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Fernsehen und Film Sehr guter Fernsehfilm über ein autistisches Kind!

luchs35
luchs35
Mitglied

Re: Sehr guter Fernsehfilm über ein autistisches Kind!
geschrieben von luchs35
als Antwort auf Urego vom 05.01.2011, 22:46:57
Urego, hättest du ein autistischer Kind in der Familie, würdest du völlig anders urteilen.

Ich habe mir den Film sehr skeptisch angesehen und kann nur die lobenden Worte der anderen User/Innen unterstreichen.

Du hast keinen blassen Schimmer, was in einer Familie mit einem Asperger-Kind vorgeht, besonders wenn es zu den außerordentlich begabten (mit besten Schulnoten in allen Fächern), fröhlichen, ideenreichen, liebenswerten Strahlekindern gehört, das man aber möglichst nicht berühren darf, das nach sehr engen und strengen eigenen Ritualen lebt, die ersten 4 Lebensjahre keinerlei feste Mahlzeiten einnehmen konnte/wollte, heute nur eine Auswahl von etwa 5 verschiedenen, völlig einseitigen Mahlzeiten zu sich nimmt (aber trotzdem kerngesund mit intaktem Immunsystem ist) , die aber sekundengenau nach einer bestimmten Uhrzeit auf dem Tisch stehen müssen. Jemanden zu grüßen oder sich für irgendetwas bedanken zu sollen/müssen, löst Panikattacken aus oder stundenlanger Rückzug in einen ruhigen Raum aus.

Diagnose nach Jahren der Suche nach der Ursache des Verhaltens: leichte Form des Asperger Syndroms.

Für die Familie heißt das u.a. : nur ganz bestimmte Ferienziele , in denen gewährleistet ist, dass es 3x täglich Schnitzel mit Pommes in einer exakt vorgeschriebenen Form zubereitet oder eine bestimmte Pizza gibt. Klingt zum Lachen, ist aber ein Problem, das einen an den "Rand des Wahnsinns" treiben kann.

Eingehen auf die Rituale, die den ganzen Tagesablauf bestimmen.
Rückzug aus der Öffentlichkeit, um dem Dauervorwurf zu entgehen, das Kind sei unerzogen , die Eltern zum Erziehen unfähig.

Das sind nur kleine Punkte, aber schon sie allein bestimmen das Familienleben.

Im Film wurde eine schwerere Form des Autismus behandelt, und wenn ich mich in die Zeit der 60 Jahre versetze, waren die Vorgänge noch mild geschildert. Inzwischen erkennt man die Symptome rascher, der Leidensweg der Kinder und der Familien wird besser angenommen.

Mit andern Worten: man hat ein Kind, das liebenswerter nicht sein kann, stößt aber außerhalb der Familie auf Mauern und Ausgrenzung.

Der Film hat das ohne Pathos und Schönfärberei sehr gut beschrieben, und die Schauspieler haben das Problem ausgezeichnet umgesetzt.

Luchs
omaria
omaria
Mitglied

Re: Sehr guter Fernsehfilm über eine autistisches Kind!
geschrieben von omaria
Da ich in meinem (vergangenen) Berufsleben mit autistischen Menschen "zu tun" hatte,
habe ich mich für diesen Film (damals auch den Rainman!!!) besonders interessiert!

Der Zweiteiler hat sehr gut die damalige Zeit aufgezeichnet,
ebenso die zögerlichen Veränderungen im Bewusstsein der Mitmenschen!

Die schauspielerischen Leistungen (besonderns auch der Jungen) hat mir imponiert!

luchs35 beschreibt Situationen,
wie sie heute bei Kindern mit dem ASPERGER-Syndrom aussehen!
Die kann ich (aus eigener Erfahrung mit einem Großneffen) bestätigen!

Doch auch heute noch ist es ein "Spießrutenlauf" durch viele Institutionen,
bei vielen Ärzten, Experten und Psychologen,
bis eine (genaue?) Diagnose gestellt ist!
(Kosten werden zum Glück von den Kassen übernommen!)

Eltern eines betroffenen Kindes haben es aber immer noch nicht leicht;
sie bekommen sogar Empfehlungen,
ihr Kind in ein Heim oder eine andere Pflegefamilie "abzugeben",
weil dort mehr Distanz herrsche und keine emotionale Bindung die Entwicklung des Kindes stören würde!!!

