Ich bin nicht gläubig


Was war es, was mich heutenacht wach hielt?? Warum fand ich nicht gleich Schlaf – bis halbdrei habe ich am PC eine Sammlung von Bildern zu Picasa geschaufelt – hielt mir die Ohren zu, drückte mir die Decke ins Gesicht – kein Mittel half – warum fand ich mühsam in den Schlaf ???

Kurz vor halbacht warf ich den Computer wieder an – es war Zeit zum Wecken, rüber nach Johannisthal. Da klingelte das Telefon, also sollte ich heute den Weckruf empfangen?!

Aber nein, eine heisere Stimme am anderen Ende der Verbindung „Anonymus“. Meine Tochter Evi war am anderen Ende. Ihre Stimme musste heiser sein nach dieser Nacht.

Greta, meine erste Ehefrau, die Mutter unserer drei Kinder, Evi, Berle und Uli, ist heimgegangen. Nach reichlichen Anläufen hat sie das Einschlafen endlich geschafft.

Wie gut, dass die Kinder in den letzten Tagen immer in ihrer Nähe waren. Und ich? War es nicht immer so, dass ich in kritischen Situationen immer weit weg war, nicht gleich da sein konnte?

Das fing doch schon an, bevor ich Greta in Baden-Oos kennen lernen durfte: da hatte Greta kurz zuvor ihr erstes Kindchen zur Adoption freigegeben, es war mit den neuen Eltern bereits nach Amerika abgefahren. Greta bestand darauf, die Eltern kennen zu lernen, obwohl das nicht zugelassen wurde, sie schaffte es.

Warum hat Greta als „Hausschwangere“ in Karlsruhe das Kind abgegeben? War da niemand der Familie als Beistand da? Greta war alleine, wirklich alleine. Bei Nacht und Nebel ist sie vor 1956 von Salzwedel zu Fuß – als Nichtschwimmer durch die Jeetzel – in den „Westen“ ausgewandert. Sie ließ die leibliche Mutter in Salzwedel und Vater und dessen Frau – die Schwester der Mutter – in Henningen bei Salzwedel zurück.

Und dann musste der Vater nach Berlin in den Westen fliehen, weil er doch, obwohl verboten, wieder mit Vieh gehandelt hat und damit gegen ostzonale Gesetze verstieß. Seine Frau kam später nach, man lebte möbliert als Flüchtlinge in Neukölln.

Greta verdingte sich als Haushaltshilfe in Nordrhein-Westfalen und später in Baden-Baden. Sie lernte jemanden kennen. Sie wurde schwanger von dem verheirateten Mann. Ihre Arbeitsstelle musste sie aufgeben und kam so ins Krankenhaus nach Karlsruhe: Arbeiten, Wohnen usw. So kam ein Mädelchen zur Welt.

Ich kam also zu spät. Ich fuhr zu den neuen Großeltern nach Wiesloch-Walldorf und durfte Greta dann Authentisches berichten – war da vielleicht auch ein Bildchen mitgegangen? Von Debby – so heißt das Mädel, die Frau, die heute auch schon sechsundfünfzig Jahre alt ist.

Und Greta hat das Mädel hier in Deutschland wiedersehen dürfen. Debby hat die leibliche Mutter besucht.

Zu Weihnachten 1956 kam Gretas leibliche Mutter aus Salzwedel (damals noch Sowjetisch besetzte Zone) zu Besuch. Wir organisierten und finanzierten mit unserem geringen Einkommen die Reisen. Wir feierten gemeinsam ein bescheidenes Weihnachtsfest.

Wir, Greta und ich haben zu Gretas 23. Geburtstag, den 4.Mai 1957, in Baden-Baden geheiratet, standesamtlich und kirchlich. Mutter Küstermann und andere Bekannte richteten uns Beiden eine bescheidene und doch muntere Feier aus – aus Bonn kam eine Postanweisung (das Fahrgeld, das meine Eltern gebraucht hätten, um zu kommen).

Kurz darauf packten wir unsere Siebensachen und siedelten nach Villingen im Schwarzwald um – Beide hatten wir bei SABA eine Arbeit gefunden. Wir waren fröhlicher Dinge, gingen werktags an unsere Arbeitsplätze und radelten an den Wochenenden mit unseren neu erstandenen Rädern.

Per Anhalter fuhren wir nach Bonn. Greta sollte doch endlich meine Eltern kennen lernen. Als wir an den Rhein kamen, setzten wir die Reise auf der „Goethe“ fort. Per Anhalter ging es dann auch wieder zurück nach Villingen.
Da meldete sich 1958 unser erstes gemeinsames Kind an. Nun wurde es wirklich Zeit von dem möblierten Zimmer in eine eigene Wohnung umzuziehen. Eine Dienstwohnung – bei SABA nicht zu haben, also wechselte ich zu Kienzle Apparate, zurück in meinen Job als Kundendiensttechniker für Buchungsmaschinen. Und wir bekamen ein Appartement, 1 Zimmer, Kochnische, Bad/WC.

