Kümmerling und Trauerkloss


    Der Mensch als Mensch in seinem Sein
fühlt sich verlassen und allein,
unfertig, mickrig, nackt und bloß,
als Kümmerling und Trauerkloß.
Als solch ein Frierender und Nackter
sucht dann entsprechenden Kontakt er,
wobei ein hehres Partnerbild
aus unbewussten Tiefen quillt.
Der Mann wünscht etwa eine Sie,
die aussieht wie Miss Germany.
Die Frau ersehnt den edlen Ritter,
geeignet auch als Babysitter,
gebildet, durchtrainiert, potent,
aufmerksam bis zum Happy end.
   So schaut ein Individuum
sich gern nach einem andern um,
das ihn befreit aus dem Morast
und für die Zukunft zu ihm passt.
Denn dies sagt ihm sein Genius,
dass irgendwer doch passen muss.
Denn ähnlich wie die Faust aufs Auge,
die Unterwäsche in die Lauge,
die Schraube nur zu einer Mutter,
der Taschenkamm zur Frühstücksbutter,
zu jeder Flinte ein Geschoss,
nur ein Gespenst zu jedem Schloss,
der Künstler zu den Autogrammen
gehören Mann und Frau zusammen.
   Als seine Hoffnung fast entschwindet,
geschieht es, dass er einen findet,
der, wenigstens bei erster Sicht,
dem, was er sich erträumt, entspricht.
Mit ihm will er sich deshalb nun
verbinden und zusammentun.
Weil auch des andern Seele schreit
nach engerer Gemeinsamkeit,
wird eine Partnerschaft begründet,
die hoffentlich kein Ende findet.
Kein Zweifel herrscht, dass man sich liebt.
   Doch schien des Menschen Blick getrübt.
Denn das, was er im andern sah,
ist plötzlich weg und nicht mehr da.
Statt liebesseligem Gelall
tönt schriller Kriegstrompetenschall.
Die Lockenpracht schrumpft ein zur Glatze,
das Lächeln wird zur Teufelsfratze,
kurzum, zur Linken und zur Rechten
verändert sich der Mensch – zum Schlechten
Der andre, der ein Engel schien,
ist keiner, und das ärgert ihn.
Nach gegenwärtigem Befund
ist er ein ziemlich krummer Hund.
   Der Mensch verlangt, was er vermisst,
und nimmt ihn nicht so, wie er ist.
Er knirscht mit seinem Unterkiefer,
der Abgrund wird beständig tiefer.
Weil jener dies will, dieser das,
verwandelt Liebe sich in Hass.
Die alten Griechen wissen es
seit Aischylos und Sophokles:
Beeindruckend ist die Fassade,
dahinter nichts als Chaos, schade.
Er zückt ein Messer, sie Arsen.
Man fragt, wie soll das weitergehn?
          Silesio


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Kommentare (6)

silesio

   Ach Anabell 23, da ärgert man sich über all den Vorweihnachtsstress in täglichen Leben und das leere Gedudel in dieser Zeit, aber in ST kann man es ganz genauso erleben.
   Schmunzeln ist an keine Jahreszeit gebunden!
          Silesio

Anabell23

Hallo Christoph,

Dein Gedicht ist einfach köstlich und enthält so viel Wahres.

Ich dachte beim Lesen, endlich weg vom ganzen vorweihnachtlichen Streß.
Ja, es hat mich auf andere Gedanken und zum Schmunzeln gebracht.


Liebe Grüße
Uscha

silesio

    Hallo Willy, da freut sich doch ein ST-Leser, wenn er so etwas von einem anderen ST-Leser liest, der dazu selbst auch noch so Aktiv ist
              Silesio

Willy

Ja, da passt alles und ich mag Gedichte, die einen realen (wenigstens für mich) Aussagewert haben.
Komm gut durch die Woche im schönen Dubai!
LG
Willy

Syrdal


Wohl um dies alles zu vermeiden, warnte Schiller alle Welt in seinem großen „Lied von der Glocke:

Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet.
Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang.
 
Mit fein erhobenem Zeigefinger grüßt
Syrdal

silesio

    Tja, was tun Menschen nicht alles für einen, wenn auch kurzen, Wahn. Meist ist einem, etwa beim Suff, kotzelend.
    Ein kleines Bierchen in Ehren kann aber wohl keiner verwehren. Selbst hier im muslimischen Dubai nicht, wo´s Alkoholisches und Schweinisches in den Lebenmittelabteilungen nur hinter Extratüren gibt.
        Prost, liebe Leser

                Silesio


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