Geisteswissenschaft / Philosophie Haben wir einen freien Willen?

hb730
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Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von hb730
Mit der Frage, ob die Menschen einen freien Willen haben, beschäftigt sich die Philosophie seit die Menschen begonnen haben, über sich selbst nachzudenken. Die Antworten waren immer unterschiedlich, nicht zuletzt deshalb, weil sie über die Selbsteinschätzung des Einzelnen geurteilt haben. Es macht einen Unterschied, ob man einen freien Willen hat, oder ob der „eigene“ Wille durch äußere Umstände beeinflusst oder sogar völlig fremd bestimmt wird. Oder noch desillusionierender – sind es etwa gar die Hormone, die uns sagen, was wir zu wollen haben?

Sigmund Freud und die Psychoanalyse sind genau so ein Teil dieser Diskussion, wie auch die Fragestellung der antiken griechischen Philosophen, ob in einer Welt, in der Ursache auf Ursache folgt, überhaupt Platz für einen freien Willen sein könnte. Die Zweifel daran sind offenbar genau so alt wie die Idee des freien Willens selbst.

Ach die moderne Wissenschaft hat längst eindeutig Stellung bezogen. Aufgrund experimenteller Befunde erklären die Neurobiologen „der freie Wille ist eine Illusion.“ In einem öffentlichen Disput zwischen einem evangelischen Bischof und einem Professor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung erklärte der Bischof den absoluten Vorrang des göttlichen Willens gegenüber der menschlichen Willensfreiheit. Der Neuro-Professor dagegen betonte, dass alle mentalen Prozesse auf rein materiellen Vorgängen beruhten. Bei der Erforschung von Gehirnen sei nirgendwo ein mentales Agens wie den freien Willen oder die eigene Verantwortung zu finden.

Was bei diesem Disput wie ein Widerspruch aussah, ist in Wirklichkeit keiner. Denn was der Professor aufgrund materieller Vorgänge ausschloss, hat auch der Bischof aufgrund des Vorrangs göttlichen Willens ausgeschlossen. Wissenschaft und Religion sind beide deterministisch – „es gibt keinen freien menschlichen Willen“.
--
hb730
rolfwalter
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Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von rolfwalter
als Antwort auf hb730 vom 02.10.2007, 17:52:49
<<
Ach die moderne Wissenschaft hat längst eindeutig Stellung bezogen. Aufgrund experimenteller Befunde erklären die Neurobiologen „der freie Wille ist eine Illusion.“ In einem öffentlichen Disput zwischen einem evangelischen Bischof und einem Professor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung erklärte der Bischof den absoluten Vorrang des göttlichen Willens gegenüber der menschlichen Willensfreiheit. Der Neuro-Professor dagegen betonte, dass alle mentalen Prozesse auf rein materiellen Vorgängen beruhten. Bei der Erforschung von Gehirnen sei nirgendwo ein mentales Agens wie den freien Willen oder die eigene Verantwortung zu finden.>>

Es hat ja auch noch niemand eine Seele gesehen - Seele und freier wille sind beides sind Bgriffe aus dem grossen Sack unbewiesener Postulate, mit denen die Kirche so unbefangen umgeht, als ob sie noch nie etwas von den Genen gehört hätten, die nun mal unser Spiel mit uns treiben.

Fast scharenweise paedophile Priester und der Vorrang des göttlichen Willens - nun, ja, der liebe Gott ist boshaft, wie Maurus Graf (Bruder von Oskar Maria) einmal zu mir sagte.

Aber um wieder seriös zu werden: Natürlich beruht der Wille auf rein materiellen Vorgängen und ist nur insoweit frei, als es die Bausteine dieser Vorgänge zulassen.

