…stirbt jeder allein.


Stille umgab die Trauernden. Wenige waren gekommen, um Roland das letzte Geleit zu geben.
Es war eine städtische Beerdigung, die Kosten wurden vom Ordnungsamt übernommen. So wunderte es niemanden, dass die Kapelle eiskalt war, die Kälte kroch allen in die Beine. Die Kapelle wurde nicht beheizt, an diesem Tag, an Rolands Beerdigung. Eine städtische Beerdigung muss kostengünstig sein, niemand, der sich von der Stadt große Mühe machte, dieser Trauerfeier einen würdigeren Rahmen zu geben.

Es war eine kurze Trauerrede, von keinem Schluchzen unterbrochen. Roland hatte keine Familie, wenig Freunde und Nachbarn.

Seine Hundefreunde, wir, die täglich mit ihm und den Hunden durch den Wald liefen, das waren seine einzigen, sozialen Kontakte.
Diese Gruppe begleitete ihn auf seinem letzten Gang.

Zwei Wochen zuvor kam der Pfarrer der Gemeinde zu uns, in Ermangelung irgendwelcher Verwandten, um über die Predigt für die Trauerfeier zu sprechen. So blieben nur wir, um Auskunft über sein Leben zu geben.
Mit Erschrecken stellten wir fest, wie einsam er doch war. Roland hatte keine Familie, wir waren offensichtlich sein einziger Kontakt.

Täglich sahen wir uns. Stundenlang liefen wir durch Wald und Flur. Unsere Hunde, wir, das war scheinbar sein Leben. Vor allem aber, sein Paulchen. Ein Hund, klein und gedrungen, mit einer Fellfarbe und Rasse, undefinierbar. Diesen Hund hatte er innig geliebt. Paulchen hatte ein grausames Schicksal in Spanien erlebt. An einem Fleischerhaken, den Tierquäler durch sein Kinn stachen, wurde er an einem Baum auf gehangen, danach zerschlug man ihm mit Baseballschlägern die Hüften. Anschließend warfen die Täter den schwerverletzten Hund in eine Mülltonne. Anwohner, die verängstigt diese Szene beobachteten, brachten den verletzten Hund in eine Tierklinik. Dort wurde Paulchen wieder gesund und kam über einige Umwege zu Roland, der uns diese Geschichte erzählt hatte. Dank Roland fand Paulchen das Vertrauen zu dem Menschen wieder.

Viel haben wir auf den Hunderunden erzählt, auch Roland gab ein wenig von sich selbst preis. Anschließend war er oft bei Hundefreunden zu einer Tasse Tee eingeladen, dabei naschte er gerne Süßigkeiten.
Dies alles erzählten wir dem Prediger, auch dass Roland die Schränke, ungefragt, durchwühlte nach Plätzchen und anderen leckeren Sachen. Damals waren wir ärgerlich darüber, heute könnte er alle Schränke nach Süßem durchwühlen, wenn wir gewusst hätten, wie früh er gehen muss.
Es war nicht viel, dass er über sich erzählte. Er lebte früher in Düsseldorf, war verheiratet und hatte zwei Hunde, das alles verlor er durch die Scheidung. Mehr wüssten wir nicht von ihm, sagten wir dem Pfarrer. Und doch, im Laufe des Gespräches stellen wir fest, dass wir sein einziger Kontakt waren. Die täglichen Wanderungen, unverzichtbar für ihn, um aus seinem Alltagstrott zu kommen. Die Gespräche über Gott und die Welt waren wichtig für ihn. Nun verstehen wir, warum er sich jedesmal aufregte, wenn wir beruflich keine Zeit hatten im Wald zu laufen, dafür hatte er keinerlei Verständnis. Nun verstehen wir, es war seine Einsamkeit, die nur durch unsere Treffen unterbrochen worden sind.

Sein Paulchen hing mit unerschütterlicher Liebe an ihm, auch wen er mal brummelig war, dies kam oft vor, dass er mit sich und der Welt gerade mal wieder im Argen lag. Paulchen konnte er damit nicht beeindrucken, er liebt ihn heiß und innig.
Die langen Strecken im Wald konnte Paulchen mit seinen kleinen Beinen oft nicht laufen, bedingt durch die Auswirkungen der Schläge in Spanien. So trug Roland in oft Stundenlang auf seinem Arm durch den Wald. Dies „gestattete“ Paulchen natürlich gern und lag selig in dessen Arm.
Täglich holte Roland einen weiteren Hund zum laufen ab. Sehnsüchtig wurde er schon erwartet. Das Glück dieses Hundes kannte keine Grenzen wenn Roland kam.

