A m W a l d e s r a n d


Gewidmet all denen, die Pflanzen lieben.


Weit ab von der Stadt, umgeben von Feldern und Wald befand sich ein kleines Haus. Es war hübsch anzuschauen. Auf den Fensterbrettern standen Kübel mit den schönsten bunten Blumen.
Gleich nebenan auf einem Hügel gab es eine stattliche Windmühle. Dort lebten Peter und Sieglinde. Und ich natürlich. Das ist wichtig, handelt die Geschichte doch von mir. Ich mochte vielleicht vier Jahre, oder fünf gewesen sein, da vollbrachte ich so einiges. Mit den Nachbarsjungen kletterte ich auf Bäumen herum, planschte im naheliegenden Bach und stromerte im Wald. Sie waren durchweg älter, als ich. Mich störte das überhaupt nicht, nur einmal bekam ich mit, wie einer tuschelte: „Kann sie nicht mal zu Hause bleiben?“
Nee, blieb ich nicht. An einem Samstag, ich war früh aufgestanden, schnappte ich mir einen Kanten Brot und ging zu unserem Treffpunkt. Das war ein kleiner Steg übern Bach. Alle vier waren schon da. Wir wollten bei den Teufelsfelsen ein bisschen klettern. So im Nachhinein hätte ich wissen müssen, dass etwas passieren kann. Nur damals? In der Nacht hatte es geregnet. Dementsprechend war es sehr rutschig. Und ich? Ich war sogar abseits von den Jungs. Wollte unbedingt an einer Felswand hoch. Ich dachte doch nicht über Schwierigkeiten nach. Alles hatte bisher geklappt. So an die zwei Meter war ich hoch und dann rutschte ich weg. Kaum war ich richtig bei Sinnen, versuchte ich aufzustehen. Ein kleiner Schrei kam aus meiner Kehle.
Fassungslos sah ich, dass mein linkes Bein komisch abgewinkelt war. Und es schmerzte mich. Mir kamen die Tränen. Was mach ich bloß? Keine Menschenseele war zu sehen. Ich rief so laut ich konnte. Nichts. Mir wurde zunehmend kälter. Kam von den Jungs nicht einer auf den Gedanken, mal nach mir zu schauen? Hilflos, wie ich war, versuchte ich meinen kleinen Rucksack heranzuziehen. Zum Glück klappte es. So hatte ich wenigstens etwas zu trinken.
Es verging viel Zeit, da hörte ich auf einmal Stimmen. Sie schimpften.
„So eine Frechheit, uns als Unkraut zu bezeichnen.“
Wie bitte, dachte ich, Unkraut? Habe ich jetzt schon Fieberwahnvorstellungen?
„Dann gehen wir eben woanders hin“, vernahm ich als Folgendes.“ Das kann doch nicht wahr sein. Ich hör Stimmen. Angestrengt suchte ich den Wald mit meinen Augen ab. Tatsächlich sah ich etwas. Nur, das gibt es nicht. Ein paar Wildblumen liefen im Gänsemarsch an einer Lichtung entlang.
Ich fantasiere. Ich war so verwirrt, dass ich versuchte, sie zu rufen.
„Hallo ihr da!“ Tatsächlich blieben sie stehen.
„Meinte sie uns?“, hörte ich daraufhin.“
„Ja“, antwortete ich.“
„Was willst du? Wir haben von euch Menschen die Nase voll.“ Ich war nicht in der Lage, darauf zu antworten. Was sollte ich auch sagen. Ich rede doch nicht mit Blumen. Komischerweise hielten sie aber inne, als ob sie auf eine Reaktion von mir warteten. Irgendwas tuschelten sie.
„He, siehst aber nicht gut aus.“
„Ich bin ja auch vom Felsen gestürzt“, rief ich trotzig.“
„Und was sitzt du da noch herum? Geh nach Hause, oder willst du uns etwa auch beleidigen?“
„Warum sollte ich? Nur ich kann nicht aufstehen. Mein Bein ist verletzt.“ Wieder dachte ich daran, dass sich von den Jungs keiner für mich bisher interessiert hat. Und die Tränen liefen. Die wandernden Blumen standen immer noch da. Dieselbe von vorhin, ich glaube es ist eine Kornblume, sagte zu mir: „Falls wir einen von deiner Art treffen, sagen wir Bescheid.“
„Oh, danke, das ist nett.“ So wie sie kamen, zogen sie auch weiter, im Gänsemarsch. So allein, ging es mir immer schlechter. Alles tat weh und ich fror. Anscheinend war ich eingeschlafen, denn ich wurde durch Rütteln und schütteln wieder wach.
„Isabel, Isa hörst du mich?“
Ja doch, dachte ich und machte mühsam meine Augen auf. Oh Gott, meine Eltern. Jetzt schimpft bestimmt meine Mutti. Doch nein.
„Isabel geht es dir gut?“ Mutti sah aus, als wenn sie geweint hat. Nur warum?
„Ich kann nicht aufstehen. Mein Bein tut so weh.“ Bloß gut, dass Vati so stark ist. Er nahm mich einfach auf die Arme und trug mich nach Hause zum Auto.
„Wir müssen dich im Krankenhaus untersuchen lassen.“ Ich bin doch schmutzig, dachte ich noch. Außer Kratzer, blaue Flecken hatte ich einen Beinbruch. Ist das blöd. Ich habe es überstanden, obwohl ich ewig nicht laufen konnte. Die Zeit verging und ich war kurz vor der Einschulung. Im Kindergarten hat jeder seine eigene Schultüte gebastelt. Basteln finde ich doof. Ich kann das nicht. Deswegen sah meine Zuckertüte auch komisch aus und klein war sie. Mutti hat vielleicht geschimpft.
