Internationale Politik Friede in unseren Tagen

Karl
Karl
Administrator

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von Karl
als Antwort auf sittingbull vom 04.07.2016, 16:06:17
@ sittingbull und dooscastle,



vielleicht interessiert Euch von der langen Rede Hararis das, was er ab Minute 26 sagt. Allerdings lohnt es sich, die ganze Rede von vorne anzuhören (sie hat mit dem Buch nur indirekt zu tun und hat ihr eigenes Thema).

Karl
ehemaligesMitglied24
ehemaligesMitglied24
Mitglied

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von ehemaligesMitglied24
als Antwort auf Karl vom 03.07.2016, 10:57:00
Hallo Karl,

vielleicht geht die Debatte ja einige Beiträge lang. Insofern schlage ich vor, dass wir über das Buch diskutieren. Sollte ich womöglich etwas über dich sagen wollen, werd' ich's extra deutlich machen. OK?

1. Friedenserhaltende Maßnahmen
Du sprichst davon, dass die Friedenspolitik der EU "kleingeredet" werde. Ich kann das nicht sehen. Eher lassen sich Belege für das Gegenteil anführen, dass nämlich die Bellizisten (und da an vorderster Front seit Jahrzehnten die deutschen, etwa Scharping, Fischer, Schäuble ...) ein erhebliches Wort mitreden, wenn europäische oder gar Geopolitik formuliert wird. Oft geschieht das leise, manchmal offensichtlich. Hier mag zunächst als Beispiel dienen, dass - wesentlich auf deutsches Betreiben hin - von den 2+4-Verhandlungen und die in diesem Rahmen gegebenen Versprechen an Russland kaum etwas übrig geblieben ist (Keine weitere Annäherung der EU und der NATO an Russisches Gebiet. Ein Blick auf die Karte reicht).

2. "Früher"
Wer hat geäußert "Früher war alles besser!"? So ein Tinneff ist nun wirklich nicht ernst zu nehmen. Da reicht eigentlich das klassische Malmsheimer-Zitat: "Früher war alles früher, aber nicht besser."

3. E.T.
Die Alien-Perspektive hat den Nachteil, dass ab einer gewissen Entfernung des Betrachters vom Objekt nix Genaues zu erkennen ist (was i. Ü. eine Technik ist, hinter der sich Harari des Öfteren versteckt). Mich erinnert das an eine uralte Satire (Titanic oder sogar Pardon, ich weiß es nicht mehr), in der ein Forscherteam über seine Beobachtungen aus "Zentraleuropa" berichtete. Da ging es z. B. um ein Massenritual, das in regelmäßigem Turnus die Sexualität feierte. Wenn der kleine runde Same in seinem Ziel angelangt war, entlud sich orgiastisches Gerbrüll im Zuge präkoitaler Umarmungen. Derzeit in Frankreich zu beobachten ...

4. Statistik. Ach ja ...
Um es der Verdeutlichung halber mal auf die Spitze zu treiben: Wenn Adam und Eva zum Zeitpunkt des Brudermordes (Kain zum Nachteil von Abel) noch unter den Lebenden weilten, hätte der Mörder 25% der Menschheit ausgerottet, im Falle, dass A und E bereits das Zeitliche gesegnet hätten wäre es gar 50% gewesen. Weitere Beispiele sind der Literatur zu entnehmen.

5. Flipper
Harari betreibt häufig eine Art der Argumentation, der ich deswegen nicht folgen mag, weil er umfänglich davor warnt, welche Fehlschlüsse man bereits bei vorliegendem Material (Fossilien etc.) ziehen kann, nur um sich dann selbst auf denselben Weg zu machen. Ich finde es lästig bis unseriös, wie H. zwischen Jahrtausenden hin- und herspringt und - bestenfalls - Birnen mit Äpfeln vergleicht.

6. Materialtiefe
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass H. gern Thesen, Erkenntnisse, vielleicht sogar Theorien draußen lässt, die nicht in seine Argumentation passen.
Mir ist nicht klar, warum der Begriff "Produktionsmittel", so weit ich bislang gelesen habe, gar nicht auftaucht. Zudem ist H. offenbar auch eine schlichte Form von Dialektik fremd (oder suspekt).
Wieviel seiner Unklarheiten der Übersetzung geschuldet ist, vermag ich nicht zu entscheiden.

7. Wie hat er gedacht, der Wildbeuter? Worüber hat er gelacht, der Sesshafte?
Mythen, Götzen, "Erzählungen", vielleicht Ideologien? Wir wissen es nicht. Und, mal ehrlich: Wen interessiert's? Aber H. schwadroniert lustig drauflos. (Noch) ist mir das Ziel nicht klar, aber vielleicht hebt sich ja in der zweiten Hälfte der Nebel.

