Gillian
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Re: Wer erinnert sich....?
geschrieben von Gillian
als Antwort auf minu vom 26.06.2011, 15:16:58
Liebe Emy - ich seh gerade, dass Dein Beitrag nach hinten gerutscht ist. Nun kommt meine Antwort an Dich noch davor.
Ich hab grade gut zu Abend gegessen, - Du hoffentlich auch!
LG, Gisela
gerry
gerry
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Re: Wer erinnert sich....?
geschrieben von gerry
als Antwort auf Gillian vom 26.06.2011, 18:20:59
Auch mir war es bis jetzt völlig unbekannt, dass die Schweiz Lebensmittelkarten eingeführt hatte.
Man lernt wirklich nie aus!
Ja Gillian, es gab verschiedene Kategorien von Lebensmittelkarten, wie Du schon angeführt hast.
Es gab auch die sogen. "Reisemarken", die Punktkarten für Textilien und die "Raucherkarten", für die wir aber noch zu jung waren. Man musste mindestens 18 Jahre alt sein.
Wer nur die "Normalkarte" bekam, war arm dran. Der musste wirklich hungern.
Als ich 1948 in die Lehre kam, war das "Pausenbrot" eine - auf der Herdplatte geröstete - trockene Scheibe Brot,
nur "belegt" mit Daumen und Zeigefinger.
Da ich aber in einer Dorfschmiede lernte, fiel von manchem Bauern doch hin und wieder mal ein Stückchen Wurst ab.
Die wurde aber mit nach Hause genommen und mit Mutter und Schwester geteilt.
Irgendwie fühlte ich mich - in dem Alter - als Ernährer der Familie, auch, weil ich eine "bessere Karte" bekam.

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Re: Wer erinnert sich....?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Wie war das?
Bucheckern sammeln?
In der weiss emaillierten Milchkanne.

Schön unter den hohen Buchen, mit Zilpzalp und Buchfink (gelegentlich nen Kuckuck) als kostenloses OpenAir-Konzert.

Für eine Kanne voll gabs nen 1/2 l feinstes Öl. Unbehandeltes.

Ganz böse waren allerdings Pellkartoffeln mit Rübenkraut.
Es gab halt nichts anderes.

Später gabs dann schon lange Kniestrümpfe - mit Leibchen und Strappsen. Zu kurzen, recht engen Hosen. Für Jungs. omg.
Die Strümpfe wurden natürlich gestopft über dem Stopfpilz.

Ganz untenrum natürlich Holzschuhe.
gila
gila
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Re: Wer erinnert sich....?
geschrieben von gila
als Antwort auf gerry vom 26.06.2011, 11:50:04
Lieber gerry,
Dein Beitrag erinnert mich an einen Aufsatz, den ich in der Ralschule schreiben mußte . Titel:
"Ein Stückchen Brot in meiner Hand"

Ich war damals 15 Jahre alt - und hatte die Note 1.

Alles was Du geschtieben hast, konnte ich mir denken - mag heißen, wenn man Brot essen kann, soll man nachdenken, woher es kommt - wie viel Arbeit dahinter steckt, um es zuzubereiten - und - das Korn auch zu haben.
Wie Du schilderst, habt Ih Ähren sammeln müssen.Das kenne ich nicht, kann mir jedoch vorstellen, wie schlimm das für Euch war.
Brot hatten wir als Kinder immer nach dem Krieg - jedoch die Süßigkeiten fehlten - lach -
Herzlichst
gila
hugo
hugo
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Re: Wer erinnert sich....?
geschrieben von hugo
als Antwort auf gila vom 26.06.2011, 19:48:07
Wer erinnert sich....?

als wir -damals noch bei Halle wohnend- immer öfter in den Luftschutzkeller mussten, entschloss sich meine Mutter alles zu packen, Möbel, Brennholz usw,,und zu ihren Eltern in die scheinbar ruhige Oberlausitz östlich der Neiße zu ziehen.
Kurze Zeit später am 8 Mai 1945 war Kriegsende,,,die Freude war groß.
Doch am 22. Juni 1945 mussten wir Hals über Kopf raus aus dem Dorf,,umsiedeln, aussiedeln, flüchten, wie auch immer, es war mein 4. Geburtstag. Diesmal jedoch ohne Sack und Pack, ohne Möbel usw,,
später erfuhren wir das wir ja befreit worden wären ,,aha *g*

Diese "Befreiung" war wohl der absolute Tiefpunkt in meinem Leben. Danach traf zwar alles so zu wie gerry beschrieben (auch Rübensirup, erfrorene Kartoffeln und Mehlpampe waren ein ständiges Thema,,)
aber von da an gings bergauf, schon zu Weihnachten bekamen wir vom Vorgänger der Nationalen Front ein echtes leicht quitschendes Nudelholz,,,das erste eigene Dings.

