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Internationale Politik Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?

adam
adam
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Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von adam
Wikileaks hat passabel begonnen. Die Veröffentlichung des Videos aus Bagdad zeigt eine amerikanische Hubschrauberbesatzung, die in eine Zivilistengruppe feuert und mehrere davon tötet. Ein Video, daß um die Welt und durch die Nachrichten ging und aufrüttelte. Journalistisch gesehen war das passabel gemacht.

Es folgten Veröffentlichungen über den Afghanistan- und Irakkrieg und das war journalistisch schlecht gemacht, weil es nichts wirklich Neues zeigte und nur noch die interessierte, die mit dem Finger zeigen wollten. Der überwiegende Teil der Bevölkerung war und ist unfreiwillig übersättigt mit Meldungen über Krieg und Gewalt und schaute weg.

Die letzten Meldungen von Wikileaks haben mit ernsthaftem Journalismus, der offenlegt und aufklärt, nichts mehr zu tun. Das war öffentlich gemachte Nabelschau, boulevardmäßige Yellowpress, ein bloßstellender Rundumschlag in die Weltpolitik, der schadenfrohe Kommentare und Lachen provozierte, aber für für den Transport wirklich wichtiger Informationen kontraproduktiv war.

Kontraproduktiv, weil Wikileaks versäumt hat, sich den Rücken frei zu halten, um beweisen zu können, daß selbst der Diebstahl von Informationen gerechtfertigt ist, um die Öffentlichkeit über Vorgänge in der Politik zu informieren, die Auswirkungen auf das tägliche Leben haben oder sogar den Frieden in der Welt betreffen.

Wer die Politik angreift, muß Politik zum Selbstschutz auf seiner Seite haben. Auf Schutz durch die Öffentlichkeit kann er erst hoffen, wenn die Öffentlichkeit für die Wichtigkeit seiner Informationen sensibilisiert und somit eine Macht darstellt, die der Politik, die angegriffen wird, standhält.

Wikileaks hat Politik und Öffentlichkeit unterschätzt, scheitert letztendlich an der eigenen Überheblichkeit. Statt die Weltpolitik nach und nach mit wichtigen Enthüllungen zu konfrontieren, die so interessant sind, daß sie durch andere, interessierte Politik geschützt sind, hat Wikileaks geradezu stümperhaft auf die Düpierung der Gesamtheit gesetzt.

Das ist in zweierlei Hinsicht eine Katastrophe: Erstens kommen die wirklich wichtigen Informationen, wenn überhaupt, nur bei einem geschwächten öffentlichen Interesse an und zweitens ist sich die beleidigte Politik rund um den Globus einig, in die Freiheit des Internets einzugreifen, um Wikileaks mundtot zu machen. So kann Wikileaks zum Sargnagel eines freien Internets werden.

Es bleibt zu hoffen, daß es die Gründungsmitglieder von Wikileaks, die sich von Julian Assange losgesagt haben, besser machen werden, wenn sie ihr Vorhaben, eine ähnliche Seite zu betreiben, verwirklichen können.

--

adam



JuergenS
JuergenS
Mitglied

Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von JuergenS
Ich teile deine Meinung, bis auf den Sargnagel, ich gehe eher von einem kleinen Picks aus, der als Mahnung aber sicher wichtig ist.
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf adam vom 04.12.2010, 12:12:59
@adam

Deine Entrüstung über das vorgehen der Betreibert von Wikilöeaks ist nur verständlich, wenn man mit dem Denkschema der etablierten und bürgerlichen Presse tickt. Die Grundsätze der Hacker-Ethik sind jedoch andere:

* Der Zugang zu Computern und allem, was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert, sollte unbegrenzt und vollständig sein.
* Alle Informationen müssen frei sein.
* Mißtraue Autoritäten – fördere Dezentralisierung.
* Beurteile einen Hacker nach dem, was er tut, und nicht nach üblichen Kriterien wie Aussehen, Alter, Herkunft, Spezies, Geschlecht oder gesellschaftliche Stellung.
* Man kann mit einem Computer Kunst und Schönheit schaffen.
* Computer können dein Leben zum Besseren verändern.
* Mülle nicht in den Daten anderer Leute.
* Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.


Die sogenannten "Mächtigen" dieser Welt versuchen derzeit Wikileaks mundtot zu machen, wissen aber noch nicht, mit wem sie sich da angelegt haben. Es wird immer Jemand einspringen, der die Seiten hostet.

