Ötzi und seine Welt


Am 18.10. hielt ein Paläobotaniker der Uni Innsbruck hier einen Vortrag über die Gletschermumie vom Tisenjoch. Zuerst mal war ich verwundert und neugierig, was gerade ein solcher Fachmann zu diesem Thema besonders beitragen können sollte. Im Lauf des Vortrags wurde mir die Sache immer verständlicher - es ist erstaunlich, was man mit modernen Methoden aus einer 5.300 Jahre alten Leiche alles 'rausholen' kann - Aussagen über die Jahreszeit, die Aufstiegsgeschwindigkeit, die Ernährung, den soziologischen Stand, die Beschäftigung, den Gesundheitszustand, die Todesumstände und allgemein die Verhältnisse damals und seither...
Der Mann war ein recht wohlhabender ca. 60jähriger - bei einer Lebenserwartung von 30 Jahren also 'uralt', aber trotz diverser Leiden durchtrainiert - er hatte Arthrose, einen Bandscheibenschaden, Gallensteine, eine Raucherlunge (was mich zuerst erstaunte - aber damals gab's nur offenes Feuer und keinen Rauchabzug in den Hütten), möglicherweise einen Schlaganfall überlebt und bereits einen Kampf hinter sich, als er sich auf den Weg nach Norden machte und in etwa zwei Tagen etwa 2.000 Höhenmeter aufstieg - vermutlich auf der Flucht. Zu Beginn ernährte er sich mit Mischkost - teils Fleisch, teils Getreide und Gemüse, dann Getreide, Adlerfarn und geräuchertes Hirsch- und Steinbockfleisch - die letzte Mahlzeit etwa eine Stunde vor seinem Tod. Todesursache war ein Pfeilschuss von hinten aus nächster Nähe, der das linke Schulterblatt durchschlug [!] und die Subclavia-Arterie eröffnete, was zum raschen Verbluten führte. Da seine recht wertvolle Ausrüstung (u. A. ein Kupferbeil) nicht weggenommen wurde, war es vermutlich kein Raubmord, die Leiche dürfte aber eine kurze Strecke getragen oder geschleift worden sein. Die Vermutungen, er könne Schafhirte, Bergmann oder Schamane gewesen sein könnten weitgehend ausgeschlossen werden, wahrscheinlich war er Jäger, Krieger oder auch ein Gesetzloser - die teilweise unfertige Ausrüstung könnte darauf hinweisen. Der Langbogen aus Eibenholz war hervorragendes Material, aber noch unbearbeitet - damit war noch nie geschossen worden, die Rückentrage ebenfalls noch nicht fertig gebaut. Die Jahreszeit war Frühsommer und nach dem Tod muss längere Zeit eine kräftige Föhnlage geherrscht haben - der Wind trocknete den Leichnam aus und hinterließ Staub aus dem Süden. So blieb der Tote erhalten, obwohl er nur zeitweise in der kalten Jahreszeit vom Schnee bedeckt war.

Tags darauf fuhren wir ins Ötztal zum 'Ötzi-Dorf', das neben Umhausen neu aufgebaut wurde, um uns vom Leben zu dieser Zeit ein plastisches Bild zu machen. Hier ein Bild des modernen Dorfes mit einer typischen Tiroler Bergbauernsiedlung:




Eine Nachkonstruktion von Ötzis Ausrüstung:




Eine nachgebaute Wohnhütte mit zum Gerben aufgespanntem Wisentfell:




Die ersten Karren mit Rädern wurden von Menschen gezogen - Zugtiere kamen erst später.




Backofen für das Brot aus Einkorn, Dinkel u.Ä.:




Ein Brennofen für Keramik - bis zu 1.000 C wurden darin erreicht (mit den Töpfen konnte man erstmals über dem Feuer kochen, und nicht mehr durch Einlegen von heißen Steinen in das Kochgut):




Wollschafe brauchten nicht geschoren zu werden - sie verloren die Wolle zu Sommerbeginn, man musste die dann nur aufsammeln:




Die Hütte eines Schamanen:




Eine Fischerhütte mit Einbaum:




Das Steingrab eines vornehmen Mannes mit Ausflugloch für die Seele ('normale' Sterbliche wurden in Hockstellung in Erdlöchern begraben):




Grabstele eine vornehmen Mannes mit Ausrüstung und Zeichen seines Reichtums (drei [!] Kupferbeile) und seiner Frau:




() qilin

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Kommentare (3)

qilin hatte ich keinen Blitz dabei - deshalb keine Innenaufnahmen.
Da wäre noch einiges Interessante dazugekommen...

() qilin
ehemaliges Mitglied was für ein interessanter bericht, habe viel davon in den Nachrichten gelesen. war auch in unterhuldingen am Bodensee
und habe mir die Pfahlbauten dort angesehen.
dein bericht past dazu.
lg.Basta/helmut
nnamttor44 Deinen Beitrag hab ich gern gelesen und mir Deine Fotos angeschaut. So etwas finde ich sehr interessant!

Lieben Gruß nnamttor44

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