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Aktuelle Themen Ein deutsches Phänomen??!!!

eleonore
eleonore
Mitglied

Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von eleonore
Manche mögen sich wundern, dass ich, just als Ausländerin diesen thread eröffne.
Inspiriert dazu haben mich die Sportereignisse 2010 wie 2006 und 2008.

Sport ist immer auch ein Politikum, das hab ich schon woanders geschrieben.
Ausschreitungen wegen eines verlorenen Matches sind leider auch an der Tagesordnung,(auch in Ausland) aber auf die möchte ich jetzt nicht näher eingehen.

Dass in Hintergrund dass Alltag weiterläuft, ist ebenfalls Tatsache.
Politische Entscheidungen, die alles andere als genehm und fair sind, werden nicht nur in solche Zeiten verkündet.

Ich hab mein thread diesen Titel gegeben, weil ich mich in letzten Jahren oft und sehr gewundert habe.
Beim Lesen von Zeitungen, und auch Meinungen hier in ST, bei Diskussionen in realen Leben mit Freunde und Bekannte.

Mir ist immer und immer wieder aufgefallen, wie verpönt in manche kreisen ist, stolz auf ihrem eigenen Land zu sein, speziell auf Deutschland.
Warum, frage ich mich immer wieder.

Ich lebe in Berlin, und habe auch durch der Tätigkeit meines Partners teilweise hautnah miterlebt, was diese Stadt an Wert gewonnen hat.
Gerade in Augen europäische Nachbarn, aber auch Touristen aus aller Welt.

Ich möchte keineswegs was schönreden, es gibt mehr als genug Schattenseiten.
Leider werden aber in meinen Augen grade, und oft nur diese Schattenseiten immer wieder aus der Ärmel gezaubert, statt sich zu freuen.

Ich lese verständnislos von *nationale taumel*, von *bierflaschenhaltende, dickbäuchige* Fans, die sich in Fahne hüllen.
Von angeblich verschwundene Fahnen an Autos, was in keinster Weise stimmt.
In Zeitungen und Fernsehen gibt mehr als genug Bilder von fröhlich-friedlich feiernden Menschen, ohne Aggressivität.

Warum darf und kann man sich nicht diese Stimmung hingeben, und sich einfach nur freuen?

Ich schrieb in mein anderen thread, diese Mannschaft in SA zeigt uns gelebte Multikulti in schönster Form.
Wenn es Schule macht, (und sowas dauert nun mal), ist das doch ein Grund zum freuen.

Warum muss immer alles, was halbwegs positiv ist, runtergezogen werden????

Sicher, jetzt kommen die Anmerkungen, *panem et circensis* fürs Volk, taumelnde, besoffene Fans……ist das alles, was man merkt?
(auf der fanmeile wurde mehr wasser als bier getrunken, schon temperatur bedingt))
Darf man ein ganzes Volk auf sowas reduzieren?

Ist das nicht an der Zeit, zu Deutschland zu stehen in einem positiven Sinn, auch wenn nicht alles Gold ist, was glänzt???

Wir berufen uns hier gerne auf das Zitat *ein Volk von Dichter und Denker*, aber das wird flugs vergessen, wenn man rummeckern kann.

Ist die Erbe der 68er und andere Zeiten noch so mächtig?
Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort finde.

Ich verlinke ein Artikel, was mich auch zu diese beitrag hier mit bewogen hat.
pippa
pippa
Mitglied

Re: Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von pippa
als Antwort auf eleonore vom 09.07.2010, 10:27:13
Liebe Eleonore,

ich bekenne mich hier mal reumütig und niedergeschlagen dazu, überhaupt nichts mit Fußball am Hut zu haben, und ich habe auch kein einziges Spiel gesehen. Massenveranstaltungen stoßen mich ab. Ich bin Individualistin und möchte es auch bleiben.
Trotzdem habe ich jeden Tag Deine sehr unterhaltsame Berichterstattung mit großem Vergnügen gelesen.

Warum müssen denn alle Menschen gleich empfinden? Kannst Du denn nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die nur Stolz bei eigenen Leistungen empfinden und bei denen sämtliche Warnblinkanlagen angehen, wenn eine Masseneuphorie ausbricht.

Ich könnte Dir nun ganz genau erklären, warum das bei mir so ist, will Dich aber nicht langweilen. So wie ich empfinden nun mal alle, die in irgendeiner Weise noch das "Tausendjährige Reich" erlebt haben.

Massenjubel ist mir nun einmal unheimlich, bin ich deshalb eine schlechtere Deutsche?

