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Aktuelle Themen Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?

Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

RE: Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?
geschrieben von Der-Waldler

Die heutigen Philosophen können zu diesem Thema vermutlich nicht mehr viel beitragen.

Die gegenwärtige Philosophie erschöpft sich zu oft nur noch in Politischer Philosophie (vor allem in USA und Deutschland), in logischen und naturwissenschaftlichen Problemen (weltweit) oder in Analytischer respektive Sprachphilosophie (im angelsächiischen Bereich). Es gibt einige Ethiker, deren Arbeiten aber der Aktualität meistens um Jahre hinterherhinken, aber Philosophen, die zu den aktuellen LEBENSfragen etwas zu sagen haben, sehe ich kaum noch.

Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre wurde durchaus auch über Logik, Sprachanalyse und (De-)Konstruktivismus gelesen und diskutiert, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Aber wir lasen und diskutierten auch Jaspers, der mit seinen Arbeiten zu "Grenzsituationen" (Trauer, Verlust, Schmerz, Sterben, Tod, Unsicherheit) genau die Themen traf, die auch heute noch oder mehr denn je aktuell sind. Wir lasen Heidegger (der damals noch nicht allein als "Naziphilosoph" wahrgenommen wurde, sondern dessen Arbeiten zum Thema "Angst" und "Sorge" tief bewegten) und wir lasen auch den frühen Wittgenstein, welcher der Mystik durchaus einen Platz in seinem durch und durch rationalen Denken gab. Wir lasen den Soziologen und Philosophen Norbert Elias, der ein kleines, aber sehr tief berührendes Buch über die "Einsamkeit des Sterbenden" schrieb, an das ich mich wieder so sehr erinnerte, als ich in diesen Corona-Zeiten Berichte über alte und/oder sterbenskranke Menschen in Heimen und Krankenhäusern las, die tief einsam sterben mussten. Und damals wurde auch Platons Höhlengleichnis diskutiert, das uns auch heute noch viel zu sagen hätte, sofern man es läse!

Leider werden diese Denker heute kaum noch diskutiert, auch nicht an Hochschulen, weswegen ich auch überlege, meinen aktuellen Versuch, an der Fernuni Hagen Philosophie weiter zu studieren, wieder abbreche. Da fahre ich besser, wenn ich im stillen Kämmerlein die Philosophen lese und studiere, die mich wirklich ansprechen, und die mir etwas zu sagen haben. Ich habe ganz und gar nichts gegen Mathematik/Logik und rationales Vorgehen in der Philosophie. Aber diese dürfen sich nicht in der oder gar "als" Philosophie erschöpfen, wie das heute fast an jeder Uni der Fall ist (das ist mein Eindruck).

Manchmal frage ich mich, was die o.g. Philosophen uns heute wohl zu sagen und "zu Corona" beizutragen hätten. Ich glaube, sehr viel, denn "Ungeborgenheit" (wie der christliche Existenzphilosoph Peter Wust es nennt) in Krisen, das war doch nicht nur ein Kernthema der Philosophie, sondern auch manchmal eine schwere Erfahrung in unseren Tagen...

Ich möchte an dieser Stelle das "Philosophie Magazin" empfehlen, das in seiner aktuellen Ausgabe (Heft 5/2020) das Titelthema "Ins Offene. Wie lebe ich mit der Ungewissheit" hat. Es enthält sieben sehr lesenswerte Artikel zum Thema, die ich empfehlen kann.