Konnten es zwar nicht nutzen, hatten ja weder Mehl noch Eier, aber immerhin,,Kurz darauf die nächste frohe Botschaft,,Mutter bekam vom Betrieb einen Gutschein für eine Karpidfahrradlampe um nachts zur Schicht fahren zu können mit dem hartgummibereiftem Fahrrad (das einzige in der Familie) Ok den Karpid mussten wir beim Schmied erbetteln oder wegfinden.

Ja, der Anfang war entbehrungsreich, umso mehr freuten wir uns über jede auch noch so kleine Verbesserung unserer Lebensumstände.

ich weiß gar nicht wie es kam das Jahrzehnte später im Rückblick auf unser damaliges Leben, fast überwiegend gemeckert wird über Mängel, Mißwirtschaft, Versagen usw.

Schon allein die Tatsache das wir nach 1945 50 Jahre hintereinander Niemanden in der Familie durch Kriege Hungersnöte, Seuchen usw verloren haben (in der Erinnerung meiner Urgroßeltern sah es da anders aus.)sollte uns etwas besonnener stimmen.
Denn trotz aller (aus heutiger Sicht) Unzulänglickeiten hatte ich eine sehr friedliche Kindheit und ein wunderschönes Leben mit stetigen Verbesserungen.

Ich bin zwischen 1945 und 1995 12 mal umgezogen und jedesmal wurde ein größerer Möbelwagen benötigt und von Mal zu Mal wurde mehr Sperrmüll verhökert, verschenkt oder am Strassenrand abgestellt,,

hugo

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sarahkatja
sarahkatja
Mitglied

Re: Wer erinnert sich....?
geschrieben von sarahkatja
als Antwort auf hugo vom 26.06.2011, 21:14:09
Meine Mutter und mein kleiner Bruder wurden nach Kopfing, Krs. Schärding
evakuiert. Auf Initiative meines Vaters, der während eines Kurzaufenthaltes, er mußte auf Befehl seiner Vorgesetzten einen Deserteur von Frankreich nach Düsseldorf bringen, dafür sorgte, dass meine Mutter und mein kleiner Bruder mit einem Transport aus der, von nächtlichen Angriffen heimgesuchten Stadt, raus kamen.
Ich kam nach Königsberg, Ostpreußen, zur Schwester meiner Mutter.

Diese Fahrten waren für ihn furchtbar. Er sagte mir, am liebsten hätte ich sie unterwegs laufen lassen, aber dann wäre ich selbst vors Kriegsgericht gekommen.

Als er ein zweites Mal, Mutter und Bruder waren schon in Oberösterreich,
diesen, für den Gefangenen und ihn schweren Weg fahren mußte, wollte er
noch einige Gegenstände einpacken, um sie meiner Mutter zu schicken.

Er ging zur Nachbarin, die die Schlüssel hatte. Es war schon Abend und stockdunkel.

„Aber Herr Sch. Was wollen Sie denn da noch? Sie haben nichts mehr.“
Sie zündete ihm eine Petroleumlampe an, und mein Vater ging zu dem Betrieb- und Wohnhaus, und stand traurig mit seiner Laterne vor den noch rauchenden Trümmern. In der Nacht zuvor hatten Phosphorbomben alles in Brand gesetzt.

Nach seiner Gefangenschaft lebte er die erste Zeit alleine, in der nur notdürftig aufgebauten Baracke, um den Betrieb wieder in Gang zu bringen.

Später kamen wir nach, und erlebten, wie die, fast nur noch aus Ruinen bestehende Stadt, langsam wieder aufgebaut wurde.
Fast Tag und Nacht wurde gearbeitet. Mit einer gewaltigen Abrissbirne, oft noch bei Lampenlicht, wurden Ruinen abgerissen, der Schutt weggeräumt.

Manche Straßenzüge und Häuser, die nicht so wichtig waren, blieben über Jahre Ruinen. In der „Kö“ (Königsallee) wurde fleißig aufgebaut.

Alles hat sich verändert. Heute leben viele ausländische Familien, Unternehmer und Studenten in Düsseldorf. Aus dem ehemals kleinen Dorf an der Düssel wurde, im Laufe der Zeit, die Landeshauptstadt Nordrhein/Westfalens.

Dort, wo wir einst wohnten und als Kinder spielten, steht nun der Fernsehturm.

Sarahkatja




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