Forum Allgemeine Themen Aktuelle Themen Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?

Aktuelle Themen Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?

loretta
loretta
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von loretta
Im Jahr 1989, als meine Zwillinge eingeschult wurden, sollte an deren Grundschule der erste Versuch einer Integrationsklasse in Berlin gestartet werden.

Alle Eltern dieser Klasse, also auch wir, wurden vorher um ihre Meinung, aber auch um ihr Einverständnis gebeten. Alle Eltern vertraten ohne Ausnahme die Ansicht, dass dies eine gute Sache mit Zukunft sei und willigten ein.

Diese beiden Kinder waren sprachbehindert, nicht aber geistig behindert. Die Kopfzahl der Klasse war daher mit insgesamt 16 Kindern sehr niedrig und wurde jeweils von 2 Lehrkräften gleichzeitig unterrichtet, wovon eine die Logopädin war.

Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass nicht nur die beiden sprachbehinderten Kinder davon profitierten, sondern alle anderen Kinder in dieser Klasse auch. Am Ende der 6. Klasse war den Beiden ihre Sprachbehinderung so gut wie nicht mehr anzumerken und sie gehörten mit zu den besten Schülern.

Ich glaube nicht, dass die Beiden in einer Sonderschule diese Leistungen erbracht hätten.

Eine gute Sache also.

loretta

Ich bitte um Entschuldigung, dass es hier nicht um geistig, sondern körperlich behinderte Kinder ging. Trotzdem erwähnenswert und eine gutes Beispiel, wie ich finde.
clara
clara
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von clara
als Antwort auf loretta vom 01.12.2010, 16:31:00
Loretta, Kinder mit Sprachbehinderung oder auch Lese-Rechtschreibschwäche (Legasthenie) besuchen heute großenteils alle Schularten, auch das Gymnasium. Voraussetzung für einen Erfolg ist allerdings eine frühe Behandlung durch geschulte Lehrkräfte oder Logopäden, was auch außerschulisch angeboten wird.
In meiner Region wurden auch vor ca. 20 Jahren die ersten Integrationsklassen an Grundschulen eingeführt, die dann an Haupt-und Realschulen weiter gereicht wurden. Zunächst gab es großen Widerstand hauptsächlich seitens der Eltern "normaler" Kinder, erst eine Elterninitiative konnte diese I-Klassen durchsetzen, mit Erfolg.

Was Du über den sozialen Aspekt sagst, ist wohl das wichtigste Argument der Befürworter. Im normalen Alltag leben ja auch die unterschiedlichsten Menschen zusammen.
Ich finde nur, so lange wir das dreigliedrige Schulsystem haben, wird es für geistig behinderte Schüler aus den schon genannten Gründen schwer bis unmöglich sein, ein Gymnasium erfolgreich zu besuchen.

Clara
Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf clara vom 01.12.2010, 16:53:29
ohne Differenzierung ist auf diesem Gebiet nichts möglich.

Ja, ein Lehrer auf 8 Schüler ist natürlich günstig. Davon profitieren natürlich nicht nur Kinder, die vom Sprechen her Probleme haben, sondern alle.

Anzeige

Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 01.12.2010, 17:10:39
Und natürlich ist die Gliederung des Schulsystems, so wie es in deutschsprechenden Ländern üblich ist, das Haupthindernis. High-school mit Kurssystem a la USA eignet sich aber dafür ausgezeichnet.

ingo
ingo
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von ingo
als Antwort auf lalelu vom 01.12.2010, 09:40:11
Wenn irgendwann das Wort "schwachsinnig" seine Bedeutung hatte, dann hier; bezogen allerdings auf die Ideengeber. Ich habe eine 16-jährige Tochter, die den besten Realschulabschluss ihre Jahrgangs erreicht hat. Die Klasse war schon das, was neuerdings als "Oberschule" propagiert wird; also eine zeitweise Mischung (also in einigen Fächern) aus Haupt- und Realschülern. Schon das war problematisch für das Fortkommen der "echten" Realschüler. Nun auch noch geistig Behinderte "einzumischen", ist m.E. eine Bankrotterklärung der "Politik". Wenn geistig Behinderte gute Chancen bekommen sollen, dann braucht das Geld ; und zwar in dem, was man früher Sonderschulen und heute Förderschulen nennt. Wenn man dieses Geld nicht ausgeben will oder kann, dann kommt man halt mit schrägen Ideen.
schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von schorsch
als Antwort auf lalelu vom 01.12.2010, 09:40:11
Ich bin überzeugt davon, dass, müssten die geistigen Urheber dieser Resolution selber Schule geben, sie nicht Solches verlangen würden.