Gruß Pippa
uki
uki
Mitglied

Re: Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von uki
Ja, es ist für mich ein deutsches Phänomen, dass viele Deutsche ein Nationalgefühl und einen gewissen Stolz auf ihr Land, regelrecht unterdrücken.
Es war (und ist?) lange Zeit verpönt gewesen, wegen der Nazivergangenheit, als Deutscher in Deutschland ohne Schuldgefühle belastet zu sein.
Langsam findet ein Umdenken statt, Täter und Mitläufer des 3. Reiches sind fast ausgestorben. Die Nachkommen möchten frei von diesen Schuldgefühlen sein, wobei ein Vergessen der Geschichte und damit eine hohe Aufmerksamkeit gegenüber evtl. auflebendes rassistisches Denken angebracht ist.

Worauf sollen, dürfen die Deutschen stolz sein? Auf ihre Dichter und Denker, ihren wirtschaftlichen Erfolg, auf ihre Politik?
Jedenfalls, Stolz auf etwas zu sein, was nicht von einem persönlich geschaffen wurde, also von jemandem oder der Masse aus dem Volke, kann nur bedingt zu Stolz berechtigen.
Außerdem, wer stolz auf Gutes der Vergangenheit und Gegenwart Deutschlands ist, müsste sich gleichzeitig auch mit den negativen Ereignissen des 3. Reiches plagen. Keiner kann ernstlich nur die guten Dinge für sich herauspicken und die schlechten beiseite schieben wollen.

Dagegen halten kann man den unbekümmerten Nationalstolz der anderen Ländern eigen ist.

Irgendwann wird es auch hier wieder der Fall sein.

Für mich ist es verständlich, dass viele Bürger ausländischer Herkunft, diesen Zwiespalt nicht verstehen können. Ich bin auch davon überzeugt, dass der fehlende Nationalstolz in Deutschland, so manchen Ausländer davon abhält, die deutsche Staatsangehörigkeit für sich zu wünschen.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das jetzt während der Fußball WM zu erleben ist, empfinde ich als sehr schön, doch wird es sich sicher bald danach wieder legen.

Editiert:
Selbst empfinde ich keinen besonderen Stolz darauf, Deutsche zu sein. Ich bin Deutsche und lebe auch ganz gerne in Deutschland. Freue mich, wenn es Deutschland gut geht, freue mich über sportliche Erfolge von Deutschen, na, vielleicht doch manchmal etwas Stolz? Ich kann es nicht genau sagen.

Liebe Grüße
-uki-

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Felide1
Felide1
Mitglied

Re: Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von Felide1
als Antwort auf eleonore vom 09.07.2010, 10:27:13
eleonore,

ich glaube gar nicht,dass dies ein deutsches Phänomen ist, es wird wohl meistens nicht geschätzt was man ständig um sich hat.
Erst wenn man länger im Ausland war lernt man seine Heimat schätzen(lieben).
In jungen Jahren ist keiner in seinem Land fest verwurzelt, es lockt das Abenteuer. Zumindest ging es mir so, im fortgeschittenen Alter habe ich mich nach meinem "zu Hause" zurückgesehnt(manchmal mit verklärtem Auge und rosa Brille).
Wie Land und Leute gesehen werden, wird meistens an den negativen Reaktionen ( auch wenn sie in der Minderheit sind)Auswüchsen etc. gemessen.( dies ist das sogenannte in einen Topf werfen). Dann sieht man das Schöne, Gute nicht mehr.
Was sticht gravierend ins Auge?????
Was fällt richtig auf??????
Meistens das Negative.

Wer die Fähigkeit hat, alles positiv zu sehen ist doch auch nicht im Leben angekommen.
Wichtig wäre, Beides zu sehen und trotzdem stolz ( nicht hochmütig) als Deutscher oder sonstige Nation durchs Leben zu gehen.

Gruß Felide
Re: Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Identifikation mit dem Heimatland
ja, warum auch nicht? Auch Stolz, wo man ihn empfinden kann (vielleicht wenigstens für manches).
Ein afghanischer Taxifahrer sagte gestern zu mir "ich lebe jetzt hier, also MUSS ich mich doch mit Deutschland identifizieren".



Identifikation mit einer Mannschaft

egal, ob 2 deutsche Mannschaften gegeneinander spielen,
oder eine deutsche Mannschaft gegen ausländische Mannschaften
- es gibt immer einen Teil der Zuschauer, die sich mit einer Mannschaft identifizieren
und dementsprechend die Freude über den Sieg oder die Trauer über die Niederlage mitfühlen.