8. Das beste, was ich bislang ausmachen kann, ist sein Versuch, ein Thema, das man sicher auch spröde darstellen kann, launig darzubieten. Das gelingt zuweilen, stellt sich allerdings auch oft genug als maniriert/selbstverliebt dar.

9. Schließlich aber danke für den Tipp, da ich den Eindruck habe, das ist wieder so ein Buch, das ich gelesen haben muss, um "mitreden" zu können. Mal schauen, was Diskussion und restliche Lektüre noch so bringen.

Alles Gute!

Dooscastle
ehemaligesMitglied24
ehemaligesMitglied24
Mitglied

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von ehemaligesMitglied24
als Antwort auf Karl vom 04.07.2016, 19:21:06
Hallo Karl,

zwei Fragen hätte ich:

1. Wieso soll ich mir den Vortrag ansehen?

2. Möchtest du auch Literaturempfehlungen?

Herzlich:

Dooscastle

Anzeige

sittingbull
sittingbull
Mitglied

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von sittingbull
als Antwort auf Karl vom 25.06.2016, 14:48:23
Wir sind die erste Generation, die seit über 70 Jahren in Frieden leben kann.
geschrieben von karl


sorry , mein lieber ...
ich glaube du hast dich da etwas verhoben .
Doocastle hat mit seinen überlegungen völlig recht .

"meine meinung , die niemand teilen muss ."

sitting bull
ehemaligesMitglied24
ehemaligesMitglied24
Mitglied

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von ehemaligesMitglied24
als Antwort auf Karl vom 03.07.2016, 10:57:00
Hallo Karl,

Lektüre-Bericht (II):

Harari (H) lässt eine ganze Reihe von Begriffen aus der Betrachtung, die die in Rede stehende Entwicklung nach wie vor umreißen. Wenn er das nicht glaubt (das wäre sein gutes Recht), müsste er sich aber redlichkeitshalber damit auseinandersetzen.

Er erwähnt nicht das Konzept der Arbeitsteilung, das der Lebensführung des Wildbeuters Grenzen setzt. Letzterer erwirtschaftet kaum Vorräte, jedenfalls nicht genug, um daraus ganze Gewerbe, wie Schriftgelehrte, Fuhrleute, jedenfalls Spezialisten mit "durchfüttern" zu können. Dies wird erst mit der neolithischen (landwirtschaftlichen) Revolution und ihrer Überschussproduktion möglich. Der Überschuss an Feldfrüchten und Geschlachtetem (geräuchert, getrocknet ...) ermöglicht es, eine im Laufe der Zeit wachsende Zahl von Menschen von der direkten Nahrungsproduktion freizustellen. Und es sind Teile des Überschusses, die auf Märkten gehandelt werden.

H erwähnt nicht, dass im Verein mit dem Markt das Phänomen auftaucht, dass Ware einen Gebrauchswert (die Hose wärmt) und einen Tauschwert (die Hose kostet x Gulden) hat. Das wäre aber deshalb von Belang, weil sich hieraus der sachliche Hintergrund für den Mythos vom Markt ergibt. Er wird nicht einfach im luftleeren Raum "erfunden", wie H mehrfach missverständlich schreibt.

Im Rahmen des Kapitels über die "ungerechte" Geschichte lässt er sich 10 Seiten lang über Männer und das Patriarchat aus, die gesamte Matriarchatsforschung ist ihm keine Bemerkung wert; lediglich im Zusammenhang mit Elefanten und Bonobos fällt das Wort "matriarchale" Gesellschaften. Nichts von J. J. Bachofen, Lewis H. Morgan, F. Engels, ... H. Göttner-Abendroth undundund. Er scheint für seine Argumentation "freies Feld" zu brauchen.

Höchst fragwürdig wird es, wenn H die Existenz matrifokaler Gesellschaften unterschlägt: Irokesen, Huronen, Hopi, Delaware ... hatten (und haben noch) eine solche.

Schließlich noch ein durchgehender Mangel (den ich schon erwähnt habe): H argumentiert linear, also nach einer Entweder-oder-Methode. Bei Friedrich Engels könnte er nachlesen, wie es heute Standard ist: "So ist die Hand nicht nur das Organ der Arbeit, sondern sie ist auch ihr Produkt." (Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, MEW 20, S. 445)

Schade, dass er so viel verschenkt.

Schönen Abend!