„Schäm dich, hättest du dir nicht mehr Mühe geben können?“
Das war mir noch piepegal. In der Schule sah das dann anders aus. Alle hatten so schöne große Tüten. Am liebsten hätte ich meine versteckt. Doch nein, es ging nicht. Zum Glück ging es dann ab ins Klassenzimmer. Ich drängelte mich noch an welchen vorbei, um als Erste dort zu sein. An der Tür waren bunte Luftballons dran. Ich wurde von den anderen geschoben.
Kaum drin, flüchtete ich mich ganz nach hinten. Alle schnatterten noch durcheinander, bis unsere Lehrerin hereinkam. Stille. Dann hörte ich es. Ich konnte es nicht verstehen, aber ich hörte, was die Pflanzen in den Töpfen sagten: „Seht sie euch an, diese kleinen Menschenkinder. Ob sie wohl gut für uns sorgen werden? Wenn ich an das arme Usambaraveilchen vom letzten Jahr denke. Einfach verdurstet ist es.“
Ich bekam einen Schreck. Also habe ich es mir damals im Wald doch nicht eingebildet. Und was ist mit den anderen Kindern? Sie sahen nur zur Lehrerin. Gerade stellt sie sich vor. Klingenberg heißt sie. Aha. Auch sie sieht nicht so aus, als wenn sie irgendetwas hört. Bei mir steht ja auch ein Topf. Ich sah sie mir an. Keine Ahnung, wie sie heißt.
„Pst, pst, hörst du mich?“, flüsterte ich.“ Darauf kam ein leichtes Zucken. Die Blätter drehten sich in meine Richtung.
„Du redest mit mir?“ Kam als Antwort.
„Ja mit dir“, sagte ich nur.“
„Das gibt es doch nicht. Menschen verstehen uns nicht.“
„Ich hör dich aber doch“, flüsterte ich weiter.“ Anscheinend nicht leise genug.
„Das ist schön, dass du mich hören kannst“, sprach unsere Lehrerin. Auch die anderen sahen mich an.
„Wie war der Name?“
„Isa, Isabel“, stotterte ich.“
„Wenn du mich schlecht hörst, möchtest du vielleicht weiter vorne sitzen?“, fragte Frau Klingenberg.“
„Nein, nein es geht schon.“ Bestimmt habe ich einen roten Kopf. Beschämt senkte ich meine Augen. Und wen hatte ich dann im Blickfeld? Den Blumentopf. Natürlich. Die Blätter zeigten immer noch zu mir, doch sie, oder er, oder es, ich weiß es nicht, war still. Das war gut. Pass ich doch lieber auf, was unsere Lehrerin sagt. Irgendwie muss ich wohl einiges verpasst haben. Abermals sahen mich alle an.
„Isabel du sollst erzählen, was du am liebsten spielst.“
„Ja also. Im Wald bin ich gern. Klettern und so.“
„Na gut“, meinte Frau Klingenberg mit einem Seufzer.“ Dann war der Junge vor mir dran. Jens heißt er und natürlich spielt er gern Fußball, außerdem hat er zu Hause ein Terrarium mit zwei Schildkröten. Kurz vor Schluss der Stunde sagte unsere Lehrerin: „Es war schön, euch kennengelernt zu haben. Hat jemand noch Fragen?“ Was war sie erstaunt, dass ich mich meldete.
„Ja Isa, bitte sprich.“
„Ich wollte fragen, ob ich diese Pflanze mit nach Hause nehmen kann?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen sagte sie: „Nein, die bleiben im Klassenzimmer. Jeder Schüler kümmert sich um die, welche auf der Schulbank steht.“
„Und was ist in den Ferien? Dann ist niemand da und sie verdursten.“
„Darüber sprechen wir später“, antwortete Frau Klingenberg.“
„So, das war es für Heute. Morgen sehen wir uns um 7.45 hier wieder. Ich wünsche euch noch einen schönen Tag. Auf Wiedersehen Kinder.“
„Auf Wiedersehen Frau Klingenberg.“ Meine Pflanze reckte sich noch mehr in meine Richtung.
„Ich werde mich richtig um dich kümmern. Das verspreche ich“, flüsterte ich noch einmal.“
„Danke“, kam noch die Antwort.“
„Wie heißt du überhaupt?“
„Krill und ich bin ein Efeugewächs.“
„Ok Krill, bis Morgen. Tschüss.“ Ich war so aufgeregt. Wem konnte ich nur davon erzählen? Mutti. Sie wartete schon auf dem Schulhof. Schnell lief ich hin.
„Mutti, Mutti“, rief ich ihr entgegen, „ich habe etwas Tolles erlebt.“ Sie lächelte mich an.
„Prima, ich hätte nicht gedacht, das dir der Erste Tag so gefällt.“ Kaum waren wir ins Auto eingestiegen, plapperte ich los: „Stell dir vor, ich kann Pflanzen reden hören.“ Vollkommen irritiert blickte Mutti mich an.
„Was kannst du?“
„Ich verstehe die Blumen in unserem Klassenzimmer.“ Mutti fuhr erst mal an den Straßenrand und machte das Auto aus. Langsam drehte sie sich zu mir und meinte dann: „Bist du vielleicht krank? Hast du Fieber?“ Sie fühlte meine Stirn.
„Nein“, sagte sie kopfschüttelnd, „Blumen reden nicht. Pflanzen überhaupt gar nicht.“ Oh nein, Mutti glaubt mir nicht. Mit wem kann ich nur darüber reden? Mir fiel niemand ein. Traurig sah ich aus dem Fenster.
„Isa, was ist nur mit dir los?“
„Ach nichts, es war nur ein Spaß.“
„Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“
„Ja sicher, und es hat mir auch in der Schule gefallen.“ Das sagte ich nur, damit Mutti nicht mehr fragt. Zu Hause angekommen sah ich mir alle Pflanzen im Wohnzimmer genau an. Sie hatten mich sonst nie interessiert.
