Forum Kunst und Literatur Literatur Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?

Literatur Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?

Medea
Medea
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Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von Medea
Der Tod muß nicht immer toternst daherkommen .......

Der Tod
Gestern, Brüder, könnt ihrs glauben?
Gestern bei dem Saft der Trauben,
(Bildet euch mein Schrecken ein!)
Kam der Tod zu mir herein.

Drohend schwang er seine Hippe,
Drohend sprach das Furchtgerippe:
Fort, du teurer Bacchusknecht!
Fort, du hast genug gezecht!

Lieber Tod, sprach ich mit Tränen,
Solltest du nach mir dich sehnen?
Sieh, da stehet Wein für dich!
Lieber Tod verschone mich!

Lächelnd greift er nach dem Glase;
Lächelnd macht ers auf der Base,
Auf der Pest, Gesundheit leer;
Lächelnd setzt ers wieder her.

Fröhlich glaub ich mich befreiet,
Als er schnell sein Drohn erneuet.
Narre, für dein Gläschen Wein
Denkst du, spricht er, los zu sein?

Tod, bat ich, ich möcht auf Erden
Gern ein Mediziner werden.
Laß mich: ich verspreche dir
Meine Kranken halb dafür.

Gut, wenn das ist, magst du leben:
Ruft er. Nur sei mir ergeben.
Lebe, bis du satt geküßt,
Und des Trinkens müde bist.

Oh! wie schön klingt dies den Ohren!
Tod, du hast mich neu geboren.
Dieses Glas voll Rebensaft,
Tod, auf gute Brüderschaft!

Ewig muß ich also leben,
Ewig! denn beim Gott der Reben!
Ewig soll mich Lieb und Wein,
Ewig Wein und Lieb erfreun!

Gotthold Ephraim Lessing


Allen wünsche ich einen wunderbaren Tag.

Medea.











Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 29.07.2011, 10:14:22
Dieses Grimmsche Märchen ist wirklich seltsam, und m. E. wird daran auch deutlich, dass die Märchen ursprünglich nicht (nur) für Kinder gedacht waren. Dass der Mann und Vater hier nicht erscheint, wundert mich aber weniger, denn damals waren die Väter sicher viel weniger Bezugspersonen für ihre Kinder als heute. Die Kinder waren eben vorwiegend Muttersache, so ist es ja lange geblieben. Ich habe den Eindruck, dass dieses Märchen entstanden sein könnte vor dem Hintergrund der Geschichte einer Mutter, die sich nicht beruhigen konnte über den Tod ihres Kindes. In dieser Zeit waren Kindstode ja sehr häufig, oft überlebten von einer großen Kinderschar nur wenige, und der Tod gehörte viel mehr zum Leben als heute.

Ich möchte auf ein anderes Märchenbuch zum Tod aufmerksam machen: Heinrich Dickerhoff (Hrsg.): Märchen im Hospiz. Erdenkinder, Waisenkinder, Königskinder.
Das Buch enthält Märchen zu Tod, Trauer und zu möglichen Lebenswegen und ist in der Hospizarbeit entstanden. Zu jedem Märchen gibt es eine Deutung bzw. den Versuch einer Deutung, man kann sie ja immer verschieden sehen, und jede/r interpretiert etwas anders hinein (eine davon ist von meinem Sohn, der ein bisschen für den Verlag arbeitet, nur am Rande vermerkt )
Es sind Märchen aus aller Welt, ich kannte sie alle nicht, außerdem enthält das Buch schöne Scherenschnitte, mir gefällt es sehr gut.
Vielleicht interessiert es dich oder jemand anders, hier ein Link mit einer Rezension, die ich gefunden habe:
enigma
enigma
Mitglied

Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.07.2011, 10:30:13
Hallo Marina,

danke für diesen Hinweis.
Ich finde die Idee, diese Märchen herauszugeben, ausgefallen schön.
Das Buch möchte ich mir wohl kaufen.

Außerdem möchte ich - trotz anfänglicher Zweifel - auch einen Hinweis auf das Tagebuch “Arbeit und Struktur” von Wolfgang Herrndorf geben.

Folgendes Zitat aus ZEIT ONLINE soll zeigen, um was es da geht:


(...) Im Februar 2010 wird bei ihm ein bösartiger Gehirntumor diagnostiziert, Heilung ausgeschlossen. Im März beginnt er mit dem Tagebuch: "Ich werde noch ein Buch schreiben, sage ich mir, egal wie lange ich noch habe, wenn ich noch einen Monat habe, schreibe ich eben jeden Tag ein Kapitel. Wenn ich drei Monate habe, wird es ordentlich durchgearbeitet, ein Jahr ist purer Luxus."(...)
geschrieben von ZEIT ONLINE


Der ganze Artikel ist hier abrufbar:

Wer will, kann den Blog von Herrn Herrndorf über den Link im Artikel abrufen.
Dann erscheint allerdings die letzte (neueste) Eintragung.