Und: Es käme ja nicht nur auf den guten Willen des Lehrkörpers an, dem Verlangen zu entsprechen. Viele "normale" Kinder und deren Eltern würden opponieren. Die Leidtragenden wären dann die Lernschwachen, die meistens ja auch zu schwach sind, sich zu wehren.

Anzeige

lalelu
lalelu
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von lalelu
loretta, es ist ein riesengroßer Unterschied, ob normal begabte Kinder eine partielle Schwäche haben oder ob ihr Lernvermögen grundsätzlich stark eingeschränkt ist. Eine Sprachbehinderung sagt nichts über die Intelligenz aus, und natürlich soll man solche Kinder auf einer normalen Regelschule fördern! Schön, wenn die Rahmenbedingungen so optimal sind, wie du es geschildert hast und wenn das Ergebnis so erfolgreich ist!

Was aber jetzt umgesetzt werden soll, ist der gemeinsame Unterricht am Gymnasium von begabten mit geistig behinderten Kindern. Das kann in der Tat auf beiden Seiten die soziale Kompetenz fördern. Das ist aber das einzig Positive, was ich darin erkennen kann, denn es ist mir schleierhaft, wie die Kinder wissensmäßig davon profitieren sollen!

Für geistig behinderte Schüler bedeutet gemeinsamer Unterricht mit Gymnasiasten eine Anstrengung, die über ihre Kräfte geht und mehr Frust als Befriedigung bringt und für die begabten Schüler am anderen Ende der Skala bedeutet es mit ziemlicher Sicherheit eine Einschränkung des vermittelten Lehrstoffes, wie Ingo auch schon erwähnt hat.

Ohne eine extrem starke Differenzierung kann gemeinsamer Unterricht überhaupt nicht funktionieren (hat mart1 schon gesagt). Wenn man aber stark differenziert, kann man jedoch streng genommen nicht mehr von einem gemeinsamen Unterricht sprechen.

Dann ist es nichts anderes als Etikettenschwindel, denn es hört sich natürlich viel besser an, wenn Eltern sagen können, ihr Kind besuche das Gymnasium als wenn sie sagen, ihr Kind sei auf einer Förderschule. Dass sich das Kind aber am Gymnasium wahrscheinlich stärker ausgegrenzt fühlt als auf jeder anderen Schule, scheint dabei weniger ins Gewicht zu fallen. Mir tun die Kinder Leid, die auf Schulen gezwungen werden, auf denen sie permanent überfordert sind.

Auch der Einwurf von Schorsch ist nicht von der Hand zu weisen: Sollte aus Kostengründen an der Differenzierung gespart werden, kann man sich leicht den Aufschrei der Eltern von normal begabten Kindern vorstellen.

Mein Fazit: ein unausgegorener Vorstoß von Bürokraten, die die Probleme in der Praxis nicht kennen oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Lalelu
Urego
Urego
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von Urego


Die Titelfrage wird von uns nicht zu lösen sein, weil es keine Lösung im Sinne von "richtig" oder "falsch" gibt.

Das Problem ist Ausdruck des Kampfes zwischen Ideologen und Praktikern. Die Ideologen führen das Recht auf Bildung für alle ins Feld und die Praktiker verweisen auf die Unmachbarkeit des Projektes. Dabei sind die Ausgangspositionen so weit auseinander, daß bei einer Lösung des Problems, woran ich nicht glaube, auf beiden Seiten große Zugeständnisse gemacht werden müssen.