Roland war ein bescheidener, und wie wir heute glauben, ein glücklicher Mann. Sein Paulchen ersetze ihm vieles.
Das alles schrieb sich der Pfarrer auf, der aufmerksam unseren Schilderungen folgte. Allmählich entstand ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben Rolands.
Wir erzählten ihm das tragische Ende.

Roland kam mit dem Verdacht auf Thrombose ins Krankenhaus. Er wurde operiert und nach ca. drei Wochen entlassen. Täglich nahmen wir, die Hundegruppe, Paulchen mit auf unseren Weg, sodass er nichts vermissen sollte. Rolands Genesung schritt voran. Er ging wieder kleinen Runde mit uns mit. Doch eines Tages erschien er nicht zur üblichen Zeit. Wir machten uns natürlich unsere Gedanken darüber.
Am nächsten Morgen fand man Roland auf dem Küchenboden seiner Wohnung. Paulchen saß auf seiner Brust und bewachte ihn. Er war einsam, nur in Begleitung seines Hundes gestorben.
Paulchen wurde von uns „adoptiert“ und hat noch ein paar schöne Jahre bei einer Hundefreundin.



-------------------------------------

Nun stehen wir an deinem Grab, wenige nur, aber die, mit dem Herzen an dich denkend.
An einen Freund, mit dem wir lachen konnten, auch schon deshalb, weil wir deine Brummeligkeit nicht weiter ernst nahmen.

Wir waren deine Familie.

Anzeige

Kommentare (6)

elise52 wer weis schon wie viele Rolands es gibt, ich finde es gut das ihr ihn in eurer Mitte aufgenommen habt und sein Paulchen versorgt wird.

Liebe Grüße Elise
ehemaliges Mitglied wahrscheinlich wird man nie mehr erfahren können, ob Roland glücklich oder unglücklich gelebt hat. Er war aber, wie Theresa schon schrieb, nicht alleine. Er hatte seinen treuen Freund Paulchen an seiner Seite und er freute sich ganz offensichtlich über die gemeinsamen Spaziergänge mit Dir und den anderen Hundehaltern. Auch die Einladungen zum Tässchen Kaffee werden sein Herz beglückt haben.

Als Roland zu Grabe getragen wurde, habt Ihr ihn begleitet. Auch da war er nicht alleine.

Liebe Grüße
Sigrun
therese sie hat mich sehr berührt.

So viele Menschen sind alleine - nicht einsam - nein ALLEINE.
Roland hatte euch und war somit nicht einsam - ihr habt ihm Freude und Zuneigung
geschenkt ohne wenn und aber und dies ist etwas sehr wertvolles.

Herzlichst, Therese
Britt Roland hat wenig gehabt, die Heizung in der Kirche hätte ihn auch nicht munter gemacht, nur euer Wohlbefinden verbessert. Aber liebe Schreiberin, du hast mit dieser Geschichte mein Herz sehr berührt. Auch ohne es zu beabsichtigen, hilft man Menschen, indem man einfach mit ihnen zusammen ist. Danke dir - Britt
senhora Sehr ermutigend, solche Geschichten zu lesen, die Menschen sind in vielen Situationen doch oft besser als ihr Ruf. Es gibt sie nicht wie Sand am Meer und es gehört ein wenig Glück dazu, ihnen zu begegnen. Roland und Paulchen hatten diese Glück.

Herzliche Grüße
Senhora
ehemaliges Mitglied du hast so recht, jeder stirbt allein. Besonders tragisch ist, das ein Mensch so allein gelebt hat, bescheiden und zurückhaltend - bis auf die Plätzchensuche.
Da muss in einem Leben schon sehr vieles passiert sein.
Ich danke Dir für diese Rückbesinnung auf einen Freund und dass ich daran teilhaben durfte.
Liebe Grüße
Meli

Anzeige