Dooscastle
Karl
Karl
Administrator

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaligesMitglied24 vom 06.07.2016, 20:55:44
Harari (H) lässt eine ganze Reihe von Begriffen aus der Betrachtung, die die in Rede stehende Entwicklung nach wie vor umreißen.
geschrieben von dooscastle

Niemand, auch Harari nicht, kann bei der Geschichte der Menschheit alles betrachten. Die 500 Seiten enthalten naturgemäß vor allem Auslassungen. Ich fand es ertragreicher über die vorhandenen Inhalte nachzudenken. Ich scheine nicht der einzige zu sein, der diese Inhalte goutiert hat.

Karl

Anzeige

Karl
Karl
Administrator

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaligesMitglied24 vom 04.07.2016, 21:30:50
1. Wieso soll ich mir den Vortrag ansehen?
geschrieben von Dooscastle
Ich wollte Dich und sittingbull aufmerksam machen darauf, dass Harari die Welt-verändernde Funktion des Sozialismus darin sieht, dass dies die erste konsequent diesseits bezogene Religion ist. Jensseitsbezogene Religionen verlieren in der Moderne an Bedeutung.

Karl
ehemaligesMitglied24
ehemaligesMitglied24
Mitglied

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von ehemaligesMitglied24
als Antwort auf Karl vom 07.07.2016, 07:28:39
Guten Morgen Karl,

und danke für die Erläuterung.

Zur Erwiderung: Es ist ja bekannt, dass auch der Sozialismus unter "Religionen" konzeptualisiert werden kann (und worden ist). Das geht mit den meisten Massenbewegungen. Nimm etwa ein Fußballspiel oder einen Besuch auf der Kirmes: Da schlüpfen Menschen unter den beruhigenden Schleier der Massenveranstaltung, es gibt eine Lithurgie usw. usf.

Das, was hinsichtlich des Sozialismus zu überwinden wäre, hätte u. a. damit zu tun, wie genau die Mechanismen der Macht funktionieren; also u. a., wie es geschehen konnte, dass die Honneckers und Mielkes den Laden dominiert und Figuren wie Ernst Bloch, Georg Lukacs, Walter Janka etc. verscheucht haben. Das wäre deswegen wichtig, weil "Sozialismus" nach meinem Dafürhalten gleichzusetzen ist mit "Sozialerwachen" ("Geschichte ist machbar"). Das ist der Punkt, warum Bloch geschrieben hat: Die Geschichte beginnt erst anzufangen. ALLES vorher war Vor-Geschichte. Und alle bisherigen Heilsversprechungen waren Religionen. Es geht von daher genau NICHT um glauben/Glauben.

Zu deinem letzten Satz: Man möchte es hoffen.

Bis denn!

Dooscastle
ehemaligesMitglied24
ehemaligesMitglied24
Mitglied

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von ehemaligesMitglied24
als Antwort auf Karl vom 06.07.2016, 22:58:51
Hallo Karl!

Vielleicht habe ich das ja missverstanden; in deinem Eingangsstatement sprichst du von "zur Diskussion stellen". Nichts weiter habe ich getan: Zur Kenntnis genommen und gegen den Strich gebürstet, also nachgeschaut, ob sich Hs Aussagen (Thesen?) verifizieren oder falsifizieren lassen. Und das mit Belegen.

LG

Dooscastle
sittingbull
sittingbull
Mitglied

Re: Friede in unseren Tagen
geschrieben von sittingbull
als Antwort auf ehemaligesMitglied24 vom 07.07.2016, 08:08:12
Das, was hinsichtlich des Sozialismus zu überwinden wäre, hätte u. a. damit zu tun, wie genau die Mechanismen der Macht funktionieren; also u. a., wie es geschehen konnte, dass die Honneckers und Mielkes den Laden dominiert und Figuren wie Ernst Bloch, Georg Lukacs, Walter Janka etc. verscheucht haben.
geschrieben von doocastle


die lehre aus der geschichte des deutschen Faschismus war , dass der aufkeimende , sozialistische staat dafür sorge tragen muss , die macht ,
allen widerständen zum trotz zu halten , auf das sich das nicht wiederhole .

das war grundsätzlich keine falsche einsicht ... aber natürlich wurden fehler gemacht , aus denen wir heute lernen können .

Bloch , Lukács , Janka ... und auch Marcuse , Adorno und Horkheimer , waren grosse denker ... ebenso Sartre , Camus oder Dali und Bunuel .

der Sozialismus ist nicht am mangel an Ideen gescheitert ...
er ist schlicht im Klassenkampf zerbrochen .

führen wir alle erkenntnisse und überlegungen zusammen ...
haben wir gute chancen es besser zu machen .

sitting bull

Anzeige