Andere schauen sich (wenn überhaupt) Sport mehr zur Unterhaltung an, ohne Favoriten.
Finde ich beides in Ordnung - jedem seins!
Und hat im Grunde nichts mit Nationalstolz zu tun, sondern mehr mit Identifikationsverhalten allgemein.

Mich fangen Fans an dem Punkt zu stören an,
wo Alkohol im Übermaß dazu führt mich zu nerven (Müll, Gegröhle, Gestank in der UBahn etc)
und wo Hooligans ihr Fansein als Anlass für Schlägereien missbrauchen -
ganz generell da, wo Sport zum tatsächlichen Kampf der Zuschauer ausartet.
Dies ist dann aber kein deutsches Phänomen, sondern findet sich in allen Ländern.


Vielleicht ist Identifikation eher ein Problem für Menschen, die dazu neigen kritisch hinzuschauen?
Nach meiner Ansicht ist es nicht die Lösung zu fordern "nicht alles schlechtzumachen".
Dahinter steckt vor allem der egoistische Wunsch, nicht den eigenen Spaß verdorben zu bekommen,
den man sich vielleicht dadurch leistet, lieber nicht so genau hinzuschauen.
Das ist für diese Person ja in Ordnung - aber eine Forderung für andere daraus abzuleiten, empfinde ich als fragwürdig.
Damit meine ich aber nicht Dauergenörgel um den Nörgelns willen!!!






trux
trux
Mitglied

Re: Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von trux
als Antwort auf eleonore vom 09.07.2010, 10:27:13
Hallo Elenore,

du schreibst:

„Mir ist immer und immer wieder aufgefallen, wie verpönt in manche kreisen ist, stolz auf ihrem eigenen Land zu sein, speziell auf Deutschland.“

Da würde mich schon interessieren, welche Kreise du genau meinst?

Es ist doch so, dass eine weitere Station auf unserem Weg in die Normalität sichtbar geworden ist und alle Deutschen im Grunde stolz darauf sind, diesen Weg zur Normalität hin zu gehen.

Alle Altersstufen, angefangen von den Schülern bis hin zu den Senioren, haben schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt und die Daumen für die deutsche Nationalmannschaft gedrückt. Und was genauso eindrucksvoll war, dass wir die Niederlage hinnehmen und den Spaniern ihren Sieg über unsere Mannschaft neidlos anerkennen.

Ich bin der Meinung, dass es der richtige Weg ist, zu dem es auch gar keine Alternative gibt, und wir stolz sein dürfen und es auch sind, diesen Weg in die Normalität gehen.

Trux

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schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von schorsch
als Antwort auf eleonore vom 09.07.2010, 10:27:13
Ich denke, dass die Deutschen gern ihr Licht unter den Scheffel stellen, ist der Tatsache zuzuschreiben, dass sie nach dem Krieg als Kriegsverlierer erst mal den Kopf nicht hochhalten wollten. Wer es trotzdem tat, wurde als hochmütiger, nichts aus der Vergangenheit gelernt habender Germane eingestuft und gemieden. Leider fallen aber solche Typen in der Herde sehr schnell und unangenehm auf. Die anderen "Schafe" aber möchten nichts mit ihnen zu tun haben und distanzieren sich von ihnen.
adam
adam
Mitglied

Re: Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von adam
als Antwort auf eleonore vom 09.07.2010, 10:27:13
Wie immer ist es schwierig, ja unmöglich, ein System nur aus seinem Inneren zu beurteilen. So auch im Fall einer sich zeigenden, neuen Identitätsfindung der Bürger in der Bundesrepublik.

Deshalb ein Blick ins Ausland. Wie sieht man dort die fähnchenschwingende Begeisterung?

Wichtig ist zu allererst Russland, dessen Volk die Deutschen unter Hitler unsägliches Leid gebracht haben.
"Was mich besonders beeindruckt", so ein Reporter des "Jeschednjewnij Journal", "ist dieser deutsche Patriotismus von jungen Leuten, die meist nur mäßig angetrunken sind." Anders als ihn der Heimat müsse man die fahnenschwenkenden Horden in Deutschland nie mit Sorge betrachten, zumal die Fahnen bald nach dem Turnier wieder verschwinden.

