Diskussion historischer Ereignisse Die Flucht aus Nordafrika

Mitglied_bed8151
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Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Die Flucht Tausender Tunesier überfordert Italien - jetzt verlangt das Land Hilfen der EU. Auch hierzulande beschäftigt das Drama die Parteien: Politiker von SPD, Grünen und FDP wollen Deutschland für Tunesier öffnen, Politiker der Union wollen das verhindern. - Ein Wahlkampfthema bahnt sich an. Das wäre das Schlechteste, was den Flüchtlingen passieren könnte. Denn, wenn es zum Schwur kommt, sind Hinz + Kunz (eine große Wählergruppe) nicht gut auf Hilfe heischende arme Schlucker zu sprechen.

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Wolfgang
adam
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Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von adam
als Antwort auf hafel vom 14.02.2011, 12:27:47
Täglich landen tausende von Flüchtlingen auf der italienischen Insel Lampedusa an und in den tunesischen Häfen warten weitere tausende Flüchtlinge, die sich ein besseres Leben in Europa erträumen. Und ich denke, dass ist erst der Anfang der Flüchtlingswelle.


Mir fällt auf, daß der Flüchtlingsstrom von Tunesien aus, nach der dortigen Revolution so dramatisch anschwillt und hauptsächlich arabische Gesichter zeigt. Da liegt die Vermutung nahe, daß viele kleine Helfer der Regime jetzt Unannehmlichkeiten in der Heimat aus dem Weg gehen wollen.

Kamen bisher mit den sog. Wirtschaftsflüchtlingen auch Menschen, die eine politische Verfolgung durch die Regime zu befürchten hatten, kann sich das wandeln und es wollen die nach Europa, die eine Strafverfolgung nach der Revolution oder auch nur Konflikte mit den Nachbarn fürchten.

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adam

Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf rodaroda vom 14.02.2011, 18:12:28

Die jetzige Migrationbewegung dürfte ohnehin eher nicht aus größtenteils "ausgebildeten" Personen bestehen.
geschrieben von rodaroda

Dann kann man wohl z. Zt. nicht generell aus dieser Richtung von "jungen und gut ausgebildeten" Menschen en masse sprechen, die z.B. das inzwischen aufgekommene bekannte Schlagwort vom "Fachkräftemangel" der einzelnen EU-Staaten lösen helfen könnte.
[. . .


Genau hier irrst du dich. Ich habe gelesen, dass die jungen Tunesier im Schnitt eine außergewöhnlich hohe Bildung haben, jeder dritte von den Ausreisewilligen hat studiert, viele in Frankreich, und sind dadurch westlich sozialisiert. Hinzu kommt, dass die, die es schaffen, die Flucht anzutreten, sowieso erst einmal genügend Startkapital haben müssen, was die ganz Armen und Ungebildeteten gar nicht aufbringen können.
Es ist eine andere Situation als die der türkischen Gastarbeiter, die seinerzeit aus Anatolien und meistens aus der Unterschicht der ungebildeten Bevölkerung kamen. Das kann man nicht vergleichen.
Es ist untragbar, Italien mit dieser Situation allein zu lassen. Auch in Italien gibt es eine hohe Arbeitslosenquote, man kann dieses Land nicht die Probleme der afrikanischen Länder allein stemmen lassen. Und es ist wieder eine Heuchelei allererster Güte, zuerst die Protestierenden zu unterstützen, um ihnen danach den Zutritt zu anderen EU-Ländern zu verwehren. Natürlich muss man die Verbesserungen in deren Land unterstützen, damit sie nicht unbedingt ausreisen müssen, aber die meisten wissen, dass es zu lange dauert, bis diese greifen und wollen sofort raus, um ihren Lebensunterhalt und ihre berufliche Zukunft zu sichern, was dort vorläufig für die meisten noch nicht möglich ist.

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olga64
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Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von olga64
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.02.2011, 11:08:46
Bravo Marina - Sie sprechen mir aus der Seele.
Das deutsche Volk (andere Nationalitäten kann ich nicht beurteilen) verfolgte wohl die Revolution z.B. in Tunesien wie ein Fussball-Spiel und geizte vor dem Fernseher nicht mit "Experten-Ratschlägen". Vom revoltierenden Volk erwarteten diese Leute, dass am Tage nach der Revolution zügig demokratisch im eigenen Land gelebt werden muss und hakten dieses "Spiel" für sich ab.
Derzeit sind z.B. in Tunesien ca 400.000 Menschen ohne job, die früher im Tourismus ihr Geld verdienten. Auch wenn westliche und amerikanische Firmen verstärkt dort investieren, wird dies nicht ohne Schmerzen über die Bühne gehen. Gerade die ehemaligen DDR-Bewohner sollten dies wissen müssen: zuerst wird Personal abgebaut, dann technisiert und dann versucht soviel Profit wie irgendmöglich zu erzielen. Und da es sich bei jedem 3. arbeitssuchenden Tunesier um Akademiker handelt, können diese die Prozedere gut durchschauen.
Eine weitere Tatsache ist auch, dass in allen Ländern, wo der Altersdurchschnitt massiv unter 30 Jahren liegt (ist in allen arabischen Ländern der Fall) solche Umstürze gewalttätiger betrieben werden, wenn das angestrebte Ziel nicht rasch realisiert wird. Ob dann noch hermetische, europäische Grenzen helfen? Ich denke nein .... Olga
rodaroda
rodaroda
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Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von rodaroda
als Antwort auf olga64 vom 15.02.2011, 15:21:01

