Fernsehen und Film Der Vorleser

justus39
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Re: Der Vorleser
geschrieben von justus39
als Antwort auf olga64 vom 31.07.2012, 15:44:31
Ich habe weder beim Lesen des Buches noch beim zweimaligen Sehen des Filmes jemals an Missbrauch eines Jugendlichen gedacht. Ich interpretierte dies vielmehr als die Tatsache, dass ein Junge an der Schwelle zum Mannsein eine gute Lehrmeisterin gefunden hat - so wie es bei Millionen der Fall sein wird, was ja auch sehr begrüssenswert ist (auch bei Mädchen!)
Olga


So ging es mir auch,
ich empfand es als ein Glück für den Jungen, dass er seine ersten Erlebnisse auf diesem Gebiet bei einer erfahrenen Frau hatte, die ihn doch sehr einfühlsam in diese Welt einführte.

Vor Jahren hatte ich mir den "Vorleser" als Hörbuch ausgeliehen und mehrmals während meiner langen Autofahrten angehört. Da mich diese Geschichte nicht los ließ habe ich später auch das Buch gelesen. Gestern habe ich mir nun auch die Verfilmung angesehen.

Dabei haben, das gehörte, das gelesene und das gestern gesehene Werk der gleichen Handlung bei mir völlig unterschiedliche Eindrücke hinterlassen.

Alle Drei waren gut gemacht, aber jedes wirkte auf mich anders, und jedes Mal hat ich einen anderen Eindruck von den Charakteren der Beiden.

justus

olga64
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Re: Der Vorleser
geschrieben von olga64
als Antwort auf Mareike vom 31.07.2012, 15:59:57
Schlink erklärte ja, dass insbesondere die deutsche Art des Verdrängens der grossen Schuld ihn zu diesem Buch motivierte. Kein Wunder, auch Schlink ist Jahrgang 1944 und dürfte - wie wir alle oder viele von uns - zeitlebens grosse Probleme mit den Eltern und Grosseltern gehabt haben, die nie über ihre Rolle in der Nazizeit sprechen wollten und wenn, dann unter dem Motto: wir haben nix gewusst. Olga
canello
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Re: Der Vorleser
geschrieben von canello
als Antwort auf olga64 vom 31.07.2012, 16:09:43
Die " deutsche Art des Verdrängens " hat sich aber in den
68-igern ( bin ja gleicher Jahrgang wie Autor )gewaltig ver-
ändert,und ist einer z.T.bis heute anhaltenden Technik des
" ewig Schuldigen " gewichen...
Ein JUDE hat mir in diesem Zusammenhang mal gesagt " Schuld
haben immer nur die Täter und die,die von der Tat gewußt
haben.Ihr Nachgeborenen habt keine Schuld! " Weiter sagte
er " Wir fürchten eins noch mehr als den Antisemitismus,das
ist der Philo-semitismus! Warum ? weil einens Tages die
Kinder von denen die Schnauze davon voll haben,und dann
wieder,als Gegenreaktion,zum Gegenteil zurückkehren !"

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olga64
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Re: Der Vorleser
geschrieben von olga64
als Antwort auf canello vom 31.07.2012, 16:46:29
Ich erlebte es bei meiner ersten Israel-Reise ebenfalls, dass mir junge Israelis "die Schuld nehmen wollten". Es war mir aber bekannt, dass die Mehrzahl dies nicht tun würde und auch jeder Fall der "Schuldigen" zu spezifisch ist.
Ähnliches erlebte ich bei meinen vielen Aufenthalten in Polen. Oft war aber der Hauptgrund einfach Höflichkeit mir gegenüber und auch die Tatsache, dass sich Freundschaften aufbauten.
Es gibt unzählige in unserer Generation, die zeitlebens darunter leiden, weil ihre Väter und Grossvätern während der Nazizeit Massenmörder waren. Teilweise wanderten diese Menschen aus, weil sie in Deutschland und dieser Schuld nicht mehr leben konnten; teilweise änderten sie ihre Namen - alle hatten keine direkte Schuld - aber in der Familie war und ist sie vorhanden und dies können halt nicht alle ausblenden. Olga
Mareike
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Re: Der Vorleser
geschrieben von Mareike
Die Buchbesprechung ist mMn lesenswert.

Mareike
olga64
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Re: Der Vorleser
geschrieben von olga64
als Antwort auf Mareike vom 31.07.2012, 18:40:55
Das ist aber eine Inhaltsschilderung, oder? Unter Buchbesprechung (Rezension) verstehe ich u.a. eine Kritik. Ist mir persönlich aber nicht wichtig, da ich das Buch vor vielen Jahren gelesen und mir eigene Gedanken gebildet habe; den Film sah ich nun zweimal - auch hier habe ich eigene Interpretationen und GEdanken. So ist dies ja sicher auch vom Autor vorgesehen, oder? Olga

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Mareike
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Re: Der Vorleser
geschrieben von Mareike
als Antwort auf olga64 vom 01.08.2012, 17:12:05
Nun, ich nehme an ein Autor schreibt aus dem Bedürfnis heraus, etwas "zur Sprache" zu bringen. Was der Leser damit macht liegt nicht in seiner Hand.