Letztlich habe Deutschland nun endlich jenes "unausgesprochene Tabu" kassiert, aufgrund der Erfahrungen aus der Nazizeit nicht mehr Flagge zu zeigen - und so endlich einen nationalen Komplex überwunden.
geschrieben von spiegel-online


Auch in Skandinavien äußert sich die Presse nicht nur zum Fussball:
Die linksliberale dänische Zeitung "Politiken" titelte: "Die neue Trikolore ist schwarz-rot-gold", und holt zum Loblied aus. Zwei Generationen nach dem Krieg sei Deutschland endlich auf dem Weg zurück in die Rolle Europas führender Kulturnation. Das deutsche Integrationsmodell könne zum Vorbild für Europa werden, schreibt Journalist Mogensen.
geschrieben von spiegel-online


Diese Kommentare sprechen für sich.

Ich selber habe als Jahrgang 1951 das deutsche Empfinden von Schuld und Verantwortung ja persönlich gelebt und empfunden. Von einem Komplex möchte ich nicht sprechen, da ein Komplex, psychologisch bedingt, oft auf falschen, unnötigen Voraussetzungen beruht, das Joch der Nazizeit für Europa und die Welt war jedoch real.

Aber inzwischen wachsen die Urenkel der Nazizeit heran und sie in einen kausalen Zusammenhang mit dem "Dritten Reich" zu bringen ist nicht mehr realistisch. Der Hauch von fröhlichem Patriotismus, der sich in den letzten Jahren entwickelt hat, hat mit dem Nationalismus der rechten Szene nichts zu tun, im Gegenteil, er entzieht ihr die Symbolik.

Im Hinblick darauf, daß sich in der Bundesrepublik eine multikulturelle Gesellschaft entwickeln wird, sehe ich den Ansatz von Patriotismus positiv. Er gibt der Gesellschaft Identität und Kraft.

Dieses Selbstbewußtsein erleichtert, in Bezug auf die multikulturelle Entwicklung, einmal die Ausübung von Toleranz gegenüber anderen Kulturen (Wie soll eine Gesellschaft, die keine Identität hat oder der man sie verwehrt, andere Identitäten beurteilen oder gar verkraften können?) und ist auch ein Anreiz, zu dieser Gesellschaft zu gehören. Daß es eine selbstbewußte, multikulturelle Gesellschaft auch im Umgang mit Europa und der Welt leichter haben wird, ist für mich selbstverständlich.

--

adam



smokie
smokie
Mitglied

Re: Ein deutsches Phänomen??!!!
geschrieben von smokie
Seit meiner Jugend haben sich die Deutschen in der herrlich nüchternen BRD zu einem recht weltoffenen und toleranten Volk entwickelt - ganz ohne Faehnchen und Militaerparaden und sonstigem Brimborium. Darauf bin ich stolz. Nicht wir sollten die Fahnen auspacken, die anderen sollten sie einpacken, finde ich.

smokie
Karl
Karl
Administrator

darf ich als Biologe antworten?
geschrieben von Karl
als Antwort auf eleonore vom 09.07.2010, 10:27:13
Hallo eleonore,


ich bin froh, glücklicherweise in einer Gegend der Welt geboren zu sein, in der man sehr gut leben und Fussball spielen kann. Auch ich habe die angeborene Verhaltensweise, dass mir ein Gruppenerlebnis einen Schauer den Rücken herunterlaufen lässt und lasse diesem Gruppenzugehörigkeitsgefühl bei der Fussball-WM auch freien Lauf. Dabei ist mir bewusst, dass es sich um Fussball handelt und nicht mehr wie in früheren Zeiten um Krieg, um das Töten von Außengruppen. Fussball ist ein wunderbares, meist friedliches Ventil zum Ausleben unserer angeborenen Triebe.

Ich bin sehr froh, wenn sich Nationalstolz und Nationalbewusstsein dieses Ventil wählen kann und ich sehe, dass Fussball sehr wohl in der Lage sein könnte, in der Innengruppe auch ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl zu stiften, das sich positiv auswirken könnte, auch auf die gesellschaftlichen Realitäten.

Allerdings kann ich pippa sehr gut verstehen, wenn sie schreibt "Massenjubel ist mir nun einmal unheimlich, bin ich deshalb eine schlechtere Deutsche?" Natürlich ist sie keine schlechte Deutsche, wenn sie sich aus historischer Erfahrung der Tragweite des Faktums bewusst ist, was Gruppenverhalten anrichten kann, wenn es nicht richtig kanalisiert wird.

Ich finde den Jubel um die Fussballnationalmannschaft gut. Wir können unsere tierische Herkunft nicht verleugnen. Wir sind an Rudelverhalten angepasst und wir identifizieren uns mit unserem Rudel. Die zugehörige Instinktausstattung können und sollten wir nicht unterdrücken, sie uns aber bewusst machen und auf die richtigen Ziele lenken.

Karl

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