Großvater bot mir seinen Spazierstock an. Da draußen in der Wuhlheide, da zwischen Schöneweide und Karlshorst. Ich sollte den Stock quer hinter dem Rücken in die Ecken der angewinkelten Ellenbogen tragen. Ich war doch nicht gerade gelaufen, und war ich auch über den Großen Onkel gestapft. Erziehung!

Wie froh, dann am Wildschwein-Gehege angekommen, eben eine Pause ohne „Haltung“ – nur den Tieren zuschauen. Und … ausruhen! Denn das Laufen durch den Märkischen Sand strengte an, zwei Schritte vor, einen Schritt zurück. Ich war zu groß geworden, auf Vaters Schultern getragen zu werden. Da hatte Bärbel hin und wieder Platz nehmen dürfen.

Dieser Wald, hier Kiefern, hohe, schlanke Kiefern, deren Wipfel im Wind schaukelten. Die Sonne fand ihren Weg zu uns herunter, ungebremst. Der Wald, da Laubgehölze, niedrig, aber mit einem schönen grünen Kleid als Bäume und Büsche.

Unweigerlich nahm man den Duft des einen wie des anderen Wald mit, der setzte sich in den Nasenhöhlen fest, so war er ganz für uns mit nach Hause gekommen.

Ein Wiederriechen auf Usedom! Ferien in Karlshagen. Das war was, da im Sand am Strand der Ostsee. Und dann und wann ging es hinauf zum Kiefernwald zum Spazieren zwischen Blaubeerbüschen und Preiselbeeren. Der Duft bekam noch eine Priese Seeluft dazu. Und wieder setzte sich dieser Geruch im Dachstüberl fest, lange Zeit, ja für ein halbes Jahrhundert und mehr.

Wir wanderten aus von Berlin, zogen hinaus in die Märkische Heide. Ich war groß genug als erster ein Mädchen-Fahrrad – ohne Stützräder – zu fahren. Vater fuhr voran, ich folgte ihm, Mutter hinten dran. Die Eltern hatten „Bratpfanne“ bzw. Körbchen an ihren Rädern. So waren wir zu Fünft unterwegs. Es ging am Oder-Spree-Kanal entlang, der umsäumt war mit Birken – das Schwarzweiß der Rinde!

Wir sammelten Pilze, hier in Laub- und Kiefernwald, da in den Eichen-Schonungen. Das war Arbeit, die uns da nach Hause begleitete. Neben der Veranda stand die Garnitur an Gartenmöbeln von rohem Eichenholz. Ausgebreitete Zeitungen deckten die Tischplatte ab, die Pilze wurden ausgebreitet. Stück für Stück kam „unter’s Messer“. Die geputzten Pilze kamen ins Wasser zum Waschen. So nach und nach verschwand der Berg an Pilzen, der Berg mit Abfall wuchs, bis er dem Komposthaufen übergeben wurde. Mutter hatte nun mit dem Einkochen zu tun.

Es war Krieg. Der Vater war eingezogen worden. Da ging es nicht mehr raus nach Wernsdorf oder Miersdorf oder, oder. Erst, als unsere Mutter sich mit uns in den Odenwald evakuierte, wurde emsig im Wald nach Pilzen und Beeren gesucht und diese eingesammelt. Die Funde gingen dann mit zurück nach Berlin, als die Westfront immer näher rückte. Eine halben Güterwagen hatte Mutter „organisiert“, um unser Hab und Gut zurück zu schaffen.

Die Front im Osten kam immer näher. Fliegeralarme lösten sich ständig ab. Schule? Ein Übel, dem wir durch Dienst in Jungvolk und Hitlerjugend auszuweichen versuchten. Währen die einen beim Barrikadenbau mithelfen mussten, so also Bäume fällen und diese dann noch schleppen „durften“, war unsere Klasse fast geschlossen zur Nachrichten-H.J. übergetreten. Da kamen uns die Straßenbäume recht gelegen, wenn es darum ging, ein Feldkabel in ihre Wipfel zu hieven.

Und dann war der Krieg aus. Nicht lange danach, aber noch weit vor dem zu erwartenden Winter, wanderte die Familie aus. Es ging über Berlin-Westend, das Ruhrgebiet nach Niedersachsen. Eng war’s am Anfang da auf dem Lande - mit dem weißen Pferd auf rotem Schild. Wir richteten uns mühevoll ein, konnten froh sein, dass unser Vater in Köln Arbeit gefunden hatte. Mutter ging zu den Bauersfrauen und schneiderte – sie, die nur durch den Kinderreichtum und ihre Fertigkeit, das Schneidern beherrschte. Das gab Deputat, also Feldfrüchte und Holz.

