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Bin ich wieder in der Heimat...?


Stephan REYNTJES-DRISSEN:

Am Vorabend



Ein Prolog:


Silke Niemeyer: Das arme Christkind


Das Christkind klopft schon an. Habe ich mich neulich also doch nicht getäuscht. Mit hochgeschlagenem Kragen eilte ich spätabends durch die dunkle Kälte. Da meinte ich ein Klopfen an einer Warenhaustür zu vernehmen. Ich hielt inne.
Tatsächlich: Hinter der dicken Scheibe hämmerten kleine Hände ans Glas. Ich trat näher. Ein Kindergesicht erschien. „Holt mich hier raus!", schrie der Kleine. Seine Nase blutete, seine Knie waren wund. Er schien gestürzt zu sein. War er von dem Rentierschlitten überfahren worden, der führerlos durch das halbdunkle Ladeninnere raste? „ Ich will hier raus", jammerte das Kind und klopfte wieder an. „Wo ist denn deine Mutter?", rief ich ihm zu, empört über so viel elterliche Verantwortungslosigkeit.
„Ich bin doch das Christkind" schluchzte der Junge da. Doch schon rannte er fort und versteckte sich hinter einer Plastiktanne. Denn von rechts nahte eine Bande besoffener knubbelnasiger Weihnachtsmänner mit blinkenden Mützen, die grölten „Jingle Bells" und warfen mit Coladosen um sich.
Du Engel sprangen kreischend zur Seite, weil sie sich ihre schönen Kleider nicht beschmutzen lassen wollten. Ich schaute wieder nach dem Kind, fand es jedoch nicht mehr.
Der arme Kleine. In diesem Jahr hat er es wohl nicht geschafft, die Stadt rechtzeitig zu verlassen. Und während ich noch so sinnierte, ob es ihm wohl gelänge sich bei Ladenöffnung aus dem Staub zu machen, holten Regentropfen mich in die Wirklichkeit zurück. Ich rieb mir die Augen. Wie die Phantasie einem manchmal einen Streich spielt! Doch nun schreibt es auch die Zeitung ganz groß auf Seite eins: „Das Christkind klopft schon an."

Warum bloß holt keiner das arme Kind da raus?

Vermutlich wegen der Sorge, dass zur Strafe die (…) Pay-Back-Karte eingezogen werden könnte - und das vor Weihnachten.

*

Ein Text, im Internet gefunden; geschrieben von: Silke Niemeyer (Pfarrerin der Evangelischen Altstadtgemeinde in R.)

*

"Das Christkind klopft schon an" - Diesen Zeitungsartikel, den ich als Leserbrief fand, möcht ich vorausschicken… - da erinnerte ich mich:






Ilse Aichinger: Nachruf

Gib mir den Mantel, Martin,
aber geh erst vom Sattel
und lass dein Schwert, wo es ist,
gib mir den ganzen.





Der sah doch aus - naja - wie ein Ausländer! Ebend! [So sprichst du?]


Irgendeiner, irgenwer aus dem Süden? Ein Asylant? Ein Italiener? Oder so mehr wie ein Albaner? Dunkelhäutig, mediterran, vom Leben gegerbt. Eine breitovale, längliche, fast runde Gesichtsfläche, mit kleiner, äh, niedlicher Nase und starken Backenknochen; trotzdem groß, ja stattlich, aber kein bisschen unangenehm; herrisch? nein - eher herrschaftlich, wohl okay, ebend männlich, stark, eindrucksvoll.

Er benahm sich - ja, recht selbstsicher, unauffällig in diesem unseren Gastland und hätte auch kaum mein Interesse gefunden, wenn er nicht für einen kurzen Moment in mir, als er mir sein fast klassisches Profil und die haarlose, hohe Stirn zeigte, die Erinnerung an einen Onkel, den Lieblingsbruder meiner Mutter, ausgelöst hätte, fern aus meiner Kindheit flog's mich an, mit dem Namen meines Onkel, Klaus; oder war es Martin - der Name wollte mir nicht so schnell auf die Zungenspitze. Wenn der mich abholte zu einer Tour auf dem Motorrad, seiner pöttpött knatternden 80er Zündapp, dem stinkenden, herrlichen Maschinchen, mit dem zweiten, hohen Sitz, mit dem dicken Haltegriff aus Plastik, Sonderausstattung, genarbte Ledersitze in Augenhöhe. Fußschaltung, Windschutzschirm, mit grüner Sonnenblende. Rollend ins frische Land, auf, zum Rhein, in die Büsche, nach Kalkar, zu den Rheinwiesen, wo unser Vieh im Sommer stand...