Bei Büchern oder Filmen wie "Der Vorleser" ist es mir ein Bedürfnis meine spontane Meinung/Interpretation zu hinterfragen, so kann ich mir eine Meinung bilden.

So ist es für mich zB durchaus gewinnbringend, mich näher mit dem Thema Scham und Schuld zu befassen: Eine Analyse der Scham- und Schuldproblematik in Bernhard Schlinks Der Vorleser

Womöglich werde ich das Buch so noch intensiver lesen und würdigen können.

Aber jedem nach eigener Facon...

Mareike
Mitglied_b12f0f2
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Re: Der Vorleser
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Mareike vom 01.08.2012, 18:19:41
Auch ich habe den Film gesehen.

Abgesehen von der guten schauspielerischen Leistung hat mir der Film absolut nicht gefallen!

Ich bin auch nicht damit einverstanden,dass uns Deutschen immer wieder und immer noch eine Pauschalschuld angelastet wird!

Es ist unvorstellbar
--unvorstellbar--
grauenvoll, was von Menschen ausgedacht und ausgeführt wurde,
um Menschen jüdischer Herkunft
zu quälen und zu töten!

Das kann weder gesühnt,noch entschuldigt werden !


Ich war zu jener Zeit Kind und hatte jüdische Freundinnen.

Und meine Eltern haben ganz sicher nichts von den Greueltaten gewusst!


Was Autor und Regisseur zum Ausdruck bringen wollen,
ist m. M. n
ebenso wie Teile des Films unlogisch dargestellt!

Ein 15-Jähriger,der tagsüber auch nachts über Stunden weder in der Schule,noch beim Sport oder zuhause ist,stattdessen
--wie wurde geäussert?: behutsam in die Liebe von einer wesentlich älteren Frau
eingeführt wird--

diese Frau Schaffnerin,später wegen guter Leistungen ins Büro versetzt werden soll,
,
und angeblich nicht lesen und schreiben kann,
das ist einfach absurd!

Ebenso unglaubhaft ist,dass sie sich das in der Haft selber beibringt!

Welche Beweggründe den Jurist gewordenen ehemaligen Teenie-Liebhaber veranlassen,
sich nach der Haftentlassung um die Frau kümmern zu wollen,
die als KZ-Mitarbeiterin auch im Nachhinein ganz primitiv im -Gericht aussagt:

ja,sicher habe sie die Frauen,die getötet werden sollten,ausgesucht,es habe doch Platz gemacht werden müssen für die Neuen........

Ich denke,ein derart
erschütterndes und grauenvolles Zeitdokument wird hier mit falschem Rahmen angeboten!

Gudrun
Mareike
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Re: Der Vorleser
geschrieben von Mareike
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 02.08.2012, 12:50:36
Ja Gudrun, es ist erschütternd. Alles, was Du ansprichst hat mich auch bewegt, allerdings eher als Frage. Aus dem Grund habe ich mich insgesammt 8 mal, jetzt zum 9. Mal in diesem Thread zu Wort gemeldet.

Ich greife nur mal Deinen Satz:
Ich bin auch nicht damit einverstanden,dass uns Deutschen immer wieder und immer noch eine Pauschalschuld angelastet wird!
geschrieben von Gudrun-d
heraus.

Wer macht sich heute im Mittelmehr schuldig am Ertrinkungstod der Flüchtlingen?
Wer soll sich schämen? Gibt es eine "Pauschalschuld?

Menschen nicht ertrinken zu lassen, kann Ärger machen

Eine Antwort zu finden ist nicht einfach.

LG
Mareike

olga64
olga64
Mitglied

Re: Der Vorleser
geschrieben von olga64
als Antwort auf Mareike vom 02.08.2012, 14:06:18

[
Wer macht sich heute im Mittelmehr schuldig am Ertrinkungstod der Flüchtlingen?
Wer soll sich schämen? Gibt es eine "Pauschalschuld?

Eine Antwort zu finden ist nicht einfach.

LG
Mareike[/b]


Doch,die Antwort ist sogar sehr leicht zu finden: wir alle sind am Ertrinkungstod solcher Flüchtlinge schuld - nicht "nur" die Italiener, weil diese Leichen zufälligerweise vor deren Territorium angeschwemmt werden.
Wir alle sind schuld, weil wir unsere EU-Tore hermetisch absperren, nachdem wir vorher heuchlerisch die Menschen in Nordafrika anfeuerten, für ihren Freiheitsgedanken zu kämpfen.

Und übrigens - keine Schuld (z.B. unsere Schuld als Volk von Massenmördern in zwei Weltkriegen) wird dadurch geringer oder gar weggewischt, weil andere (Nationen) auch verfehlen. Aber das wissen Sie ja sicher. Olga

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