Und wir hatten Wald um Dorf und Schloss. Wir zogen hinaus, wenn wir denn zu Hause waren. Denn schon zogen wir beiden Großen hinaus, hatten Lehrstellen in den Nachbarorten. Fahrräder fehlten, so dass viel zu laufen war. Das machte uns wenig aus. So ging es zusammen mit den anderen Geschwistern hinaus in die Wälder.

Viel Wald rollte auf Britischen Lkw’s (German Timber Control) zur Bahnstation. Der Berg gegenüber dem Schloss war kahl geschlagen. Doch die Natur ist schnell dabei, die ihr zugefügten Wunden zu bedecken (wenn man sie lässt!). So waren da die Himbeeren, die Brombeeren, die Blaubeeren gefällig, von uns gepflückt nach Hause gebracht zu werden.

Vier Jahre lebten wir zwischen Hameln und Bad Pyrmont. Dann ging es ins Rheinland. Da waren wir mit von der Partie, Bonn zu bevölkern. Fahrräder wurden gebastelt. Denn die Umgebung von Bonn harrte der Entdeckung durch uns, die Eltern immer voran. Aber auch schon ohne sie.
Der Kottenforst, da gab es Stellen im Wald, wo man im Krieg die V-Waffen abgeschossen haben will. Überhaupt, war dem Wald über Bonn schon einiges widerfahren. Da gab es die Schneise „Die Gudenau-Bahn“. Diese strategische Bahn ließ nach dem Ersten Weltkrieg der Franzosen als Reparationsleisung abbauen. Für uns ein schöner friedlicher Ausflugsweg.
Und der Venusberg! Als wir nach Bonn kamen, war da man gerade die Flak-Kaserne zum Krankenhaus umfunktioniert worden. Die Neubürger, die mit der neu geschaffenen Bundesregierung in Bonn Einzug halten wollten/mussten, bekamen da am Berg Wohnhäuser gebaut. Ein O-Bus schleppte sich da hinauf.

Aber das war nicht Alles, was Bonn für uns ausmachte. So ging’s rüber in den Erftgraben, zum Braunkohle-Abbau, ins Ahrtal, ach wohin nicht alles! Und rechtsrheinisch nicht minder. Wälder und Felder, Täler und Höhen. Mit und ohne Eltern, alleine oder mit Geschwistern. Wahrlich ein Ersatz für das „verlorene“ Berlin. Mutter mochte Berlin nicht, in Bonn lebte sie auf, der Garten an der Kreuzberg-Allee mit Blick auf Bonn und den Venusberg – es gab eine Baubude, die Vater der Mutter so recht schön ausgestaltet hatte.

Die Arbeit brachte mich zum Schwarzwald. Ein Name! Doch was sich dahinter verbirgt, das galt es zu entdecken. Karlsruhe, eigentlich eine Reißbrett-Stadt, die ihre Straßen fächerartig angelegt hat. Ich hatte nichts zu tun über’s Wochenende (damals nur der Sonntag!), also setzte ich mich in die Straßenbahn und fuhr mal rauf nach Herrenalb. Ich mag es nicht, wenn ich den Rückweg wie den Hinweg nutzen soll. Also nahm ich die Sohlen in Beschlag und wanderte durch den Wald nach Bad Wildbad – ganz alleine – von da dann mit dem Zug über Pforzheim nach Karlsruhe zurück.

Und weiter ging es in der Urlaubsvertretung von Mannheim aus nach Baden-Baden. Da war es um mich geschehen. Zu zweit ging’s durch die Wälder um diese mondäne Kurstadt. Ein halbes Jahr später zogen wir Beide als junges Ehepaar nach Villingen im Schwarzwald.

Ehe es zum Möbelkauf kam, wurden Fahrräder beschafft. Das Gelände da oben ist schön hügelig, so hügelig, dass die Donau bis zu ihrem Start schon ihre beiden Quellflüsse Brigach und Breg braucht. Auch der Neckar macht sich in der Baar auf den Weg. Wieder viel Wald und die Seen wie Titisee und Schluchsee. Der Landstrich, wo die Kuckucksuhren herkommen. Wenn es das Wetter zuließ, waren wir unterwegs, über den Feldberg das Wiesenthal hinunter und weiter nach Waldshut und Tiengen, dann im Tal hoch, wo die Sauschwänzle-Bahn in vierfacher Strecken länge sich nach Hüfingen windet.

Schließlich verkaufte ich meine Haut in Donaueschingen beim Kreiswehrersatzamt. Man bat mich – so auf den letzten Drücker (altermäßig) – zum Dienstantritt nach Fürstenfeldbruck, also nach Bayern. Die Familie musste noch zwei Jahre in Villingen bleiben, bis wir südlich von Augsburg eine Wohnung bekamen. Ade, Schwarzwald.