„Hallo? Hört ihr mich?“
„Aber ja doch“, antworteten gleich mehrere.“
„Warum habt ihr nie etwas gesagt“, wollte ich wissen.“
„Na ganz einfach. Immer wenn du hier warst, kamen Stimmen oder Geräusche aus diesem Kasten“, erklärte ein Kaktus.“ Stimmt, dachte ich. Ich bin selten im Wohnzimmer. Nur wenn ich Fernsehen schaue.
„Stimmt, du hast recht. Habt ihr euch denn schon mit anderen Menschen unterhalten?“
„Nein, noch nie. Wir wissen auch nicht, warum es bei dir klappt.“ So wie der Kaktus, als wenn er meine Gedanken erraten konnte.
„Ich kann es niemanden erzählen“, berichtete ich, „die denken sonst, ich spinne.“
„Das muss unser Geheimnis bleiben“, hob ich wieder an.“
„Isa“, rief Mutti, „mit wem redest du?“
„Mit niemanden. Hier ist doch keiner“, rief ich zurück.“ Zu all den schönen Pflanzen sagte ich: „Ich werde nun öfter nach euch sehen, ja?“
„Das ist schön, bis zum nächsten Mal.“ Ich ging zu Mutti.
„Kann ich draußen spielen gehen?“
„Nach dem Essen. Deck schon mal den Tisch.“ Das Essen ging anschließend so schnell bei mir, dass Mutti sich wunderte.
„Hast du aber Hunger.“
„In der Schule war es so aufregend, dass ich die ganze Zeit nicht gegessen habe“, gab ich als Grund an.“
„Das ist ein Argument.“
Natürlich wollte ich aber nur rasch hinaus. Der letzte Bissen war im Mund und ich stand auf.
„Ich geh dann mal. Tschüss Mutti.“
„Pass auf dich auf Isa. Nicht, das du dir wieder etwas brichst.“
„Ach, mir passiert schon nichts.“ Dann ging ich. Auf dem Weg zum Wald, hörte ich Getuschel, aber ich lief schnell weiter am Feld vorbei, wo Roggen gewachsen war. Kaum hatte ich den Rand erreicht, da vernahm ich den Ruf: „He du, dich kenn ich doch!“ Suchend blickte ich mich um. Eine Kornblume stand zwei Meter entfernt und wackelte aufgeregt mit ihrer Blüte.
„Sag bloß, dass du zu den Blumen gehörst, die damals am Waldrand gelaufen sind?“, fragte ich voller Staunen.“ Sie strahlte mich an.
„Du kennst mich wieder?“
„Wie geht es dir. Und weißt du, wo die anderen sind?“, wollte ich wissen.“
„Mir geht es gut. Hier konnte ich wieder Wurzeln fassen. Niemand tut mir was, noch wurde ich als Unkraut bezeichnet. Die anderen sind allerdings weitergezogen. Vielleicht entdeckst du ja jemanden.“
Ich glaubte zu wissen, dass sie mich groß anschaut, obwohl ich keine Augen sah.
„Ach noch eins kleines Mädchen. Wir wollten dir doch Hilfe schicken. Weißt du das noch?“ Ich nickte. Erneut dachte ich daran, wie einsam ich dort saß und nicht aufstehen konnte.
„Wir wollten dir wirklich helfen, nur wir sind niemanden begegnet. Du bist nicht böse auf uns, nein?“
„Nein bin ich nicht. Ich wollte sowieso nicht glauben, das ich mit euch gesprochen hab. Dass es vielleicht nur Einbildung von mir war, wegen der Schmerzen. Später hatte ich es einfach vergessen. Ich gehe jetzt erst einmal weiter zum Wald. Nachher komme ich wieder vorbei. Dann können wir uns noch etwas unterhalten. Tschüss bis später.“ Ich war erschüttert. Was ist mit mir los? Ich ging zu einer großen alten Eiche. Dort setzte ich mich ins Moos.
„Guten Tag Eiche.“
„Wer redet mit mir“, kam knorzend die Antwort.“
„Darf ich mich vorstellen?“, fragte ich artig, stand wieder auf und verbeugte mich.“ „Ich heiße Isabel, kurz Isa genannt. Sechs Jahre bin ich alt und wohne am Stadtrand nicht weit von hier.“
„Sechs Jahre, was für ein Alter. Ich erlebe schon den einhundertachtundneunzigsten Sommer. Doch sprich, wie oder warum redest du mit mir? Noch nie habe ich dergleichen erlebt.“
„Ja das wollte ich von dir wissen. Ich kenne keinen, der mit Pflanzen reden kann.“ Stille. Die Minuten vergingen. Langsam wurde ich ungeduldig.
„Hallo?“
„Ähm ja, ich grübele schon, nur mir fällt nichts ein. Frag doch einfach einen von den Ältesten.“
„Und wo finde ich einen?“, wollte ich wissen.“
„Das ist leicht. Nicht weit von hier ist ein Hügel. Dort steht einer, der ist schon dreihundert Jahre alt. Ich kann ihn von hier sogar sehen.“
„Vielen Dank, du guter Baum. Wir sehen uns bestimmt wieder.“ Damit ging ich weiter. Ein Hügel, wo ist hier ein Hügel? Am besten ich frage jemanden, dachte ich, nachdem ich schon ein ganzes Stück gelaufen war. Eine schlanke hohe Birke schien mir am geeignetsten.
„Guten Tag Birke kannst du mir sagen, wo der Hügel mit der dreihundert Jahre alten Eiche ist?“ Die Birke reagierte genauso überrascht, wie die Eiche zuvor.
„Welch ein Ereignis. Ein Menschenkind spricht mich an. Aber natürlich weiß ich, wo der Hügel ist. Der Sonnenseite gegenüber. Siehst du ihn?“ Ich sah in die Richtung und na klar, jetzt konnte ich ihn sehen.