Dieser Mann hier stand unentschlossen im silbrig-weiss glänzenden, lichterhell aufgeputzten Kaufhaus an einem Verkaufsstand mit Unterwäsche, Trikotagen, als ich von der zweiten Etage runter zur Kinderboutique fuhr. Ich verließ, wie magisch oder automatisch, in dieser Ebene die Rolltreppe und bemerkte, schräg von oben herabblickend, dass ihm seine lichtgoldschönen Haare, leicht ergraut, in einem deutlichen Wulst, wie eingekerbt, rund um seinen Kopf lagen, als ob sich ein Helm, ein Motorradhelm, noch nachträglich abzeichnete. Aber der Mann war schon zu alt - die Idee, dieser Mustermann auf einer Fernost-Kawasacki, heute etwa - wirkte belustigend.
Eher ein weises Altersgesicht, ebend, geglüht durch die Jahre, fünfzig? fast sechzig? Auch die aufrechte Haltung, heldenhaft denke ich heute, fiel mir auf. Ritterlich? Blöde Attribute. Ein Mann wie mein Onkel, der mich, bevor ich dann in die Pubertät kam, sonntags zu Spritztouren einlud, hinaus zu den Silberseen. Und Mutter packte besonders lecker geschmierte Brote ein!

Ein schief verhuschtes Lächeln trat auf sein Antlitz, wohin blickte er? Ach - auf eine unschlüssig suchende Schülerin vor der Krawattenauslage wohl, noch etwas schlacksig, die, still versonnen, frühe achtzehn, auch mich freute; so alt wie die!

Jetzt fährt er, etwas verlegen, mit der Linken über seinen schwitzenden Nacken, unter den blinkend-blitzenden Spot-Leuchtern des Verkaufstisches, addiert wohl im Kopf seine Kaufwünsche, nachdenklich.

Ich beobachte unbemerkt; meine Drogeriesachen habe ich alle im Beutel; sehe, wie er warme Unterwäsche kauft, weiter einen Parka, wir sind schon am nächsten Stand, als ob's gemeinsam wäre, in einer anderen Abteilung, zwei blau-weiße Wollmützen, geringelte, dicke, gewirkte Strümpfe, einen blau-weissen, anderthalbmeterlangen Schal. Fühlt der sich auch hier zu Hause, zwischen still gelegten Industriebrachen, oder in der dröhnenden Schalke Arena?
Die Artikel bezahlt er an der Sammelkasse 15 der Textilabteilung, geduldig im Gedränge mit ungeduldigen Frauen.
Mit dem herübergereichten Geldschein - einem quellig-fuseligen Lappen, fiel mir auf - geht die Kassiererin, nachdem sie die Kollegin am Packtisch informiert hat, in einen Nebenraum, die zwei Spiegeltüren klappen hinter ihr nach. Langsameren Schritts, geradezu behutsam, kehrt sie zurück, entschuldigt sich süßsauer beim Kunden, verabschiedet ihn mit einem lang betrachtenden Blick, fast schon wieder freundlich, oder wie gemeint?
Ich ging dem Fremden durch die kleine, novemberlich aufgestimmte City nach; verrückt, denke ich heute, aber ich ging. Ich fühlte mich geschützt durch die Passanten. Wenn er jetzt nordwärts weitergeht, beim Lohtor gerade aus, zur Kleinilser Höhe, wo die städtischen Arbeiter vor zwei Wochen die Container und die Wohnwagen aufgestellt haben. Dort würde er nochmals die Gas- und Wasseranschlüsse zu den Behausungen prüfen, die aus den vergitterten Absperrungen herausführen. Ob diese Kisten wackeln im Sturm? Nachts. Wenn der Ost pfeift und rüttelt? Ob -

Jau, ich muss zurück. Was mache ich nur?