Und Grüß Gott, Bayerisches Schwaben! Die Familie, Ehefrau, Schwiegermutter und die zwei Töchter landeten mit mir in dem damals längsten Dorf Deutschlands, in Königsbrunn, südlich von Augsburg. Da hatte ich nun meinen „Job“ im südlich davon gelegenen Lechfeld.
Es gibt in diesem Voralpen-Land wenig Wald. Aber eines ist immer wieder interessant: wenn „Wilhelm Tell“ gespielt und dazu die „Kulissen“ hochgezogen werden, d.h. wenn Fön herrscht, dann wachsen im Süden die Alpen als breites Panorama auf. Dann möchte man alles stehen und liegen lassen und da hin brausen zum Anfassen der Berge.

Elf Jahre ununterbrochen (außer weg zu Lehrgängen) in der schönen Gegend, die dann auch mit dem Auto erobert wurde. Und bei all dem späteren Hin und Her blieb eine Tochter mit ihren Kindern und der Mutter da in Königsbrunn, für sie ein endliches Zuhause. Dienstlich kam ich später des Öfteren dahin, so auch zum Treffen der ehemaligen Kameraden einmal im Jahr.
Mich trieb der Dienst weiter, anfangs folgte die Familie nach. Alleine in der Kasernenbehausung. So musste ich vieles alleine erleben/erobern. Da war der Ritt nach Freising. Nicht lange. Weiter in das Sauerland für gerade Mann zwei Jahre. Mit dem Forsteleven manchen Abend oder Morgen hinaus zu einem Ansitz, das Rot- und Schwarzwild zu beobachten.

Als die Familie da auch angekommen war, war ich schon wieder weiter gezogen. Kaum, dass ich so richtig Kontakt mit meinem Buben finden konnte. Erst recht nicht, als die Ehe zerbrach. Ich war wieder am Rhein gelandet. Und da gab’s Arbeit, Dienstreise, kaum Gelegenheit für „in Familie“. Stellenweiser „Rosenkrieg“. Nicht schön.

Hier möchte ich meine Wälder für heute verlassen. Ich will doch keinen Lebenslauf abgeben. Wenn damals der Krieg nicht gewesen wäre, dann hätte sich wohl mein Berufswunsch, Förster zu werden, verwirklichen lassen. So aber kann ich mit meinem Spatz die Wälder rings um Berlin „unsicher“ machen, so, wie es uns in den Kram passt.

ortwin

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Kommentare (3)

erafina ihren Enkeln wieder Geschichten von früher erzählen würden.
Der Mensch braucht Wurzeln.

Und wenn es denn dann so nett erzählt wird -
dann muss auch das hartgesottenste Kid zuhören.

Eine schöne Zeit für EWuch

erafina
ortwin Eigentlich ist das "grausam"

wenn man da fast gegen Mittag noch im Schlafanzug sitzt und die Fingerkuppen nach den Tastenköpfen greifen - ich nicht alleine, ab und an ein Telefonanruf, angenommen oder angesetzt, um zu erfahren, dass am anderen Ende auch jemand (mein Spatz) genauso unfertig in der Garderobe am PC sitzt undda in den Fotos herum werkelt (Marias Rote Augen zu beseitigen).

Dieses Sicherinnern: haben wir den Großeltern, so wir welche hatten, nicht auch zugehört, was sie uns erzählten?

Wir hatten eigentlich nur den Opa, Vaters Vater. Er hat nicht viel erzählt, er war kein "Märchenonkel", aber mit ihm durch Berlin zu laufen, Buchhandlungen zu besuchen, oder bei der Wohnung seiner Freundin vorbei zu schauen, den Piepmatz und die Fische zu versorgen und ... da die Figuren in glasig anzusehender Seife. Oder Opas Hund, der Pucki, ein schwarzer Rauhhaardackel.

Erinnerungen, die man den Kindern und Enkeln irgendwie und irgendwann vortragen möchte. Echte, gelebte Märchen! In Addition zu den Märchen, die jetzt bei ihnen anwachsen. Noch können sie uns Alten fragen - unsere Eltern können uns nicht mehr Antwort geben. Und wir haben noch sooo viele offene Fragen.


Stahnsdorf


Also schreiben wir ruhig weiter. Sie sollen es später einmal finden, wenn es zu einem Buch noch nicht gereicht hat.

ortwin
Traute das war wieder ein Vergnügen! Es ist so schön "unsere"Zeit in all ihren interessanten Varianten, aus dieser und jener Perspektive zu sehen.Was ist in unserer Zeit alles geschehen und wie haben die unterschiedlichen Charakter diese Zeit erlebt und bewältigt.Ich fand das sehr anschaulich und auf eine, Deine, besondere Art geschildert.
Ich konnte alles sehen und es war wahr und schön und traurig und doch erlebt.Ach wir Menschenkinder, wenn wir alt geworden sind, wenn das Herz voll ist dann läuft der Mund über.
Wir können viel erzählen, schreiben wir es doch auf.
Mit freundlichen Weihnachtsgrüßen,
Traute
Traute 2(Traute)



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