Es gibt in diesem Bereich noch viel zu tun!

omaria
Re: Sehr guter Fernsehfilm über ein autistisches Kind!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf luchs35 vom 06.01.2011, 11:15:41
Luchs,

ich kann das, was Du ausführst nur bestätigen.
Sehr schlimm ist es auch, selbst wenn in der Kinderzeit die Hürden bewältigt wurden, aber in der Erwachsenenwelt kein Raum für Verständnis ist.

Dabei ist in der Gesellschaft nicht klar, wie dünn in Bezug auf psychische Erkrankungen die Eisschicht ist, über die wir alle laufen.

Ich bedauere sehr, dass ich diesen Film nicht sehen konnte.
Aber er wird sicher wiederholt werden.
Ich denke, es ist die einzige Möglichkeit eine breitere Masse, als nur die Betroffenen selbst, mit dieser Thematik zu erreichen. Und ein guter Film wird die Menschen ohne Kenntnis der Thematik evtl. besser erreichen, als jede noch so trockene Aufklärung.

Eine solche Rolle zu spielen, dazu gehört sehr viel Einfühlungsvermögen. Karl hatte ja in diesem Zusammenhang bereits auf Rainman hingewiesen.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch an einen anderen Film und ich habe hier einmal den Beginn des Filmes herausgesucht - er zeigt hervorragend die Rituale, die bei einer Zwangserkrankung anfallen.

Meli

Besser geht's nicht


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Urego
Urego
Mitglied

Re: Sehr guter Fernsehfilm über eine autistisches Kind!
geschrieben von Urego


Ich muß gestehen, daß ich fast alle Eure Argumente gelten lassen muß. Das wußte ich aber schon bevor ich meinen Beitrag schrieb. Meine Intention war, einen Kontrapunkt gegen das "überragende, künstlerisch wertvolle und hochgelobte Fimkunstwerk" zu setzen.

Natürlich war der Film gut, aber man sah die Absicht, und zwar durchgängig, die dahinter steckte. Er war informativ, aber auch sehr belehrend und voll von Klischees. Macht das aber einen künstlerischen Film aus? Ich glaube nicht. Ich muß sagen, er war handwerklich gut gemacht, manchmal etwas zu gut.

Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, aber ein Opel-Blitz Lieferwagen war damals schon völlig indiskutabel. Die lange Reihe der Damen in Schwesterntracht bei der Anmeldung hat es so wahrscheinlich nie gegeben. Der Pfarrer war an Negativdarstellung nicht zu überbieten. Natürlich hat es Teufelsaustreibungen gegeben, gerade in Bayern, aber sie waren die große Ausnahme. Als dann die arme unverstandene Mutter noch ins Edelbordell ging, hat es mir gereicht.

Informativ ist der Film und das Anliegen verstehe ich auch, aber das hätte man auch in anderer Form rüberbringen können.

Für Karl noch zum Verständnis meiner "Hurz"- Anspielung: Alle sitzen da und diskutieren in akademischen Sphären den Wert des künstlerischen Vortrages, der keinen hatte.

Urego
Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Sehr guter Fernsehfilm über ein autistisches Kind!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 06.01.2011, 12:10:26
Ich möchte auf das Buch "Die Ausgrenzung" von Anna Mitgutsch hinweisen. Es hat mich tief berührt.

Jakob, ein zartes Kind mit großen blauen Augen, ist anders als andere Kinder. Er hat andere Begabungen und Fähigkeiten als die, die man von einem Kind seines Alters erwartet. Er reagiert nicht, oder anders als erwartet, wenn er angesprochen wird. Die Wörter, die er sagt, formen sich nicht zu Sätzen, sondern werden, wie seine Spiele, zu rhythmisch wiederholten Ritualen, die seiner Mutter Marta wie ein Zeichen für etwas Unbekanntes erscheinen. Er ist zurückgeblieben, verhaltensgestört, sagen die Leute, autistisch, sagen die Fachleute. Seine Mutter, die ihn mit qualvoller Innigkeit liebt, sieht sich von einer verständnislosen, feindseligen Umwelt umgeben. Mit den Schuldzuweisungen, die sich unzählige Male wiederholen, mit dem Versuch, den „Fall“ Jakob durch eine zweifelhafte Diagnose in ein System zu zwingen, beginnt der verhängnisvolle Prozeß der Ausgrenzung, der völligen Isolierung zweier Menschen.
geschrieben von Text übernommen von Mitgutsch Homepage