Dabei wäre das Problem so einfach zu lösen: Man muß sich nur eingestehen, daß nicht alle Menschen gleich begabt sind, unverfänglicher ausgedrückt könnte man auch sagen, daß sie unterschiedlich begabt sind. Aber selbst, wenn man sich diese Tatsache eingesteht, tritt schon wieder die nächste Ebene der Vorurteile in den Vordergrund : Gymnasiasten sind theoretisch begabt, Hauptschüler sind praktisch begabt. Das stimmt so nicht. Die Begabungen der Menschen sind so differenziert und vielfältig, wie es Individuen gibt. Vor allen Dingen muß man einsehen, daß der Grad der Begabung von unterschiedlicher Qualität ist.

Bei manchen Schülern kann man noch soviel differenzieren, Förderunterricht erteilen usw., sie kapieren es einfach nicht. Dann muß man sich einfach sein eigenes Versagen eingestehen. Der Grundsatz "Viel hilft viel" gilt hier nicht. Ich hatte einen Schüler, der in der 8. Klasse noch nicht lesen konnte. Ich habe alles, aber auch wirklich alles mit ihm versucht, denn mein Ehrgeiz war erwacht. Er hat es nicht gelernt.

Wenn ich mir den Titel noch einmal ansehe, kann ich nur lachen und sagen: Traumtänzer!

Zu diesem Ergebnis kommt ein ehemaliger Sonderschullehrer, der aus Überzeugung an dieser Schulart unterrichtet hat und dem diese Kinder am Herzen lagen. Wenn das Bildungsniveau an deutschen Schulen noch weiter gesenkt werden soll, dann laßt die Verantwortlichen diesen Weg weiter verfolgen.

Urego
uki
uki
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von uki
Es gibt viele Arten von Förderschulen wie es ebenfalls unterschiedliche Behinderungen gibt. Nicht selten kommen auch Mehrfachbehinderungen bei Kindern vor.

Schon der Name „Förderschule“ sagt aus, dass dort die Kinder gefördert werden. Gefördert im positiven Sinne.
Die Materialien, die Ausbildung der Lehrer, alles ist auf den jeweiligen Schultyp der Förderschule ausgerichtet. Eine normale Grundschule oder weiterführende Schule kann das nicht so leisten. Kinder mit verhältnismäßig leichter Behinderung könnten und werden wohl auch schon heute in normalen Schulen integriert.

Ich kann nur sagen, dass es sich Eltern wirklich sehr genau überlegen sollten, die Möglichkeiten der Förderschulen für ihr Kind nicht anzunehmen.
Auf den Schultyp gut ausgerüstete Schulen, motivierte Lehrer, ein Lernen in angepasster Umgebung u.s.w. können doch nur förderlich sein, die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Kinder voll auszuschöpfen.

Stellt sich heraus, dass dieser oder jener Schüler die Lernfähigkeiten fürs Gymnasium hat, (erreicht durch die spezielle Förderung) kann er nach der mittleren Reife, 10. Schuljahr mit Qualifikation, immer noch wechseln.

Wir sollten aufpassen, dass dieses gute Angebot nicht von Politikern schlecht geredet und abgeschafft wird.

-uki-

Medea
Medea
Mitglied

Re: Geistig behinderte Kinder zum Gymnasium?
geschrieben von Medea
als Antwort auf uki vom 02.12.2010, 13:13:12
Ich habe mich mal durchgelesen und muß jetzt nicht die Argumente wiederholen, die gegen einen gemeinsamen Unterricht von geistig Behinderten mit normal entwickelten Schülern sprechen. Ich hätte diese ebenfalls ins Feld geführt - was aus solchen "Schulversuchen" herausbrät liegt doch auf der Hand, nämlich Unzufriedenheit auf beiden Seiten, - einmal wegen Überforderung und andererseits wegen Unterforderung, der Klassenfrieden wird gestört.

Schule ist doch keine Versuchsanstalt und dennoch wird sie immer wieder dazu gemacht, dieser Wahn ohne Sinn sollte endlich aufhören. Das geht nun bereits Jahrzehnte durch die einzelnen Bundesländer, die Schulhoheit gehört zum Bund, die heutige Praxis kann nur mit "ungenügend" benotet werden.

Medea.


Anzeige