Die Temperaturen waren tagszuvor, wie vom Essener Wetterdienst gemeldet, erheblich gefallen. Feuchte Novemberluft, erfrischend kühl, winkende Atemfähnchen aus den Mündern der Hastenden, quirlig ziehende Gerüche der Brutzelstuben und lastender Gestank der Autos von dem Parkplatz her durchzogen die Straßen, vermischten sich zu einem trübsinnigen Kondensat, legten sich auf Autolack, Asphalt, Fensterscheiben, Mantelstoff und Haut der Hände und Gesichter. Auch auf meine Knochenhaut - ich streichle mein rechtes Handgelenk, das mein Onkel damals -
Auf den breiten, gedrängt vollen Fußwegen waren überraschend viele Kinder mit ihren Eltern unterwegs, vereinzelt auch an der Hand von Großvätern und -müttern. Die Kleinsten, im Kinderwagen, und die Fünf- oder Sechsjährigen schon mal auf den Schultern ihrer Väter. Überall Laternen, fast nur Batterielichter, die keinen Ärger bei dem zugigen Wind in der Altstadt machten und keine Fackel in Brand gehen ließen.
Die Heinestraße entlang, das schummrige Lampengässchen, an Sankt Peter vorbei und die Münsterstraße rechts ab, über den von einer Lichtgiraffe der Freiwilligen Feuerwehr unwirklich angestrahlten Holzmarkt, der an diesem Freitag für den Parkverkehr gesperrt war.

Ich war ihm nachgegangen. Er schien es nicht eilig zu haben, im Gedränge mitlaufend konnte ich ihm ohne Schwierigkeiten folgen. Vorbei an den im Kontrast zum frühen Abend grell ausgeleuchteten Schauflächen der schreiend lockenden Läden - nur vor einem großen, mehrfenstrigen Spielwarengeschäft mit verführerischen Dekorationen und einer glitzernden Erwachsenenwelt in Miniaturen und Nachbauten verharrte er kurz: Eisenbahnen, atemraubend und bezaubernd in ihrer Detailkunst, wie viele, fuhren nebeneinander, übereinander, unter- Kopfschüttelnd? Ich bin heute unsicher, ob mich meine Erinnerung nicht trügt; nein, ob kopfschüttelnd oder tief versunken, sich freuend ob alter, verschütteter Kinderträume?

Im fahlen Neon-Gefunzel des ersten Subterrasse des Parkhauses unter der MERKUR-KAUFWELT spricht er mich an: " Was folgen Sie mir, junge Frau? Seit zwanzig Minuten schon!?" (Oh Gott, so viel Zeit? Da wartet mein Mann seit einer Viertelstunde bei den Kinderstrumpfhosen im Erdgeschoss, mit meinem Einkaufszettel - und dann wollten wir zum Rathausvorplatz ziehen. Verdammt!)

Ich habe keine Antwort auf seine unvermittelte Frage und hampele von einem Fuß auf den anderen, wie ein Backfisch; was sagte Onkel Klaus, nachdem er mich auf dem ersten Foto seiner Agfa-Box festgehalten hatte?)
Gottseidank fällt mir ein Handschuh hin.

Der Mann steht vor einer markierten Parkbox im düster-schmierigen Betongrau der städtischen Unterwelt. Wendet sich dort einem Pferd zu, das den Kopf, ohne zu wiehern, ihm zudreht; nickt es freundlich? Das hellbraune Halfter ist in einem Ring verknotet, der in die Betonwand eingelassen ist. Er tätschelt dem Apfelschimmel den langglänzenden Hals: "Ruh-, ruhig, mein Geselle, mein Koadjutor! Mein, ach, was! Ja, fein, brav ebend! Ja, ich bin’s mein Kerl! Mein Guter!"

"Warum sind Sie mir gefolgt?" Wieder seine Frage! Auch jetzt kann ich ihm seine berechtigte Frage nicht sinnvoll beantworten. "Ich habe Sie" - stottere ich, "ich glaube, Dich zu kennen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch!" Mein erster vollständiger Satz ihm gegenüber, obwohl ich mir mehrere Anreden und Erklärungen schon während des Fußwegs hierher überlegt habe. Nur diesen Unsinnssatz nicht. So geht es mir, wenn ich intuitiv mich auf was einlasse und dann - Scheiß-Onkel!
"Sind Sie vom Haus?“ „Was? „Eine Kaufhausdetektivin?" Gleichzeitig mit seiner Frage kramt er schon, nach Quittungen wohl, in seiner helläugigen Ledertasche.