 

Karl
Karl
Administrator

RE: Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?
geschrieben von Karl
als Antwort auf Der-Waldler vom 26.07.2020, 10:19:44

"Die gegenwärtige Philosophie erschöpft sich zu oft nur noch in Politischer Philosophie (vor allem in USA und Deutschland), in logischen und naturwissenschaftlichen Problemen (weltweit) oder in Analytischer respektive Sprachphilosophie (im angelsächiischen Bereich). Es gibt einige Ethiker, deren Arbeiten aber der Aktualität meistens um Jahre hinterherhinken, aber Philosophen, die zu den aktuellen LEBENSfragen etwas zu sagen haben, sehe ich kaum noch.
... ."
geschrieben von @Der-Waldler



Lieber @Der-Waldler

Philosophie als Lebenshilfe ist m. E. aber immer auch politisch. Deshalb kann ich Deine Kritik der politischen Philosophie nicht so ganz nach vollziehen, vielleicht kannst Du dies noch weiter erläutern.

Ich habe jüngst einiges von Richard David Precht  gelesen. Auch wenn ich ihm in vielen Dingen widersprechen würde, hat mich die Lektüre z. B. auch seines letzten Buches - in Coronazeiten geschrieben - zur künstlichen Intelligenz und der digitalen Revolution sehr angeregt. Diese Problematik gehört m. E. zu den aktuellen Lebensfragen dazu.

Beste Grüße, Karl
Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

RE: Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf Karl vom 26.07.2020, 10:43:02

Lieber Karl,

wenn das so verstanden werden kann, habe ich mich unpräzise ausgedrückt.

Ich kritisiere, dass sich Philosophie immer mehr in den drei Teildisziplinen Politische, Analytische und Sprachphilosophie erschöpft. Selbst die sogenannte "Philosophie des Geistes" wird heute (fast) nur noch hirnphysiologisch verstanden, nicht mehr geisteswissenschaftlich.

All dies gehört selbstverständlich auch zur Philosophie, darf aber die anderen Teildisziplinen wie Phänomenologie, Metaphysik, Existenzphilosophie, (auch mehr und mehr Ethik), Erkenntnistheorie (sofern sie nicht rein evolutionistisch verstanden wird) nicht verdrängen. "Philosophia" bedeutet doch "Liebe zur Weisheit", wird aber immer mehr zur "Liebe zur Wissenschaft".

Nur zur Klarstellung: Ich bin alles andere als ein Wissenschaftsfeind, im Gegenteil, für mich ist die Wissenschaft das mein Weltbild wesentlich Prägende. Aber ähnlich prägend ist auch die Philosophie, und da vermischt sich immer mehr miteinander, was intellektuell sicherlich spannend, aber für den Menschen kaum mehr eine Lebenshilfe, kaum mehr ein Trost, und nichts Hoffnung Gebendes mehr ist.

Liebe Grüsse

DW


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RE: Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Vielleicht interessiert den einen oder den anderen dieser Podcast. 
"Der Tod und wir" Symposium der Salzburger Festspiele

"Wie wir mit der Tatsache umgehen, dass wir sterben werden. Ein Symposium der Salzburger Festspiele zur Verdrängung des Todes in unserer Kultur, die in der Pandemie immer weniger haltbar ist. Eingeleitet von Helga Rabl-Stadler und moderiert von Michael Kerbler sind zu hören: Erich Lehner (Theologe und Sterbebegleiter), Johanna Adorjan (Journalistin, Autorin des Buches „Eine exklusive Liebe“) und Walter Müller (Dramaturg und Trauerredner)"
 

Der-Waldler
Der-Waldler
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RE: Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.08.2020, 11:58:16

Leider führt der Link "nirgendwohin"... Schade, das Thema interessiert mich sehr.

Edita
Edita
Mitglied

RE: Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?
geschrieben von Edita
als Antwort auf Der-Waldler vom 24.08.2020, 12:11:01
Leider führt der Link "nirgendwohin"... Schade, das Thema interessiert mich sehr.
Der Tod und wir

Edita

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Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

RE: Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf Edita vom 24.08.2020, 12:15:46

Danke...!

Edita
Edita
Mitglied

RE: Welche Ansichten können Philosophen zu "corona" beitragen?
geschrieben von Edita
als Antwort auf Der-Waldler vom 24.08.2020, 12:39:51

Bitte!    

Edita     😄

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