Ich habe mit dem Beginn angefangen, mich inzwischen bis “Rückblende, Teil I: Das Krankenhaus” durchgelesen und empfinde das keineswegs nur als Belastung, sondern auch als Bereicherung, und zwar in mancherlei Hinsicht.

Ich hatte zunächst Zweifel, ob ich den Hinweis überhaupt hier einstellen sollte, weil ich mir die Frage stellte, warum ich das überhaupt lese. Oder besser gesagt, ob das nicht sensationslüstern ist, einen solchen Text zu verfolgen. Im Artikel steht das Wort “voyeuristisch”, das war mir inzwischen auch eingefallen, aber heute bin ich der Meinung, dass Wolfgang Herrndorf ja den Blog veröffentlichen lässt, also auch will, dass er gelesen wird.

In letzter Zeit, besonders in den letzten Tagen, gucke ich häufig in seinen Blog und freue mich immer, wenn ich feststelle, dass er noch schreiben kann.....

Enigma

PS
Ein Vergleich mit Christoph Schlingensief liegt natürlich nahe.
Den hatte gestern schon eine gute Bekannte gezogen.




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pilli
pilli
Mitglied

Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von pilli
sehnsüchtig, erwartungsvoll und fast zärtlich um den tod bittend, zeigt der sänger Ludwig Hirsch in dem Lied

"Komm grosser schwarzer Vogel"

welche erlösung der tod bedeutet, wenn mensch den frieden gefunden hat, sich dem unausweichlichen zu stellen.

Komm grosser schwarzer Vogel, komm zu mir!

Spann' Deine weiten, sanften Flügel aus und lege sie auf meine Fieberaugen! Bitte, hol mich weg von da.

Und dann fliegen wir auffi, mitten in den Himmel rein, in eine neue Zeit, in eine neue Welt, und ich werd' singen, ich werd' lachen, ich werd' das gibt's net schreien, weil ich werd' auf einmal kapieren, worum sich alles dreht.

Komm grosser schwarzer Vogel, hilf mir doch! Press' Deinen feuchten, kalten Schnabel auf meine Wunde, auf meine heisse Stirn! Komm grosser schwarzer Vogel,jetzt wär's grad guenstig. Die anderen da im Zimmer schlafen fest und wenn wir ganz leise sind, hört uns die Schwester nicht. Bitte, hol mich weg von da!
geschrieben von Ludwig Hirsch


Komm grosser schwarzer Vogel


--
pilli
longtime
longtime
Mitglied

Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von longtime
als Antwort auf pilli vom 30.07.2011, 11:45:17
Danke für die vielen Ergänzungen und Lese- und Hörhinweise.

Ja, das "Totenhemdchen" habe ich mal mit einer Feiwilligen-Gruppe, d.h. natürlich: Trauer-Gruppe (nach Suizid bei Verwandten und Kindern) gelesen. Die Ankünpfungspunkte gingen soweit, das die Vor-Nacht oder die Nach-Todesnächte wiederholte Tag- oder Nachträume Ähnliches zu Wege brchten: Taschen oder Koffer ausräumen, Zimmer betreten und bei vorher schmerzhafte Erinnerungsstücken suchen...

*

Bei Herrendorf habe ich "Gliose" bei Wiki nachgschlagen:

"Gliose ist die Bezeichnung für eine erhöhte Anzahl von Gliazellen in einem geschädigten Bereich des Zentralnervensystems oder des Gehirns. Dies ist die unspezifische neuropathologische Reaktion auf verschiedene neurologische Erkrankungen. Die Gliazellen nehmen hier den Raum, aber nicht die Funktion der zerstörten Nervenzellen ein."
"Gliose" klingt doll; ist aber wohl (bzw. unwohl)eine Todes-Zelle:

Ja, Hirsch hatte ich auch lange nicht mehr gehört. Danke!
*

Von mir noch diesen Text:

Tod und Tödin


Einst wanderten der Tod und seine Frau, die Tödin, durch das Reußtal hinauf. Bei Meitschligen blickte die letztere gegen den Gurtneller Berg hinauf und merkte, daß es da sehr viele alte Leute habe. Sie ballte ihre Fäuste gegen den Berg und rief: »Wartet nur, lähr altä Chremäsä, ych wil-i scho appäwischä.« Aber der Tod meinte: »Ja, wennd-si Chralläberri ässet, channsch-nä dü nyt a'tüe.« Sie stritten laut miteinander, so daß ein Mann im Tangel jenseits der Reuß es hörte. Bald kam der Beulentod, und es starben viele Leute, auch auf dem Berg. Da erinnerte sich jener Mann des Zwiegespräches und sagte den Leuten, sie sollten Korallenbeeren essen. Die es taten, blieben vom Tode verschont.