„Ich danke dir Birke.“
„Oh bitte. Gern geschehen.“ Abseits vom Weg lief es sich nicht mehr so schnell. Hohes Gras, das von Moos durchsetzt wurde, war ringsumher zu sehen. Oh, ist das mühselig. Noch schlimmer wurde es kurz vor dem Hügel. Busch an Busch reite sich aneinander. Fast wollte ich aufgeben, so unendlich schwer wurde das Laufen. Nur bringt es etwas? Nein, ich will doch wissen, was mit mir los ist. Also weiter. Nach einer Weile hatte ich es geschafft.
„Uff.“
Die Eiche war so dick, dass ich viele Schritte machen musste, ehe ich sie umlaufen hatte.
„Eiche kannst du mich hören?“, rief ich laut, weil sie riesig war und alt auch.“
„Du brauchst nicht zu schreien. Ich verstehe dich sehr gut. Schön, dass du hergefunden hast. Mein guter Freund Untos hatte mir bereits Bescheid gegeben.“
„Untos? Wer ist das?“, wollte ich wissen.“
„Das ist mein Freund. Du hast schon mit ihm gesprochen. Nun zu dir. Das ist eine unglaubliche Gabe, die du besitzt. Ich selbst konnte mich auch noch nie mit Menschen unterhalten. Doch mir wurde so etwas überliefert. Alle fünfhundert Jahre wird ein Kind geboren, welches mit dieser Magie ausgestattet ist. Noch bist du ein kleines Kind, aber versuche jetzt schon uns zu verstehen. Vielleicht kannst du sogar dem einen oder anderen helfen.“ Das hatte ich nicht erwartet.
„Soll ich auf den Wald etwa aufpassen?“, fragte ich.“
„Aber nein. Lerne uns einfach nur kennen.“
„Ich kann mit niemanden darüber reden. Die würden mich auslachen. Wenn mich jemand hört, was soll ich dann sagen?“
„Ja das ist schwierig. Versuche es geheim zu halten. Schau dich um ob dir jemand folgt.“
„Also du willst mir etwas beibringen? Ich dachte wir lernen alles in der Schule. So etwas steht doch in Büchern.“
„Tatsächlich? Früher durften nur einige wenige lesen. Gelehrte und reiche Menschen.“ Nachdenklich wiegte die Eiche ihre Äste und Zweige sanft hin und her.
„Schade, nun brauche ich dir nichts mehr erzählen. Oh je, Traurigkeit überfällt mich. Wie sehr hatte ich mich gefreut über dich.“
„Nicht traurig sein bitte. Berichte mir doch. So klein, wie ich bin, weiß ich nur weniges. Wir erzählen uns gegenseitig alles. Einverstanden?“
„Wirklich? Du meinst es ernst?“, fragte dieser riesige Baum.“
„Ja klar, nur jetzt muss ich nach Hause. Morgen komme ich wieder. Hast du eigentlich einen Namen?“
„Sicher, ich heiße Antill.“
„Ihr habt echt merkwürdige Namen, doch das macht nichts. Also tschüß bis morgen.“ Über eine Wurzel stolpernd machte ich mich auf den Weg. Sanfte flüsternde Stimmen begleiteten mich. Zweige machten Platz und ein Sonnenstrahl erwärmte mich den ganzen Weg lang. Am Feldrand machte ich noch einmal halt und bückte mich zu meiner neuen Freundin die Kornblume.
„Ich habe mit Antill gesprochen“, flüsterte ich.“
„Was? Mit diesem weisen alten Baum?“ Voller Freude nickte ich.
„Das war toll. Jetzt muss ich aber nach Hause. Morgen komme ich wieder. Also tschüß, bis dann.“ Am nächsten Tag konnte ich es kaum abwarten, in die Schule zu kommen. Ich drängelte mich an den Mitschülern vorbei, setzte mich an meine Bank und plapperte sofort los.
„Guten Morgen Efeu.“
„Mit wem redest du denn“, fragte ein Junge und zeigte mir einen Vogel.“ Ich streckte meine Zunge heraus und meinte nur: „Du fantasierst ganz schön. Ich reden? Wer weiß, was du gehört hast.“ Zum Glück konnte ich in einer Pause meinem Efeu berichten. Der war beeindruckt. Er erzählte mir, dass er noch nie in einem Wald gewesen war. Nur dies ist verständlich als Zimmerpflanze. Zum Schluss gab ich ihm etwas zum trinken.
„Wir haben auch Durst“, meldeten sich andere.“ Ich sah mich um.
„Hier drüben auf der Fensterbank.“ Ja klar, dachte ich. Sie bekommen die meiste Sonne ab. Ich griff nochmals zur Gießkanne. In dem Moment kam Frau Klingenberg ins Klassenzimmer.
„Du bist noch da? Möchtest du nicht nach Hause Isabel?“
„Doch, ich wollte den Blumen etwas Wasser geben. Sie sind durstig.“ Ich ging zum Fenster. Meine Lehrerin folgte mir und befühlte die Erde in den Töpfen.
„Tatsächlich.“ Bewundernd sah sie mich an.
„Wenn du willst, dann teile ich dich von nun an dafür ein. Würde dir das Spaß machen?“ Ich freute mich so sehr, das ich nur nicken konnte.
„Prima, sagte sie.“
„Ich vermerke mir das im Klassenbuch.“ Sie drehte sich schon um, dann fiel ihr aber noch etwas ein.
„Allerdings müsstest du dann etwas früher in der Schule sein, denn in den Pausen solltest du mit raus auf den Schulhof.“
„Das macht nichts. Ich liebe Pflanzen." Ich fing an zu gießen und jeder sagte mir, wann er genug Wasser hatte. Irgendwann am Nachmittag, mir kam die Zeit endlos vor, konnte ich spielen gehen.