Wenn die Seele so spricht, olga, sollte doch in ihr eine realistische Lösungsmöglichkeit schlummern.....

Keiner von uns weiß sicher, welcher Durchschnitt als Immigrant auftaucht. Aber:

Realistisch ist eben der Status quo, dass keine unreglementierte Zuzugsmöglichkeit in die EU gesamt vorhanden ist und die einzelnen Staaten ihre eigenen diesbezüglichen Gesetze haben. Es ist also zwar sehr ehrenwert von dem Europa zu sprechen, aber wenig effektiv.

Rechtlich ist die generelle Bezeichnung der Menschen in dieser Migrationwelle als Flüchtlinge im Sinne der Asylgebung (die internationale Regeln enthält) nicht aufrecht zu erhalten, ob es nun gefällt oder nicht. Es ist zu erwarten, dass da gefühlsmäßige Einstellungen wenig zählen.

Rein sprachlich wäre zunächst wohl Frankreich das logische Ziel. Aber grundsätzlich für alle Zielstaaten dürfte gelten, dass gegenwärtig nur ein durch deren Gesetze geregelter Zuzug auf Antrag möglich sein wird.

Bezeichnend ist die Erwähnung von 400.000 Arbeitslosen die "sonst im Tourismus" beschäfigt waren......
andreadoria
andreadoria
Mitglied

Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von andreadoria
als Antwort auf olga64 vom 15.02.2011, 15:21:01
Unterstellen wir mal, dass es tatsächlich so ist, das es sich bei dem gros der Flüchtlinge um gut ausgebildete, ambitionierte Fachleute handelt, wären sie dann nicht wirklich besser in ihrem EIGENEN Land aufgehoben?
WER wenn nicht diese Menschen soll denn die Ökonomie dort in Schwung bringen?

Der Exodus der DDR-Bürger, wenn diese Vergleiche nun schon gezogen werden, wurde ja bekanntlich weitestgehend durch die Einführung der D-Mark beendet. Mit vergleichbaren Stillhaltemaßnahmen ist in Nordafrika nicht zu rechnen.

Diese "boatpeople" sind lupenreine Wirtschaftsflüchtlinge. Sicher - unter ihnen wird sich auch eine Reihe ehemaliger Staatskonformer befinden, die die Chance nutzen, auf diese Weise außer Landes, und somit einer evtl. Strafe zu entkommen. Dennoch, das Hemd ist der Masse erkennbar näher, als die Jacke, und in dieser Situation der eigene Bauch wichtiger, als die sieche Heimat.
Menschlich ist mir das absolut verständlich, perspektivisch gesehen aber tun wir ihnen KEINEN Gefallen, wenn wir sie in diesen Größenordnungen aufnehmen.


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hema
hema
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Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von hema
als Antwort auf rodaroda vom 14.02.2011, 19:46:07
Wir haben die Situation selber beobachten können, bei den ersten Migranten vulgo "Gastarbeiter", die in hellen Scharen - auch aus nicht-türkischen Zuwanderungländern, geblieben sind, mittlerweile in der 3. Generation.



Aber das war, bzw. ist doch gewollt!

Die ersten Gastarbeiter hatten bei uns in Österreich beschränkte Aufenthaltsbewilligungen. Jährlich mußte sie den Arbeitsplatz wieder nachweisen, um wieder eine Arbeitsbewilligung für ein Jahr zu erhalten.

Dann hieß es wir sind ein Einwanderungsland und Türken, Kurden, Serben und andere kamen mit Ehefrau, Kind und Kegel, Oma, Opa, Tante und Onkel um zu bleiben. Unsere Politiker wollten es so. Das Volk wurde nicht gefragt. Egal, oder auch nicht!

Wir könnten doch auch den Nordafrikanern beschränkte Aufenthaltsbewilligungen geben. Event. eine Lehrlingsausbildung oder eine Schulbesuch ermöglichen. Das wäre echte Hilfe und mit dem Gelernten, bzw. Erwirtschafteten könnten sie dann zu Hause eine Existenz schaffen.

rodaroda
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Re: Die Flucht aus Nordafrika - Fortsetzung
geschrieben von rodaroda
als Antwort auf rodaroda vom 15.02.2011, 17:04:51

....um nicht unnötig missverstanden zu werden.