Sagen aus der Schweiz : "Tod und Tödin"

Da spieglt sich schon der Versuch von Menschen, aus der Natur Bestandteile zu entnehmen und/oder zu verarbeiten, was zu Volksmedizin und später zu unserer modernen Medizin führte: Vor- oder Gegen-Tödliches!


*

Neu entdeckt, was ich seit der Zeit, als mein Sohn (vor 20 Jahren) die EAV anschleppte, nicht mehr gehört hatte:

E A V: Der Tod


*


enigma
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Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 30.07.2011, 14:30:59
Der Tod und das Mädchen

von Hans Baldung

Der Tod und das Mädchen von Matthias Claudius

Das Mädchen:
Vorüber! Ach vorüber!
Geh, wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh Lieber!
Und rühre mich nicht an.

Der Tod:
Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
Bin Freund und komme nicht zu strafen.
Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen!

In einer modernen Version gesungen im Rahmen des Musikprojekts Bacio di tosca von Dörthe Flemming, hier:

Enigma

An EAV kann ich mich auch noch erinnern.

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Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf enigma vom 30.07.2011, 18:59:43
Das ist wirklich interessant, Enigma. Ich war gerade unterwegs und dachte darüber nach, Schuberts "Der Tod und das Mädchen" einzustellen, und dann sah ich hier nach und fand deinen Beitrag mit den Links, das war Gedankenübertragung, vielen Dank.
ich hatte aber vor, das Quintett einzustellen, das mag ich noch viel lieber, und es gehört zu meiner Lieblinskammermusik überhaupt. Ich finde es einfach wunderbar!
Hier also das Quartett vom Gewandhausquartett:
enigma
enigma
Mitglied

Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.07.2011, 19:58:41
Ja, liebe Marina,

wir haben alle unseren eigenen Musikgeschmack.

Das Quintett finde ich auch sehr schön, wirklich, aber - da Du mich nicht erst seit gestern kennst - wirst Du auch verstehen, dass ich öfter mal was Neues brauche, ohne die klassische Literatur oder Musik vernachlässigen zu wollen. Die lese oder höre ich gerne immer mal wieder.

Jetzt noch was für unseren Thread von einem meiner Lieblingsinterpreten, den der wirklich Allmächtige in diesem Faden, der Tod, auch schon kassiert hat:

Queen mit Freddie Mercury und Who wants to live forever.


Wir werden uns sicher wieder hier begegnen....

Gruß von Enigma
ehemaligesMitglied35
ehemaligesMitglied35
Mitglied

Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von ehemaligesMitglied35
als Antwort auf enigma vom 30.07.2011, 22:18:31
Durch die Lektüre hier habe ich mal wieder Mahlers Sechste in der Verfilmung von Adrian Marthaler aus dem Regal geholt.

Die Reihe, die Filmliebhaber und Klassikinteressierte gleichermaßen ansprechen will, beginnt am 16. Januar mit einer Hommage an Gustav Mahler, dessen Werk in dieser Saison einen Programm-Schwerpunkt der Berliner Philharmoniker bildet und dessen Todestag sich 2011 zum 100. Mal jährt: Das Lied von der Vergänglichkeit – Mahlers Sechste. Regisseur Adrian Marthaler hat die Sechste Symphonie des Komponisten als Inspiration zu einer filmischen Fantasie über die »Anatomie der Vergänglichkeit« genommen.

Ich hätte gern den Link dazu eingestellt, finde aber keinen.

Gruß
enigma
enigma
Mitglied

Re: Gevatter Tod, Bruder Hein, Freund Hein - ist jeglicher T o d männlich?
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaligesMitglied35 vom 31.07.2011, 11:52:58
Hallo Fritz,

guck mal, wie viele Filme allein zum Thema "Totentanz und der Tod als Person im Film" hier gelistet sind:
Und diese Liste erhebt wahrscheinlich noch nicht einmal Anspruch auf Vollständigkeit.

“Deiner” aus 1997 ist jedenfalls auch dabei.

Von den aufgeführten Filmen kenne ich nur “Das Siebente Siegel” von Bergman, weil ich mir irgendwann alle erreichbaren Filme von ihm angeguckt habe, weiter noch Rendezvous mit Joe Black, so der deutsche Titel von “Meet Joe Black”.

Von Doris Dörrie habe ich nur die Kurzgeschichte “Auf immer und ewig”, die dem Film zu Grunde liegt, gelesen, aber leider den Film nicht gesehen.

Und über das Remake von Metropolis habe ich mal was im FS gesehen, aber das ist schon etwas länger her.

Etwas habe ich über “Mahlers Sechste - das Lied von der Vergänglichkeit” aber doch gefunden, hier:


Gruß, Enigma


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