„Ich geh wiederum in den Wald.“
„Allein?“ Mutti sah mich merkwürdig an.“
„Ja, ich will Vögel und so beobachten.“ Tatsächlich griff ich nach einem Fernglas. Mutti war immer noch misstrauisch, sagte darauf aber nichts. Ich gab ihr noch einen Kuss und ging. Ein paar Meter weiter: „Hallo geliebte kleine Kornblume.“ Dann noch weiter: „Hallo Untos.“
Ein Rauschen kam als Antwort. Andere wiederum fragten mich: „Gehst du wieder zum Antill?“
„Ja“, rief ich laut.“ Zweige machten mir Platz. Sogar die Büsche öffneten sich einen Spalt, gerade ausreichend für mich. Sehr viel schneller kam ich heute an der Eiche an. Sie begrüßte mich sofort.
„Ich freue mich Isabel. Du bist wirklich gekommen.“
„Das hatte ich doch versprochen und an Versprechen hält man sich.“ Ich setzte mich auf einen umgefallenen Baumstamm.
„Was hast du heute erlebt Isabel?“
„In der Schule fangen wir mit Buchstaben an. Heute mit dem A. Ich habe es auch schon geschrieben. Außerdem hat unsere Lehrerin viel von dieser Stadt erzählt. Wie es früher war. Stell die vor, es gab sogar mal einen Ritter. Der war ziemlich böse. Er hat viele ausgeraubt, darum war er ein Raubritter. Irgendwann wurde er jedoch besiegt und von hier vertrieben. Bloß gut.“
„Den kenne ich. Ich war noch ziemlich klein. Es muss ewig her sein. Wie oft habe ich ihn gesehen. Furchtbar. Fast hätte sein Pferd mich zertrampelt. Aber dann. Viele Menschen hatten ihn und seine Kumpane gejagt, eingekreißt und dann gefangen. Ohne Hab und Gut mussten sie das Land verlassen. Vieles davon ist in diesen Wäldern passiert.“
„Das glaube ich jetzt nicht. Du kanntest ihn?“
„Na ja, ich war noch ein Schössling. Vielleicht ein oder zwei Jahre alt.“ Verlegenheit machte sich breit.
„Ich finde es toll“, rief ich, „du musst schon viel gesehen haben.“ Eine ganze Weile saß ich einfach so im Gras. Ist das nicht ungeheuerlich, was Antill erzählt? Meine Gedanken gingen kreuz und quer im Kopf umher. Auf einmal bekam ich einen Schreck. Ich muss nach Hause. Wer weiß wie viel Zeit schon vergangen ist.
„Lieber Antill für heute muss ich gehen, obwohl es mir so viel Spaß macht mit dir zu reden.“
„Das macht nichts. Wie oft können wir noch reden. Jahre über Jahre. Also Lebwohl für heute liebe Isa.“ Wie vornehm er redet.
„Ich danke dir Antill. Lebe auch wohl, auf das dir nichts passiert.“
„Keine Bange Isabel“, lachte er.“ Kurz winkte ich, dann lief ich eiligst nach Hause. Mit meiner kleinen Kornblume konnte ich leider nicht mehr reden. Die Sonne ging fast unter. Oh je, meine Mutti empfing mich mit einem Donnerwetter. Ich hatte Glück, Vati beschwichtigte sie. Die Zeit verging. Es war Herbst geworden. Ein lustiger Wind zog übers Land. Nur selten kam ich in den Wald. Jeden Tag waren Hausaufgaben angesagt. Schule ist doch sehr beschwerlich. Doch wann immer es ging, besuchte ich meine Freunde. Einmal, ich ließ gerade Drachen steigen mit ein paar Jungs, geschah etwas Wunderbares. Mein schöner bunter Drache hatte sich unwiederbringlich in Zweigen verfangen, doch hast du nicht gesehen, war er frei. Die Jungs standen mit großen Augen und offenem Mund.
„Was war das denn? Wie geht das?“ Peter hatte seine Sprache wieder gefunden. Ich tat unschuldig.
„Was denn?“
„Dein, dein Drache war doch total verheddert“, stotterte Peter.“
„Ach Quatsch, es ging ganz einfach. Nur ein wenig ziehen musste ich.“ Hoffentlich geben sie nun Ruhe. Noch schauten alle ungläubig, doch schon bald spielten wir weiter, als wäre nichts geschehen. Tage und Wochen vergingen. Ich lief so oft es ging in den Wald. Mit vielen Bäumen machte ich Bekanntschaft. Ob groß oder klein, sie wurden meine Freunde. Antill erzählte mir unzählig Interessantes. Fast wäre er mal gefällt worden, weil eine kleine Eiszeit herrschte. Tiere und Menschen erfroren. Die Hälfte dieses Waldes wurde abgeholzt, damit geheizt werden konnte. Dies waren schlimme Jahre. Nur gut, dass es schon lange her ist. Viel furchtbarer fand ich, das Antill mit der Zeit stetig schwächer wurde. Oft machte er Pausen während seiner Erzählungen.
„Antill was ist mit dir“, wollte ich wissen.“ Ich mochte meine Sorge nicht verbergen.
„Ach liebste Freundin, was soll ich sagen. Der Winter ist im Anzug. Dann schlafe ich viele Wochen lang, bis mich der Frühling weckt.“
„Ich kann mich mit dir nicht mehr unterhalten.“ Ich war entsetzt. Antill wollte mich trösten: „Du wirst sehen Isabel, die Zeit vergeht wie im Flug.“ Die Traurigkeit wich trotzdem nicht von mir. Ich war schon auf dem nach Hause Weg, als mir die kleine Kornblume einfiel. Schnell lief ich zu ihr. Ihr Anblick war furchtbar. Keine Blüte war zu erkennen und die Blätter verwelkten.
„Wie geht es dir?“, fragte ich vorsichtig.“ Die Antwort konnte ich gerade noch verstehen, so leise sprach sie: „Ach Isa, du bist es. Ich war bereits am einschlafen.“
„Sehen wir uns im Frühjahr wieder?“
„Aber sicher“, gab sie mir zur Antwort.“
„Da bin ich froh. Schlafe nur ruhig. Ich komme wieder. Lebewohl bis dahin. Tschüss.“ Eine Woche später besuchte ich nochmals meine Freunde. Sämtliche Blätter hatten sie bereits abgeworfen. Kaum einer konnte noch reden, auch Antill und Untos nicht. Ich umarmte beide, worauf ich ein leises Zittern bei ihnen verspürte. Ob sie noch etwas verspüren? Ich weiß es nicht.
