Wer ist der Schnellere?


Halbeins! „Ich wollte Kasseler mit Sauerkraut und Kartoffelbrei machen. Und nun, schau‘ mal - in der Packung ist Rotkohl drin. Was mache ich nun?“ „Wir gehen essen! Weißt Du was. Wir fahren nach Eichwalde! Die Sonne blinzelt so etwas durch die Wolken.“

Das muß doch herrlich sein, da bei dem Schnee raus zu fahren. Raus in die Eisesluft. Der Bus fuhr uns vor der Nase weg, wir liefen bis zur nächsten Haltestelle. Da standen Leute – auf den Fahrplan-Anschlag konnte man sich so wie so bei dem Schnee nicht verlassen. Also warteten wir auch.
Und der Bus kam, hinein ins Warme. Wir fuhren bis zum S-Bahnhof mit.

„Ich möchte einmal sehen, wie weit die mit den Bauarbeiten in Adlershof sind.“ Also nahmen wir die nächste Bahn, die wollte nach Schönefeld. Zwei Stationen weiter. Wir hatten Zeit zum Umschauen. Und das paßte uns, denn danach müßte doch einer nach Grünau oder gar nach Königs Wusterhausen kommen. Und so war’s: schon vier Minuten später kam eine S-Bahn nach KWh. Huschhusch ins Warme!

Die Landschaft in ihrem weißen Kleid rollte an uns vorbei – eigentlich doch umgekehrt. Das Licht winterlich grau, der Schnee auch schon angegraut. Hinter Grünau fängt die lange Strecke aus Berlin hinaus an. Eine wunderschöne Winterlandschaft, die Bäume trugen schwer an der Schneelast. Die S-Bahn fuhr wie verhalten nach Süden, ein Regio kam auf dem Nachbargleis entgegen, auf dem nächsten Gleis fegte der Dieseltriebwagen der ODEG mit einer Schneewolke hinter sich herziehend vorbei, er hatte es eilig, will er doch noch Frankfurt an der Oder erreichen.

Eichwalde! Da lag der Ort, der neun Jahre der Jugendzeit das Ein und Alles war. Wie vor sechsundsechzig Jahren. Schnee und Kälte. Damals war konnte man nicht so einfach auf den Bahnsteig gehen, es gab ja noch die Bahnsteigsperre, aber wir Jungs kamen so durch, hatten wir doch Dienst, wenn da ein Zug mit Flüchtlingen ankam. Und heute? Die S-Bahn kommt, die S-Bahn fährt weiter, alles geht automatisch. Damals stand kein Auto vor’m Bahnhof, heute finden sie kaum Platz zum Abstellen.

Die Bahnhofstraße! Wir knipsten drauf los. Winterbilder! Sonst besuchten wir Eichwalde doch nur in der warmen Jahreszeit. Wir hatten uns schon vorgenommen, im neuen Jahr unbedingt mit den Rädern hier rauszufahren. Nun aber Schnee, man hat sich nicht bemüht, die Masse beiseite zu schaffen. Also stapften wir auf dem eingetretenen Trampelpfaden die Straße entlang.

„Halt! Sieh mal links – das war früher mal das Kino.“ – Vorbei die Zeit, wo wir uns die Nase an den Schaufenstern plattdrückten, wenn die frühere Mitschülerin und heutige Ehrenbürgerin Sonja Ziemann da in ihren ersten Filmen angezeigt wurde.
„Und da etwas weiter war die Post, wo ich immer die Überweisungen für’s Postscheckamt und die Briefe an Vater aufgeben durfte.“ Es war einmal.
„Und da in der Kneipe hat Mutter beim Roten Kreuz die Frostbeulen der Flüchtlinge behandelt. Hier wartete ich auch oft mit dem Handwagen, um Flüchtlinge vom Bahnhof weg zu bringen.“ Es kamen ständig Flüchtlinge an, fast jeder Zug hielt kurz an, ehe er weiter nach Berlin reinfuhr.

Wir kamen zum Plumpengraben. Nanu: das Kriegerdenkmal ist ja weg! Ein Tannenbaum stand neben einer Pumpe, die es früher da nicht gab. Naja. Man möchte doch zu alle dem, was den Ort interessanter macht, wohl etwas mehr Stimmung einsetzen – wir müssen uns das ohne Schnee ansehen.

Nein, so hatten wir das Humboldt-Gymnasium noch nicht gesehen: keine beblätterten Bäume versperrten die Sicht. Ach ja, da hatten wir gepaukt – oft ganz ohne Lust, wir warteten auf Einsätze an der „Heimatfront“. Wie gut tat es uns Grünschnäbeln, daß es schließlich keinen Unterricht mehr gab.

Im vorigen Jahr hatten wir hier unser Jahrgangstreffen. Immerhin noch drei Dutzend Mitschüler standen auf der Liste – und „alle“ kamen. Und im vorvorigen Jahr, im schönen Monat Mai fuhren wir Beide als Erstes hinaus nach Eichwalde. Das Lokal war heute nicht geöffnet, zumindest lud es uns nicht ein, dort wieder zu speisen. Also setzten wir uns „ersatzweise“ in die Pizzeria gegenüber.