--
rolfwalter
Karl
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Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von Karl
als Antwort auf hb730 vom 02.10.2007, 17:52:49
Wir haben einen freien Willen. Wir müssen nur definieren, was wir darunter verstehen wollen. Sowohl der Bischof wie der Neurobiologe reden Blödsinn, denn es geht doch gar nicht um die Frage, ob mein Handeln eine Ursache hat oder keine (es wäre, nebenbei gesagt, schlimm, wenn mein Handeln keine Ursachen hätte und z. B. der atomare Zerfall diktieren würde, einmal so, einmal anders zu entscheiden), sondern es geht darum, ob ich meine "inneren Ursachen" ausleben kann oder nicht. Bin ich von außen fremdbestimmt (oder zwanghaft unter einer Neurose oder einem überstarken Trieb von innen gegen meinen Willen gesteuert), dann fühle ich mich unfrei. Nur wenn ich das "Gefühl" habe (und es spielt doch keine Rolle wie das zustande kommt), dass ich zwischen mehreren Alternativen wählen kann, bin ich "frei".

Wenn ein Mensch mehrere Alternativen zum Handeln hatte, dann ist er für das Handeln verantwortlich. Wenn er von außen unter Zwang stand oder von innen zwanghaft (ohne Alternative) gehandelt hat, dann bekommt er mildernde Umstände.

Der freie Wille ist notwendig, wenn wir Menschen Verantwortung auferlegen wollen. M. E. ist das notwendig, damit die Gesellschaft funktioniert.

Die andere Diskussion, ob unser Handeln kausal ist (ich hoffe doch) oder zufallsgesteuert, ist eine erbärmliche Diskussion, die eigentlich historisch längst entschieden ist. Die Neurobiologie-Kollegen blamieren sich hier meines Erachtens, vom Bischof erwarte ich sowieso nichts Vernünftiges.
--
karl

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dutchweepee
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Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf hb730 vom 02.10.2007, 17:52:49
nicht die ideen der menschen bestimmen die geschichte, sondern die materiellen bedingungen, die sie vorfinden, bestimmen das bewusstsein, also: „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das gesellschaftliche Bewußtsein“.

ich habe vielfältige beispiele auch in meinem eigenem leben gefunden, daß mein denken, fühlen und handeln vom gesellschaftlichen umfeld abhängig war. selbst hier im freien Holland mache ich "gewisse phasen" durch - die ich oftmals dann selbst nicht richtig nachvollziehen kann.

ich bemühe mich mein leben selbst zu steuern, bin aber von den gesetzen, verordnungen und der moral der gesellschaft in ein korsett gepresst. das ist oftmals auch besser so, aber frei bestimmt kann keiner von uns handeln. da fällt mir ein zitat vom kürzlich verstorbenem Ulrich Plenzdorf ein. er schrieb in der "Legende vom Glück ohne Ende":

"Freiheit ist nichts anderes, als das völlige Fehlen des Gefühls von Verantwortung für sich selbst und Andere."
Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf rolfwalter vom 02.10.2007, 18:20:17

Natürlich beruht der Wille auf rein materiellen Vorgängen und ist nur insoweit frei, als es die Bausteine dieser Vorgänge zulassen.
--
rolfwalter


Natürlich? Wieso ist das natürlich? Praktisch ist es allemal, aber alles andere als natürlich. So können die von dir erwähnten Pädophilen sich wunderbar herausreden, denn sie haben ja keinen freien Willen.
Karl für deinen Beitrag bin ich sehr dankbar. Ich meine auch, dass es letztlich gar nicht so entscheidend ist, wie weit unser Wille ganz und gar frei ist, rein hirnphysiologisch gemessen. Denn wir brauchen zumindest die Vorstellung, frei zu sein, die dann auch unseren Willen maßgeblich beeinflussen wird. Jemand, der von vornherein davon ausgeht, fremdgesteuert zu sein und keinen freien Willen zu haben, könnte sich bei allen Handlungen darauf berufen, hätte also immer ein Alibi auch für verbrecherische Handlungsweisen, brauchte auch keinerlei Bemühungen anzuwenden für moralisches Handeln, und Kants Katgeorischer Imperativ, dessen eine Variante lautet "Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte" wäre hinfällig.
--
marina
hafel
hafel
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Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von hafel
als Antwort auf dutchweepee vom 02.10.2007, 18:32:03
Liest man dazu Kant:
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Bei der Analyse menschlicher Freiheit stößt Kant auf ein Paradox: Man kann durch zwingende Argumente begründen, dass alles auf der Welt nach Naturgesetzen geschehe und daher kein Raum bleibt für menschliche Freiheit. Ebenso zwingend zeigt er aber, dass auch die entgegen gesetzte These begründet werden kann; dass also der Mensch ein Vermögen besitzt, frei zu handeln.