„Auf Wiedersehen ihr Pflanzen“, rief ich laut, während ich mich auf den Weg nach Hause machte.“ Immer und immer wieder wünschte ich allen nur das Beste. Ab und zu kam ein leises „Danke“ zurück. Dann war Stille. Am Waldesrand bekam ich eine Windböe ab und trockene Blätter raschelten. Kaum war ich daheim angelangt, ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich in einen Sessel. Ich sah all die herrlichen Pflanzen im Zimmer an und eine Träne lief mir die Wange hinab.
„Warum weinst du?“, fragte unsere Begonie.“ Ich schluchzte auf.
„Ach wisst ihr, im Wald ist nun Winterschlaf. Ich kann mit niemandem reden.“ Unglücklich sah ich mich um. Alle nickten verständnisvoll. Dann kam Mutti und ich lief zu ihr in die Küche. Sie blickte mich forschend an.
„Ist etwas nicht in Ordnung Isabel?“
„Ach es geht schon. Es ist nichts.“
„Sag mal Mutti, kann es passieren, dass Bäume im Winter erfrieren?“
„Normalerweise nicht, nur wenn sie krank sind. Warum fragst du?“ Ich wurde verlegen.
„Na ja, es wäre doch schade um alle.“
„Da brauchst du keinerlei Angst zu haben.“ Es ließ mir keine Ruhe. Immer wieder streifte ich durch den Wald. Still lag er da. Ab und zu hörte ich das Gekrächze einer Krähe. Es ging auf Weihnachten zu und der erste Schnee rieselte auf die Erde herab. Bei einer meiner unzähligen Kontrollen, bemerkte ich plötzlich farbige Markierungen an einigen Bäumen. Was ist hier los? Wer hat das gemacht? Schnell lief ich zu meiner Mutter. Sie kochte soeben das Mittagessen.
„Mutti, warum werden an manchen Bäumen Striche rangemacht?“
„Striche? Welche Striche?“
„Na rote oder blaue. Linien eben.“
„Jetzt fällt es mir ein. Die werden ausgewählt und gefällt.“
„Aber warum denn das?“ Ich konnte es nicht fassen.
„Im Allgemeinen sind sie krank, oder das Unterholz ist zu dicht. Dann muss es ausgelichtet werden, damit die Übrigen ordentlich wachsen können.“
Das verstand selbst ich. Es folgte ein Tag auf den anderen. Zum letzten Mal vor Weihnachten war Schule. Voller Sorge dachte ich an die Pflanzen im Klassenraum. Sie war zum Glück unberechtigt. Unsere Lehrerin trug jedem auf, einen Topf mit nach Hause zu nehmen und ihn dort zu gießen.
Weihnachten war prima für mich. Es gab leckeres Essen und tolle Spiele machten wir. Nur danach war es so langweilig. Der Schnee war längst schon fort. Missmutig hockte ich in der Wohnung herum. Auf irgendeine Weise verging die Zeit. Schule fing an und schon bald regte sich der Frühling. Ich hatte meine lebhaften Gespräche wieder. Eines Tages sprachen mich meine Freunde, die Jungs an.
„Isa hast du nicht Lust wieder in den Wald zu gehen?“
„Ja klar. Was wollen wir spielen?“
„Wir hatten auch schon überlegt. Was hältst du von Räuber und Gendarm?“
„Das macht mir auch Spaß. Wann gehen wir denn? Mir wäre es am Sonnabend am liebsten.“
Das wurde amüsant. Isabel war als erste Räuber und natürlich war sie prima versteckt. Umgekehrt hatte jeweils ein Freund von ihr keine Chance, nicht gefunden zu werden. Alle tollten fröhlich im Wald, lachten und liefen hin und her. Auf einmal wurden sie still.
„Jungs was ist los?“ Isabel kam mit rotem Kopf angelaufen. Nein, das kann nicht sein, nicht Untos. Sie stolperte zu den Resten des Baumes und umarmte ihn. Er war vom Blitz erschlagen. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Welch ein Jammer. Auch ihre Freunde waren betroffen.
Auf einmal spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und sah Peter hinter mir stehen.
„Lass uns gehen Isa. Es ist besser. Wir können nichts mehr für ihn tun, außer dem Förster Bescheid zu sagen.“ Wortlos zogen sie von dannen. Zuhause angekommen, wurde der Waldhüter angerufen.
„Ach tatsächlich? Das muss beim letzten großen Gewitter passiert sein. Kann mir jemand die Stelle zeigen?“
„Ja meine Tochter Isabel“, antwortete Mutti.“
„Na prima. In einer halben Stunde werde ich bei ihnen sein. Auf wieder hören.“ Kaum war er da, lief ich mit ihm zum Wald. Unterwegs unterhielten wir uns. Zuerst verriet er seinen Namen: Oskar. Ich kicherte vor mir hin.
„Findest du ihn lustig?“, fragte er.“
„Ja“, erwiderte ich frei heraus und strahlte ihn an.“ Oskar erzählte mir dann von seiner Familie. Dass seine Frau Manuela zu Hause ist, weil sie gerade ein Baby bekommen hat. Einen Jungen mit dem Namen Alexander. Dann waren wir auch schon am Baum angelangt. Traurig sah ich ihn wieder an.
„Isabell, was ist mit dir? Du mochtest diese Eiche?“ Ich nickte mit dem Kopf.
„Sei nicht bedrückt Isa, er hat bestimmt im Laufe der vielen Jahre unzählige kleine Eichen hinterlassen. Von diesen wird der eine oder andere auch wieder groß.“ Ich sah Oskar zweifelnd an.