Ich atme ein bisschen auf: "Nein-nein, lassen Sie bitte. Bitte nicht. Nur - ganz einfach ist es. Sie erinnern mich an meinen Onkel, aus Kindertagen. oder war's schon der Opa? Von weit her, aus dem alten Livland her. Wenn kann ich da noch fragen, seit Omas Ersatzfrau (Urte, Burte, Schnurrte! - hatten die älteren Geschwister immer am Telefon ihr ins Ohr kichern dürfen, und wir hatten schallend gelacht - und uns auf das nächste Päckchen mit einer neuen Reimaufgabe gefreut) auch schon mit dem typischen Totenbrief abgemeldet war...
Gott, wie weit her! Die Stimmen, die Bilder! Bevor Mutter mit uns Kindern wegzog vom Vater, hierhin in den Ruhrpott. Einen Onkel Martin? "Kennen Sie ihn?" Welch Gestammel! Ich breche ab - ich bin doch wohl bescheuert. Wieder so beschämt und hilflos, als Klaus damals den feuchten Fleck auf dem Ledersitz seines ganzen Stolzes sah und mich fragte - was konnt ich da schon sagen - ich zeigte auf meinen Hintern...

"Haben Sie schon selber Kinder?" fragt er mich nach einer Pause, in der ich mich weder in meiner Erinnerung an Verwandte, noch in meiner Gegenwart wohl fühle, die Hand wieder am Gesäß, als Klaus sagte: "Hast du etwas die -?" obwohl der hier als Mann nicht gefährlich wirkt, nur väterlich, einfach und lieb.

"Jaja, deshalb sind wir in der Stadt. Wintersachen einkaufen und dann - mein Mann - der wartet ja!"

Der Mann greift zum braunen Pappkarton, der an der dunklen, von runden Stellen verrußten Wand steht, schlägt den ineinander gesteckten Klappdeckel auf, entnimmt ihm vorsichtig einen Helm, der glänzt metallisch, ein - wirklich - ein blitzendes Schwert und einen roten Mantelfetzen in zwei Teilen, mit Druckknöpfchen, Brokat oder Samt, ein Gewebe wie aus dem Theaterfundus der „Pappnasen von St. Hewdig“. "Würden Sie mich dann bitte allein lassen? Es wird jetzt Zeit für mich. Ich will mich umziehen. Und für Sie - Sie doch auch! Zeit, meine ich."
"Sind Sie - was ?" Statt verständlich zu fragen, ich geb mir ja Mühe, reagiere ich doch lieber auf seine Bitte, wiederholt sie, als er sich hinter seinem Pferd beginnt umzukleiden.

Meinen Mann, genervt, treffe ich vor dem von schwülwarmer Heizungsluft durchzogenen Kaufhauseingang. Welche Tür nehmen? Da fährt ein Rollstuhl heran.

"Mensch, wo warst du nur, Wiltrud? Läßt mich stehen zwischen den kaufwütigen Weibern. Ich renn hier rum wie gejagt und - und such dich wie bescheuert. Die Kinder sind mit Peter und Traudel und ihrem Sulky losgezogen über den Markt, ab wie nix! Und du fehlst ihnen. Wo warst du!"
"Dann haben wir ja noch zehn Minuten Zeit, bis sie am Rathaus sind! Komm mit!" Ich bin mir meiner Sache sicher.
Es gelingt mir, ihn mitzuziehen. Eine kurze Erklärung, mehr nicht; ich stottere nicht mehr. Ich führe ihn auf dem kürzesten Weg zum Parkhaus am Ring, von hinten passieren wir das taumelhelle Kaufhaus.
In der Parkbox, 1. Tiefebene Nr. 25, steht ein schwarzer Mercedes, ein Dienstwagen, kenntlich am Nummernschild aus der Kreisstadt, ebend.

Nichts, kein Ring im Beton, kein abgestellter Karton. Kein Schauspieler. Bin ich denn -? Nur die Erinnerung an diesen Sommertag, der Dreck auf dem Soziussitz, mein Scham, ich lief weg, zum Rhein runter. Der Onkel wartete. Ich musste zurückkehren. Kein Wort mehr.
"Suchst du Pferdeäpfel?" höhnt mein Mann, mich von oben herab anblickend, als ich mich bücke, um unter die Nobelkarosse zu schauen. "Hier, eingeklemmt unter der Kofferraumhaube - ein Stoffetzen! Oder was anderes von dem feinen Herrn mit den grauen Schläfen? Eine - Visitenkarte, mit Hotelangabe und Preiskalkulation für eine Stunde?"
Ich schaue erst gar nicht hin, worauf mein Mann mit spitzen Fingern und heißer Nase zeigt, und winke zum Treppenhaus hoch, zwar enttäuscht, aber zielgewiss nach oben.