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senhora
senhora
Mitglied

Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von senhora
Gerade stelle ich mir vor, es wäre nicht dummerweise ein Amerikaner gewesen, der Daten aus dem Nähkästchen „weiterleitete“, sondern ein Iraner, ein Chinese oder ein Russe.
Ganz sicher rollte der Westen dann für Assange den roten Teppich aus, so wird er eben gejagt und erhält Morddrohungen.
Aber so schlampig wie die USA geht offensichtlich (leider) kein anderer Staat mit sensiblen Daten um.

Senhora
Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf dutchweepee vom 04.12.2010, 12:47:32
Dutch: ...Es wird immer Jemand einspringen, der die Seiten hostet.

...Und wenn's El Kaida mit schnell wechselnden Servern ist.

Persönlich weiß ich (noch) nicht, was ich von dem Getöse halten soll.
Oft genug haben sich solche Tornados als ein Haufen leerer Luft entpuppt.

Auf der anderen Seite weiß ich, daß in den 'oberen Etagen' arg viel 'gekungelt' wurde und sicher auch wird. Und zwar in einem für Otto Normalo unvorstellbaren Maße, weil der gar nicht in diesen abstrusen Vorstellungen denken kann.

Auch wenn man den Gründer jetzt einsperren oder umbringen würde, wäre ja damit nichts gewonnen. Außer daß er weiter Wasser auf seine Mühlen kriegen würde.

Würde sich eines der Schurkenstücke als wahr herausstellen, dann gehörte der Anstifter nach den Haag.


Gehörig mehr Sorgen bereitet mir allerdings die Sache mit dem Jugendschutz jetzt.
Das Ding ist technisch gar nicht durchführbar.
Und trotzdem und wieder mal ausgerechnet unsere überbordende Bürokratie wagt sich daran. Astrein frei nach Peter Prinzip: Die Behörden wurden so groß, daß sie sich nun selbst erhalten ohne Sinn und Verstand. Hauptmann von Köpenik lässt wieder grüßen.

Wie war das? Über Mallorca lacht die Sonne, über Deutschland lacht die Welt. Noch.
andreadoria
andreadoria
Mitglied

Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von andreadoria
als Antwort auf adam vom 04.12.2010, 12:12:59
Was Assange will ist die totale Transparenz. Sein Credo ist die finale Öffentlichkeit alles Gesprochenen und Gedachten. Und er ist quasi ihr Hohepriester.

Transparenz von Prozessen und Entscheidungswegen ist nicht gleichzusetzen mit der vollkommenen Öffentlichkeit. Es ist im Prinzip dasselbe Problem, wie mit Google's Streetview.

Das Internet macht eine Verbreitung und Öffentlichkeit möglich, die es früher nicht gab. Das ist weder per se schlecht, noch per se gut. Vor allem aber bedeutet es nicht, dass nur, weil es technisch möglich ist, es auch eine grenzenlose Transparenz geben muss.
In den vergangenen Jahrhunderten wurde meist dafür gekämpft, dass die Räume frei und öffentlich zugänglich werden für jederman. Heute beginnt der Kampf darum, sich auch private und geschützte Räume zu erhalten, sie zu verteidigen. Die Veröffentlichungsfetischisten von wikileaks kommen zu spät für dieses Jahrhundert und übertreiben es gleich maßlos.

Auch die Regeln über Geheimhaltung, Treue- und Verschwiegenheitspflichten sind letztlich demokratisch legitimiert und gesellschaftlich akzeptiert. Wer dagegen verstösst, oder gar versucht, sie abzuschaffen, verstösst selbst gegen gesellschaftlichen und demokratischen Konsens und kann sich nicht als Retter desselben aufspielen.

Natürlich ist es ein schmaler Grat, der beschritten wird: Kritisch sein bei Geheimniskrämerei ist angesagt.
Die Veröffentlichung als solche ist nicht automatisch das Gute, und das Geheimnis ist nicht automatisch das Schlechte! Es kommt letztlich immer darauf an, welches Ziel damit verfolgt wird, aber vor allem auch, welches Ergebnis tatsächlich dadurch heraus kommt.



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adam
adam
Mitglied

Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von adam
als Antwort auf dutchweepee vom 04.12.2010, 12:47:32
@adam

Deine Entrüstung über das vorgehen der Betreibert von Wikilöeaks ist nur verständlich, wenn man mit dem Denkschema der etablierten und bürgerlichen Presse tickt. Die Grundsätze der Hacker-Ethik sind jedoch andere:....