„Meinst du wirklich?“
„Ich bin überzeugt davon“, sprach er daraufhin.“ Nachdem Oskar sich alles angesehen hatte, wandte er sich zu mir: „Wir können das so liegen lassen. Nichts kann wegrutschen. Es besteht keine Gefahr. Dafür können sich Insekten am Baum ansiedeln, oder kleine Mäuse. Es werden sich Bewohner finden. Das war es Isa. Vielleicht sehen wir uns später noch einmal. Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Vielen Dank für den Anruf. Auf Wiedersehen.“

Die Jahre vergingen. Ich streifte immer weiter durch diesen Wald. Oft nahm ich Freunde mit, denen ich dieses und jenes erzählte. Ich glaube, manchmal war Susanne neidisch, weil ich so viel wusste. In der Schule ist es umgekehrt. Trotz allem ist Susanne meine Freundin. Nun bin ich erwachsen und studiere Botanik, Pflanzenkunde. Einmal konnte ich Amerika besuchen. Ich durchstreifte mit meinem Freund Paulo einen Urwald im tiefsten Brasilien.
Plötzlich zieht er mich am Arm zur Seite.
„Du musst aufpassen Isabel“, sprach Paulo und deutete in das Blättergewirr.“ Ich sah zunächst gar nichts. Doch dann bewegte sich etwas. Eine riesige fette Schlange. Mein Herz schlug bis zum Hals. Nur langsam drangen wir weiter vor. Von unzähligen Moskitos zerbissen erreichten wir nach einem weiteren Tag ein Dorf der Ureinwohner, Indios genannt. Um einen großen freien Platz standen Hütten. Die Indios umringten uns und sprachen aufgeregt miteinander. Ich verstand zwar kein Wort, da ich deren Sprache nicht beherrschte, doch mein Begleiter übersetzte für mich die Worte, die für mich wie Kauderwelsch klang. Auf einmal wurde es still und es bildete sich eine Gasse. Ein eindrucksvoll bemalter Mann schritt auf uns zu. Es war der Häuptling. Wir erwiesen dem alten Mann die Ehre, in dem wir uns verneigten. Anschließend wurden wir in einen großen Raum geleitet, der augenscheinlich für Versammlungen diente. Ein erfrischendes Getränk wurde uns gereicht. Dann fing Paulo an zu sprechen. Alle hörten gespannt zu, bis ein Raunen den Raum erfüllte. Die Blicke der Anwesenden richteten sich auf mich. Der Häuptling sagte etwas Unverständliches zu mir. Nicht verstehend, blickte ich zu meinem Freund.
„Er fragt dich, ob es stimmt, dass du mit Pflanzen sprichst und sie verstehst.“
„Ja sicher“, antwortete ich und nickte heftig.“ Ein Tumult setzte ein. Fast fürchtete ich mich, doch dann führten sie uns in eine andere Hütte. Der Häuptling war bereits dort und ein sehr alter Mann. Es stellte sich heraus, dass es der Medizinmann war. Angeregt unterhielten sich die beiden Indios mit meinem Freund. Ich war erschöpft, sodass ich vor Ort in unruhigen Schlummer fiel. Irgendwann rüttelte mich eine Frau wach und brachte mich zu einer Schlafstätte. Die erwachende Sonne weckte mich mit ihren wärmenden Strahlen, als ich nach wirren Träumen zu mir kam. Schweißgebadet und leicht zitternd setzte ich mich auf.
Nach dem Studium als Botaniker hatte ich wirklich gedacht, gut vorbereitet zu sein für diese Expedition. Doch um wie viel anders ist ein Urwald in Südamerika. Kein Weg, kein Pfad führte zu diesem Dorf und die Laute der Tiere verfolgten mich bis in den Schlaf. Der Schamane ließ mich über meinen Freund wissen, dass sehr viele Bäume von weißen und einheimischen Männern gefällt wurden. Natürlich wußte ich, dass seit unzähligen Jahren Raubbau in den Regenwäldern betrieben wurde. Der Regenwald ist für unser Wetter auf der Erde wichtig. Er erzeugt Sauerstoff und hält das Klima in Gleichgewicht. Außerdem ist er Heimat von vielen Tierarten, von denen allerdings schon etliche vom aussterben bedroht sind. Wir machten uns wieder auf den Weg. Packten unsere Habseligkeiten zusammen. Einige Kilometer weiter sollte es einen jener Mammutbäume geben, die ebenfalls bedroht waren. Ihn wollten wir aufsuchen. Vielleicht konnte ich ja mit ihm reden. Nur mühsam konnten wir uns einen Weg durch den dicht bewachsenen Urwald bahnen. Schließlich standen wir vor ihm.
Mein Gott, dachte ich, er hat seinen Namen wahrlich verdient.
„Sind sie nicht fantastisch?“, freute sich Paulo und sah mich strahlend an, „es ist traurig, dass es von ihnen immer weniger gibt.“ Ich versuchte ihn zu umrunden, was mir allerdings nur schwerlich gelang. Schließlich lehnte ich mich schwitzend an einer seiner Wurzeln und streichelte ihn.
„Hallo Baum, wie geht es dir?“ Erst dachte ich, er hätte mich nicht verstanden, aber dann vernahm ich eine leise und tiefe Stimme.
„Hallo Isabel, ich habe bereits von dir gehört. Ich freue mich, dich kennenzulernen.“ Erstaunt blickte ich auf.
„Du kennst mich?“, fragte ich verwundert, „wie ist das möglich?“ Ich versuchte seine Krone ausfindig zu machen. Aber in dem ihn umgebenden Blättergewirr war dies fast unmöglich. „Seit Jahren schon vernahmen wir, dass es auf dieser Erde einen Menschen gibt, der mit Pflanzen sprechen kann. Wir hofften, dass dein Weg eines Tages zu uns führen würde.“ Ein Schauer des nicht Begreifens kroch über meinen Rücken.