Soweit es aus den Meldungen hervorgeht, handelt es sich größtenteils um Menschen die nicht (mehr) aus politischen Gründen das Land verlassen, sondern um solche, die man pauschal als "Wirtschaftflüchtlinge" einstuft.

Nun halte ich einen Grund der aus drückender Armut, Aussichtslosigkeit und Elend besteht durchaus als gleichzusetzen mit politischen Motiven, da sowohl das eine, als auch das andere Motiv, eine Missachtung der Menschenrechte bedeutet.

Aber:

Eine Lösung dafür kann, wenn überhaupt leider nur längerfristig gesehen werden, bedenkt man die potentiellen Menschenmassen, die es in Afrika betrifft.

Aus diesem Grund kann eine potentielle Änderung nur in einer mit dem Schlagwort "Hilfe zur Selbsthilfe" beschriebenen Lösung bestehen.

Man wird weder aus Tunesien noch aus Ägypten - oder irgend einem anderem nordafrikanischen Staat - eine exportierende Industrienation machen können. Auch der "Export" menschlicher Arbeitskraft hat so gesehen 2011 kurzfristig keine Zukunft, da profunde Ausbildung in den benötigten Fähigkeiten, dazu die Voraussetzung ist.

Somit kann eine kurzfristig wirksame Lösung, die den Druck aus dem "Dampfkessel" nehmen kann, nur die Wiederbelebung und Verstärkung der bisherigen Ressourcen bestehen - i.e. dem Tourismus, was allerdings die rasche Schaffung von politischer Stabilität erfordert. Ferner - mittelfristig die Strukturierung der Wirtschaft, ohne die institutionellen Blutsauger, die bisher am Werk waren.

Das erfordert gezielte Investitionen unter Berücksichtigung der lokal bestehenden Strukturen. Heißt: keine Spekulation auf niedrige Löhne/Fertigungskosten kurzsichtiger "shareholder value" Vertreter, vulgo "Heuschrecken"

Dies ist die tatsächliche Aufgabe der EU
adam
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Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von adam
als Antwort auf olga64 vom 15.02.2011, 15:21:01
Das deutsche Volk (andere Nationalitäten kann ich nicht beurteilen) verfolgte wohl die Revolution z.B. in Tunesien wie ein Fussball-Spiel und geizte vor dem Fernseher nicht mit "Experten-Ratschlägen". Vom revoltierenden Volk erwarteten diese Leute, dass am Tage nach der Revolution zügig demokratisch im eigenen Land gelebt werden muss und hakten dieses "Spiel" für sich ab.


@Olga,

erstens hat bestimmt niemand die Aufstände in Arabien wie ein Fußballspiel gesehen und zweitens den Ausgang nicht für sich abgehakt, zumal das Ergebnis der Revolutionen noch völlig offen ist.

Wenn die Revolutionen in der arabischen Welt in mehr Freiheit und mehr Demokratie münden sollen, müssen die Ansätze dazu innerhalb dieser Länder genutzt werden. Andreadoria schreibt:
Unterstellen wir mal, dass es tatsächlich so ist, das es sich bei dem gros der Flüchtlinge um gut ausgebildete, ambitionierte Fachleute handelt, wären sie dann nicht wirklich besser in ihrem EIGENEN Land aufgehoben?
WER wenn nicht diese Menschen soll denn die Ökonomie dort in Schwung bringen?


Genau so ist das. An dieser Stelle scheint es mir angebracht einmal darauf hinzuweisen, daß auch Europa legitime eigene Interessen hat. Die EU wurde gegründet, damit deren Staaten politisch, wirtschaftlich und kulturell eine Chance haben zu überleben und nicht als Auffangbecken von Wirtschaftflüchtlingen.

Hilfe kann nur über Förderung von Selbsthilfe erfolgen, alles andere wäre kurzsichtig und falsch, zumal es in niemanden Interesse sein kann, den "Gastarbeiterfehler" aus den 1960ern zu wiederholen.

--

adam



schorsch
schorsch
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Re: Die Flucht aus Nordafrika
geschrieben von schorsch
als Antwort auf hema vom 15.02.2011, 19:21:41
@: "...Wir könnten doch auch den Nordafrikanern beschränkte Aufenthaltsbewilligungen geben. Event. eine Lehrlingsausbildung oder eine Schulbesuch ermöglichen. Das wäre echte Hilfe und mit dem Gelernten, bzw. Erwirtschafteten könnten sie dann zu Hause eine Existenz schaffen..."

Ja, das wäre wohl der Idealzustand. Aber: Wenn junge Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten, bei uns eine gute Ausbildung bekommen würden und die sicheren Verhältnisse und die Ordnung ihrer Ausbildungsländer gekostet haben, werden sie kaum mehr den Drang haben, als "Speerspitze gut Ausgebildeter" in ein Heimatland zurückzukehren, wo vielleicht immer noch Despoten Infrastrukturen und Arbeitsplätze verhindern.

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