Die Idee, von Eichwalde hinüber nach Schmöckwitz zu wandern, ließen wir fallen, denn der Schnee – da draußen an der Godbersener Straße erwarteten uns bestimmt keine geräumten Straßen oder auch nur Trampelpfade, sonst wären wir mit der Linie 86 über Karolinenhof zurück zum S-Bahnhof Grünau gezockelt. So wanderten wir die Grünauer Straße hin bis zur Mozartstraße und landeten bald wieder am S-Bahnhof Eichwalde. Natürlich haben wir geknipst, solange, bis die Batterien bei der Kälte bald bockten. Die Kälte nahm mit dem Dämmerlicht zu.

Wir mußten nicht allzu lange auf die Bahn nach Berlin warten. Ach tat das gut, so in der Wärme sitzen zu können. Das komische Laufen im Schnee hatte angestrengt. Nur in Schöneweide sauste der Bus uns wieder vor der Nase weg. Was soll’s?! Wir hatten doch nichts geplant, wir haben nur unsere Abo-Tickets ausgenutzt. Der erste Sonntag im neuen Jahr zeigte uns die nächsten Planungsziele.

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Kommentare (5)

ortwin Liebe Tilly,
die oben beschriebene Reise war kurz. Da in Eichwalde zeigt das Streckenschild 18,0, also achtzehn Kilometer bis zu einem Punkt voraus. Als wir in Schöneweide ausstiegen sahen wir die Entfernungsanzeige 5,6. So waren es von Schöneweide bis nach Eichwalde nur 12,4 Kilometer. Und von wo zählt das nun ? Früher war das bis zum Görlitzer Bahnhof, den es ja nicht mehr gibt. So also könnte es hinter Baumschulenweg sein, wo die Einmündung westwärts in den Südring liegt. Doch das ist zu früh. Wir werden bei der nächsten Fahrt in Richtung Ostkreuz aufpassen, ob bei der Einmündung der ostwärts verlaufenden Südring-Strecke kurz vor Treptower Park das auswärts Zählen mit 0,0 beginnt.
Schon als Bub war für mich das Bahnfahren immer eine große Sache. Und das wurde in der Abwesenheit von Berlin immer geschürt, sei es durch Dienstreisen oder im Basteln für die Modellbahn.
Als ich im Mai 2008 das erste Mal von Ingostadt nach Berlin fuhr, da den vor nicht allzu langer Zeit umgebauten Bahnhof "Berlin-Südkreuz" betrat, kam ich richtig wieder in Berlin "zu Hause" an, bewegte mich mit dem Gepäck so mit festem und vertrautem Schritt, brauchte mich nicht umzusehen, ganz selbstverständlich - das letzte Mal hatte ich im Januar 1945 das Provisorium "Papestraße" betreten. Und wieder flackerten vor den Augen alle Bahnhofsnamen auf. Vorbei ging's auch am Tempelhofer Feld, wo wir als Jungs die Maschinen eines Herrn Göring stehen sahen, wo dann bei der Luftbrücke die Rosinenbomber landeten und starteten und wo nun nichts mehr los ist.
So schön kann die Welt sein, wenn man sich dafür interessiert.
LG
Dieter / ortwin
tilli Lieber Ortwin !
Du bist ja eine Maschine . So viel zu lesen von dir, in jeder Kategorie. Also
aller Achtung. Schade, das ich zur der schönen Reise nicht mitkommen konnte.
So ist das Rotkohl doch gut gewesen, denn du hast diese Reise aufgeschrieben.
Grüsse dich im Neuen Jahr Tilli.
koala ging das alles nioht mehr rein. Hier auf dem Lande ist es einfacher. Bei uns im Dorf gibt es keine regulaere Haltestelle.
Morgens um 6.40 Uhr faehrt der Bus bei uns vorbei. Wenn man mitfahren will, winkt man.
Kommt man zu spaet, muss man die Fahrt auf den naechsten Tag verlegen. Der Bus bringt einen bis zur Kreisstadt. Dort sind sie schon so modern und haben richtige Haltestellen !!!
ortwin Auch der echte und auch alteingesessene Berliner hat immer so einen Flyer bei sich, wo er S- und U-Bahn-Strecken und -Stationen ablesen kann. Wo ich nun nach sechsundsechzig Jahren Abwesenheit nach Berlin zurückkehren werde, halte ich das so selbstvertsändlich wie mein Spatz auch die Fahrzeiten an bestimmten Umsteigestellen im Kopp hat. Wichtig ist in Berlin, schnell umschalten zu können von Plan A auf Plan B. Und eines ist deutlich: rechne mindestens eine Stunde Fahrzeit; wenn's kürzer geht, nimm Bus oder Tram, und noch kürzer: loof doch zu Fuß! Diese Weisheit vemittelte mir mein Vater, als ich noch an seiner Hand durch Berlin stapfte.
koala Diese ganze Umsteigerei, da braucht man ja einen Kompass. Aber auch damit kaeme ich nie ans Ziel. Als Fussgaenger muesste man so eine schlaue Emma haben, die auch den Autofahrern sagt, wo's langgeht.

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