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"Ich weiß doch, wen ich gesehen habe! Und den kann ich Dir auch zeigen! Ich bin doch nicht -"
"Du, werd nicht mucksig! Klaro? Ach, komm, Kleines, du Rabenmutter, du Träumerin!" Doch zieht er mich lachend, mir in den Handballen kneifend, hoch in die dämmrige Abendluft. Mein Arm wir länger. Ich stehe -

Zum Rathaus am Königswall schaffen wir es hastend, ohne Diskussion, fast verödet sind hier Markt und Straßen.
Von oben, von der Freitreppe des Rohbaus für das von einigen Hightech-Knilchen gesponserte „Kleine Technikum“ (IT-Undsoweiter) herab entdecken wir auf dem Vorplatz unsere Kinder in Rufweite. Sie sind die letzten, die eine pralle Tüte mit einem großen Stutenkerl aus der Hand des Vorsitzenden der Städtischen Werbegemeinschaft erhalten. Der Martin segnet sein Umfeld. Hinter ihnen bleiben mehrere Kinder in der Schlange stehen, mit offenen Armen, sie gehen leer aus, betroffen zum heiligen Mann hinaufblickend.

Ich habe keine Lust, mich anzustrengen, mich durchzudrängen, zu ihnen rüberzugehen und die Gerechte zu spielen, die Helferin. Die schwarz angemalten Ruprechte, zwei stumm grölende Knechte, und die uniformierten Feuerwehrmänner gehen Achseln zuckend zurück zum Reiter und dem Bürgermeister, der jetzt ins Mikrophon pustet: "Wie schon seit Jahrhunderten besucht uns heute in unserer schönen Stadt, hier auf dem einladenden Markt -"
Ich empfinde nur noch eine Schallwand, eine verzerrte Kulisse aus Gelichter und Geräuschen. In meinem Kopf geht der letzte Satz des Fremden im Parkhaus spazieren, die Augen versuche ich vor der Lichtfassade des Rathauses zu schließen. Ich bin am Rhein, ich sitze auf meinem eigenen Dreck, ich wage nicht, den Onkel anzufassen, wie kann ich mich halten -
Der Mann bückte sich hinter dem Pferd, schaute freundlich zu mir auf; der Lärm des Platzes, mit Kommandos und schönen Worten, dringt in mein Ohr. Das Gesicht meines Onkels und seine Antwort, unterlegt mit Farbspiegelungen, Lichtkegeln, geschnitten in den sonnigen (endlich!) November, mit hellem Lächeln und unter dem Schmirgeln der Reifen aus der Parkhausebene, erscheinen wie im Endlosband eines dröhnenden Halleffekts: Der Lärm und die Lichtfetzen trennen sich, vermengen sich aufs neue. Ich sehe laut und höre scharf seinen letzten Satz, dem ich davongelaufen bin: "Würden Sie mich denn erkennen, wenn ich unkostümiert beim Umzug mitmachen würde, in Zivil und zu Fuß? - Sozusagen privat?"
Wo bist du hier? Am Rhein. Dort - die Auffahrt zum Parkdeck...?
Was denn?

Ein Mann fasst mich an. Wer? Meiner... - ja! "Was ist mit dir, Wiltrud?"
Wo bin ich noch?
„Weißt du, wo die Kinder sind.“
„Bei Omi?“ frag ich zurück, „vielleicht?“
„Quatsch! Kuck hin!“
„Wie, wo?"
„Da - zu dem Kostüm - na, dem heiligen Rotmantel!“
„Seh nix!“
„Kuck höher!“
„Da? Da, ebend! Da - auf dem Schimmel? - wovon du immer geträumt hast! - Mädchen, kuck mich mal an!? Was ist mit dir?"
"Du? Ihr hier? Sag nicht immer ebend, bitte!“




* ~*


Sah es wohl so aus:

Im Dunkel ein Helles
[i]Foto: © Harald Beisemann, Recklinghausen

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Kommentare (2)

immergruen ohne Träume? Wo wären wir ohne Erinnerungen? Was wären wir ohne Fiktionen, Rückblenden,Trugbilder,Kinderträume und Erwachsenenwissen?
Ich für meinen Teil wäre im wahrsten Sinn des Wortes armseelig. Danke für die schön erzählte, phantasievolle Geschichte, die man nicht einfach nur liest, sondern über die man sich auch Gedanken machen muss.
laura So habe ich es noch nie gesehen.

Liebe Grüße
Laura


http://myblog.de/laura-linn

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