„Alle Gewächse auf dieser Erde leben in Lebensgemeinschaften verschiedener Arten zum gegenseitigen Nutzen miteinander. Ihr Menschen denkt, wir haben nichts miteinander zu tun, das ist nicht richtig. Unsere Wurzeln haben tief in der Erde Kontakt untereinander und so verbreiten sich Nachrichten recht schnell. So haben wir auch von dir erfahren.“
Der Urwaldriese verstummte. Ich musste das gehörte erst einmal sacken lassen. Ich berichtete meinem Freund, was der Baum mir erzählt hatte.
„Erstaunlich, wirklich erstaunlich“, sagte Paulo und blickte mit erwachendem Interesse auf meinen Gesprächspartner.“
„Wie ist dein Name?“, wollte ich wissen.“
„Cotatam, so nennt man mich in diesem Gebiet. Es bedeutet in der Sprache der Menschen: der Weise. Ich lebe bereits über eintausendfünfhundert Jahre an diesem Ort.
„Wow“, entfuhr es mir.“ Das war in der Tat alt.
„Wie groß bist du, Cotatam?“
„Ich bin fast achtzig Meter hoch und überschaue die Kronen meiner Kollegen. Aber das was ich sehe, stimmt mich traurig.“
„Was bewegt dich mein Freund?“, fragte ich, obwohl ich ahnte, dass das was er mir sagen würde, nicht zu den Dingen zählte, die mir als Biologin gefielen.“
„Wir sterben. Viele von uns wurden von den Menschen getötet. Wenn das so weitergeht, wird in wenigen Jahren niemand von uns mehr da sein.“ Es stimmte. Traurigkeit überfiel mich. Aber was konnte ich tun?
„Helfe uns. Wenn nicht du, wer sonst könnte es?“ Seine Worte kamen brüchig über seine nicht vorhandenen Lippen. Ich verstand ihn nur zu gut. Natürlich würde ich versuchen mit den zuständigen Behörden zu reden. Sie aufmerksam zu machen, das wenn alle Bäume stürben, auch der Mensch eines Tages darunter zu leiden hatte. Paulo sah mich fragend an. Kurz erzählte ich ihm was Cotatam mir berichtet hatte. Er seufzte.
„Das wird ein schwieriges Unterfangen, meine Liebe. Aber natürlich werde ich tun, was in meiner Macht steht. Womöglich gibt es ja einsichtige Menschen, denen das Baumsterben ebenso gegen den Strich geht wie uns.“
Schließlich verabschiedeten wir uns von Cotatam einem der wenigen Mammutbäume, die es in diesem Gebiet noch gab. Wir beschlossen, uns mit den Umweltorganisationen zusammen zutun und all unseren Freunden auf der Welt, die wir beruflich bedingt besaßen, über das Unheil zu berichten. Wir konnten nur hoffen, dass es genügend Erdenbürger geben würde, deren Ziel es nicht war, nur des Geldes wegen die Bäume abzuholzen, sondern erkannten, das alle Pflanzen auf dieser Welt lebenswichtig waren. Nicht nur für uns Menschen, sondern auch für die auf ihr lebenden Tiere.







Wanderin

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Kommentare (6)

floravonbistram hören und sehen...wer mit offenem Herzen lebt verliert von Zeit zu Zeit den Schleier des Verstandes. So kann es geschehen, dass nicht nur die innere Stimme mit uns spricht.

Was geschieht nur mit diesem Geschenk Welt, wenn nur noch der Verstand, gewinnorientiert und dadurch sehr kurzsichtig, regiert?

Sehr, sehr gerne gelesen
LG Flo
indeed die ich trotzdem gerne gelesen habe. Samti als auch Syrdal haben schon alles gesagt und ich schließe mich ihnen an.
Mit lieben Gruß
indeed
ehemaliges Mitglied eine etwas merkwürdige geschichte. aber fantasieanregend.
würde gern in garten mit meinem gemuese reden können. dann hätte ich wohl die größesten salate usw. lach.
lieben gruss
helmut
finchen man kann Dir nur Danke sagen.
Jedenfalls lieben Dank dafür und herzliche Blättergrüße
das Moni-Finchen
Syrdal
insbesondere um das Verstehen der Lebewesen untereinander, könnte man lange philosophieren, aber letztlich würde es allgemein wohl so ausgehen, wie es der kleinen Isabel ging: niemand würde es verstehen, denn den Menschen fehlt ganz einfach die Feinsinnigkeit, die Sprache der Pflanzen und auch der Tiere verstehen zu können. Dabei ist längst bekannt, dass Pflanzen sehr wohl reagieren, wenn man mit ihnen spricht und sie auch sanft berührt. Selbst auf Musik reagieren sie...

Freilich ist das, was Antill geschah, eine Normalität im Lebenskreislauf, aber das, was Cotami zu berichten weiß, ist der Gier des Menschen gestundet. Jeder Appell wird da leider auf taube Ohren treffen.

Die Geschichte jedoch ist hübsch, sie regt an zum Nachdenken und hat im Hintergrund doch etwas von "heiler Welt", von der wie ja insgeheim doch alle irgendwie träumen...

Ich habe sie gerne gelesen - danke sagt
Syrdal

samti du hast mich bis zum Schluss fesseln können.
Zuerst eine nette Kindergeschichte, aber so einfühlsam, dass mich die Länge nicht störte. Im Gegenteil. Ich wartete mit Isa auf den nächsten Tag.
Langsam beginnt dann der ernste Teil deiner Erzählung. Und sie ist traurige Wahrheit. Die Gier der Erwachsenen stimmt ernst und traurig. Vielleicht sollten wir mehr von den Kindern lernen um zu verstehen.
Danke für diesen schönen Beitrag von dir, den hoffentlich noch viele lesen.
Lieben Gruß. Samti

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