@dutch,

richtig, in meinem Eröffnungsbeitrag ticke ich etabliert. Und das sehr absichtlich, denn die Informationen von Wikileaks sollten ja in der etablierten Welt wirken. Und am besten wirken da bei uns immer noch die Nachrichten der Tagesschau ohne Konjunktiv.

Das was Deine Hackerethik ausdrückt, unterstütze ich ja und darüber hinaus verbiete ich mir Hackerangriffe des Staates in meinen PC. Aber was haben Hacker mit den Infos von Wikileaks zu tun? Meines Wissens hat den Diebstahl ein Insider begangen. An Wikileaks hätte es gelegen, den Diebstahl zu rechtfertigen, ja zu lagalisieren, schon um ihrem Informanten das Gefängnis zu ersparen. Daß Wikileaks das nicht getan hat, werfe ich ihnen vor, denn so haben sie der etablierten Politik die Gelegenheit gegeben, zurück zu schlagen.

Und daß man als Unetablierter in einer etablierten Welt nicht verändern kann, dürfte doch klar sein. Das beste Beispiel dafür sind die Grünen und ihre Politik. Aus ähnlichen Gründen habe ich mich ja auch etabliert, betrachte mich aber als unangepasst und will es auch bleiben. Von meiner Linie bin ich deshalb nicht so schnell abzubringen, weder im Alltag noch hier im Forum.

--

adam

adam
adam
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Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von adam
als Antwort auf andreadoria vom 04.12.2010, 14:03:04

In meinen Augen ein Top-Beitrag andreadoria. Da stimme ich gerne zu.

--

adam
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf adam vom 04.12.2010, 14:05:52
@adam

Dies ist nicht "meine" Hacker-Ethik, sondern die Grundsätze zur Entwicklung des Internets, wie sie von den Aktivisten der ersten Jahre formuliert wurden. Du fragst, warum ich diese Agenda hier anführe? Ganz einfach um dir zu zeigen, dass es dem Establishment und allen voran der USA sehr schwer wenn nicht gar unmöglich gemacht wird, die Seiten von WikiLeaks aus dem Netz zu verbannen, da sie voll und ganz dieser Verfassung entsprechen.

Was das Bürgertum in diesem Fall als schicklich und gesellschaftlich legitimiert ansieht, ist in diesem Fall nicht relevant. Vor 40 Jahren galt ein gesellschaftlicher Konsenz, der heute als absolut unmöglich angesehen wird. Genauso werden sich Regierungen und Volkvertreter an mehr Glasnost (Transparenz) gewöhnen müssen. Man kann nicht vom Bürger jede Information haben und speichern wollen und gleichzeitig im stillen Kämmerlein regieren - sozusagen in einer anderen Welt.

Insofern lehne ich auch den wunderbar elastisch formulierten Beitrag von andreadoria inhaltlich voll ab.
andreadoria
andreadoria
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Re: Wikileaks - Sargnagel des freien Internets?
geschrieben von andreadoria
als Antwort auf dutchweepee vom 04.12.2010, 14:34:50
@dutchweepee

Es ging mir vor allem um die jüngsten Veröffentlichungen diplomatischer Berichte.

Geht es um Korruption, für die es sachliche Beweise gibt, ist eine Veröffentlichung nicht besonders hilfreich, denn bis dann die Polizei da ist, sind meistens die Beweise weg. Aber gut, bei handfesten Informationen über Skandale oder Straftaten, wenn es zur Aufklärung dessen beiträgt, was im Irak oder Afghanistan wirklich passiert (sofern die öffentliche Darstellung abweicht), dann sind solche Veröffentlichungen sicher zu begrüßen.

Aber die Bewertungen von Personen über andere Personen haben im Internet nichts zu suchen, wenn die Betroffenen das nicht wünschen.

Oder wärst Du begeistert davon, wenn ich Deinen realen Namen und Deine Freunde kennen würde, und unter Angabe aller entsprechenden Namen freimütig darüber im Internet berichten würde, was Du so alles an unschmeichelhaften Dingen über Freunde und Verwandte irgendwann mal gesagt hast?

Wenn DIR das nichts ausmachen würde, dann darfst Du solche Infos gerne einfordern - aber das dürfte mit Sicherheit nicht repräsentativ für die meisten Menschen stehen.

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