Kant als Verteidiger der Freiheit und gleichzeitig Richter über die menschliche Vernunft schlägt daher einen Vergleich vor: Neben der empirischen Welt der Dinge gibt es die Welt der Dinge "an sich", in der Freiheit denkbar ist: Freiheit ist die Fähigkeit der Menschen, nach selbst gegebenen und vernünftigen Gesetzen zu handeln.
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Ähnliches drückt Kant auch in seinem kategischem Imperativ aus.
--
hafel

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Karl
Karl
Administrator

Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von Karl
als Antwort auf hafel vom 02.10.2007, 19:35:57
Ich möchte hier Kant widersprechen. Er macht leider den gleichen Kategorienfehler wie der Neurobiologe, wenn er glaubt den freien Willen nicht mit der Kausalität vereinbaren zu können. Es wird dabei völlig außer Acht gelassen, dass ich ja dieses Kausalgeflecht bin, das handelt. Ich will doch nicht frei von Kausalität handeln, sondern ich als dieses kausal bedingte Etwas möchte in dieser Welt so handeln können, wie ich es für gut ansehe.

Ich persönlich habe überhaupt kein Problem damit, dass mein Wille ein Produkt meines Gehirns und der darin ablaufenden Prozesse ist, aber deshalb werde doch ich als Person nicht weg erklärt. In meinen Augen hat die philosophische Tradition bei dieser Frage bisher ziemlich versagt und das dualistische Weltbild von Kant zur Rettung dessen, was er unter freiem Willen verstanden hat, ist Humbug und nicht nötig. "Freier Wille" ist ein Gefühl, welches zwangläufig hergestellt wird, wenn uns als Person eine Wahlfreiheit angeboten wird. Wir entscheiden dann mit unserem Gehirn aufgrund der kausal ablaufenden Prozesse dort, was die beste Wahl ist und nicht der Zufall und auch nicht irgendeine göttliche Einflüsterung.

--
karl
gila
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Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von gila
als Antwort auf dutchweepee vom 02.10.2007, 18:32:03
siehste dutchie,
da gehen die Meinungen doch sehr auseinander. Ich empfinde es als absolute Freiheit, Verantwortung für mich und andere (Kinder, usw.) zu übernehmen. Das ist die Freiheit, die ich mir nehme, auch wenn alle anderen (Gesellschaft) grad mal was anderes propagieren.
Ich denke mal Freiheit ist einfach, sich selbst treu zu bleiben .
Nur mal als simples Beispiel: Es lief gerade der Film "Die Frau vom Checkpoint-Charlie. Wie Ihr sicher alle wißt handelte es sich um eine Mutter, die die DDR verließ und ihre Kinder zurücklassen mußte. Diese Frau hat ihren freien Willen und ihre Entscheidungsfreiheit einfach beibehalten. Sie kämpfte um ihre Kinder. Wie man an dem Bespiel sieht, ist das auch nicht immer einfach.
Wenn ich keine Verantwortung für mich oder andere übernehme bin ich nicht frei, sondern ein Herdentier, denke ich. "Der Leithammel wirds schon machen" ---
--
Herzlichst
gila
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Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von gila
als Antwort auf Karl vom 02.10.2007, 22:52:50
lieber Karl,
ich denke, daß wir auch aus Erfahrung, Wissen und Erkenntnis entscheiden. Nicht nur mit dem Gehirn.
Eine Balance zwischen Gehirn und Seele ist (wäre) ideal für unser freie Willensentscheidung
--
denkt
gila
hafel
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Re: Haben wir einen freien Willen?
geschrieben von hafel
als Antwort auf Karl vom 02.10.2007, 22:52:50
Wir ,können aber auch aus dem Zwang einer Krankheit entscheiden. Die Krankheit erlaubt uns keine andere Entscheidung.
--
hafel

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