Karl
Karl
Administrator

Re: Sehr guter Fernsehfilm über ein autistisches Kind!
geschrieben von Karl
als Antwort auf Urego vom 06.01.2011, 12:27:29
Für Karl noch zum Verständnis meiner "Hurz"- Anspielung: Alle sitzen da und diskutieren in akademischen Sphären den Wert des künstlerischen Vortrages, der keinen hatte.
Der gravierende Unterschied ist doch, dass "Hurz" gewollter Nonsense war, der Film über den wir hier diskutieren aber ein reales Problem behandelt. Für mich ist das also keine sinnvolle Assoziation,

Karl

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eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Sehr guter Fernsehfilm über eine autistisches Kind!
geschrieben von eleonore
als Antwort auf Urego vom 06.01.2011, 12:27:29


Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, aber ein Opel-Blitz Lieferwagen war damals schon völlig indiskutabel. Die lange Reihe der Damen in Schwesterntracht bei der Anmeldung hat es so wahrscheinlich nie gegeben. Der Pfarrer war an Negativdarstellung nicht zu überbieten. Natürlich hat es Teufelsaustreibungen gegeben, gerade in Bayern, aber sie waren die große Ausnahme. Urego



Aschaffenburg - Im Namen des dreifaltigen Gottes und der allerseligsten Jungfrau Maria, sag die Wahrheit! … Sag mir die Namen! Ich, der Judas, der Neo, der Kain und der Hitler …“, schreit Anneliese Michel, als sie ihr Exorzist befragt.

Papst Benedikt XVI. hat erst vor kurzem dazu aufgerufen, mehr Exorzisten auszubilden. In Italien wurden dazu 2003 rund 200 Priester bestellt, in Deutschland wünscht sich der Heilige Vater zumindest für jedes Bistum einen. Aber die Bischöfe zögern, zumindest offiziell: Ein Exorzist erklärte Wegner, warum: „Die Bischöfe haben Angst, zu dem zu stehen, was Jesus in den Evangelien von Christen erwartet, den Teufel zu verjagen. Viele von ihnen glauben nicht mehr an den Teufel. „Dabei, sagt der Freisinger Exorzismus-Experte Pater Jörg Müller (65), „muss es, wenn es einen Segen gibt, doch auch einen Fluch geben.“ Seine Angst: „Immer mehr Menschen suchen Hilfe bei Wunderheilern. Dabei kann ihnen nur die Kirche helfen.“
geschrieben von Exorzismus in Bayern: Die verschwiegene Wahrheit/ tz online


diese artikel ist zwar aus 2008, aber ich denke, viel hat sich nicht geändert.
der papst hält an ausbildung von exorzisten nach wie vor fest.

anneliese michel wurde so gründlich exorciert, dass sie 1976 starb.

Anneliese Michel (* 21. September 1952 in Leiblfing; † 1. Juli 1976 in Klingenberg am Main) war eine deutsche Katholikin, die an den Folgen extremer Unterernährung starb. Große Aufmerksamkeit erregte der Todesfall, weil in den Monaten vor ihrem Tod zwei katholische Priester mehrfach den Großen Exorzismus an ihr vollzogen hatten.

>Anneliese Michel

olga64
olga64
Mitglied

Re: Sehr guter Fernsehfilm über eine autistisches Kind!
geschrieben von olga64
als Antwort auf Karl vom 05.01.2011, 17:28:55
Ja Karl, ich musste auch oft an Rainman denken. Dort ist allerdings das Verhältnis der beiden Brüder wichtig - hier waren es ja hauptsächlich Mutter und Sohn und auch Vater und Sohn imd tiefsten, sehr bigotten Bayern. Was mich auch nachdenklich stimmte: wie viel Kraft und Engagement Eltern (in diesem Falle die Löwinnen-Mutter) aufwandten, um ihre familiären Probleme trotz härtester Widerstände von allen Seiten zu lösen. Irgendjemanden trifft man auf diesem harten Wege immer, der hilft (z.B. der Arzt). Wird heute zu früh "nach dem Staat" gerufen, bzw. zu oft solche Dinge bei RTL breitgetreten mit sehr unsicherem Ausgang? Und natürlich auch in Internet-Foren? Das alles stimmt mich nachdenklich bis heute.Olga

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