Und dann kam unser Evchen zu Hause an. Drei Tage nach meinem Geburtstag setzten die Wehen ein. Greta dirigierte den Ablauf, ich musste das eben alles ausführen. Dann waren Hebamme und Arzt zur Stelle. Ich muss bei Gretas Presswehen ihren Kopf ganz fürchterlich gedrückt haben. Gegen acht Uhr abends lag ein Mädelchen auf der ausgezogenen Bettcouch. Erst blieb es bei der Mutter, dann zog es gewaschen und frisch eingekleidet in das Paidy-Bettchen um.

Nun war es an der Zeit den Opa aus Berlin einmal einzuladen. Und er kam. Er war selig, das Bündel in den Schoß betten zu dürfen. Der Opa Peters war krank: beim Einmarsch der Amerikaner und Briten 1945 war der gepachtete Hof in Hennigen abgebrannt. Er hatte sich eine arge Rauchvergiftung zugezogen. Und jetzt tat das Rauchen ein Übriges. Er wurde zusehends schwächer, ich konnte ihn auch mit Nachdruck nicht zum Spazierengehen bringen.

Der Opa starb in meinen Armen. Ich war erschüttert. Ich machte mir Vorwürfe. Dazu kam, dass Greta mich in ihrem Schmerz einen Mörder schollt. Erst der Arzt, der den Totenschein ausstelle, gab uns zu verstehen, dass gegen den Krebs nichts mehr zu machen gewesen war. Ich habe vergessen, wie alt er wurde.

Jetzt musste doch Emmy Peters, seine Frau aus Berlin herkommen. Und wir hatten kein Geld für Reise und Beerdigung. Mutig ging ich zum Sozialamt und holte einen Vorschuss – wir hatten ja noch keine eigenen Bankkonten, auf die unsere Einkommen fließen konnten.

Emmi Peters siedelte zu uns – 1 Zimmer, Kochnische, Bad. Wir hausten zu viert in den paar Quadratmetern. Eine Verbesserung des Ganzen war nicht in Sicht.
Ich ging nach Donaueschingen zum Kreiswehrersatzamt und bewarb mich als Freiwilliger bei der Bundeswehr. Und man nahm mich nach der Überprüfung in München-Freimann an. Ich dachte an Funker, ich kam zur Radartechnik. Am 4.Oktober 1959 – altermäßig auf den letzten Drücker – brachten Greta und Tochter Evchen mich zum Bahnhof. Ich (Weißer Jahrgang) zog zur Grundausbildung in Fürstenfeldbruck ein.

Ein Vierteljahr dauerte diese Ausbildung. Dann zog der gesamte Lehrgang rüber nach Kaufbeuren. Endlich Urlaub, Familienheimfahrt – zurück nach Villingen. In die Enge, weniger Platz als in der Achtmannstube in den Kasernen.
Mehr als ein halbes Jahr lief der Lehrgang – selten eine Familienheimfahrt, kostete die doch immer noch Geld. Greta war schwanger – kaum dass wir in der Enge für Liebe etwas Platz und Zweisamkeit hatten.

Am 22.September 1960 verhaute ich einen Test im Unterricht. Mir war sehr daran gelegen, die Lehrgänge schnellstens abzuschließen, damit ich eine Stammeinheit bekam und damit auch Anspruch auf eine Wohnung.

Abends kam beim U.v.D. eine Nachricht für mich an: „Mutter und Tochter wohlauf!“ Und ich konnte nicht weg von Kaufbeuren. Ich ging mit einem Kameraden hinunter in die Stadt und wir Beide feierten meine neue Vaterschaft – nur zu zweit. Vierzehn Tage später war der Lehrgang zu Ende. Ich kam nach Lechfeld-Nord. Dort nahm ich sofort Urlaub, kam endlich mit erreichtem Teilziel bei Mutter, Oma und den beiden Mädchen an. Und ein Vierteljahr später feierten wir das letzte Weihnachtsfest in Villingen.

Von Villingen fuhr ich zum Unteroffizierslehrgang nach Köln-Porz-Wahn. Mittendrin rief man von Lechfeld an, ich müsse die zugeteilte Wohnung sofort annehmen. Direkt vom Dienst als U.v.D. bekam ich frei. Ich hatte keine Zeit zum Umziehen. Man fuhr mich rüber nach Bonn, wo ich den Nachtzug nach Konstanz, also nach Villingen, besteigen konnte.

Am Morgen kam ich zu Hause an. Greta war bereits zur Arbeit in der SABA. Ich marschierte zur SABA ins Personalbüro und kündigte Gretas Arbeitsverhältnis – man protestierte, doch ich ließ nicht locker, nahm meine Greta mit nach Hause. Dann erst wechselte ich in Zivilkleidung um.

Da wir schon wussten, dass ein Umzug in Bälde anstand, war auch eine Spedition ausgeguckt (man musste drei Angebote reinholen). Die Zeit drängte. Es klappte mit der Spedition. Ich brachte die Familie zur Bahn – sie wurde in Augsburg von meiner Schwester Eleonore in Empfang genommen.

Unser Hausrat war eine Teilladung. Ich fuhr mit dem Lastzug mit. Am Abend kamen wir in Königsbrunn an. Ich ließ mir eine Matratze herausgeben, mit der ich mir eine Schlafstatt in der neuen Wohnung richtete. Dann fuhr ich mit dem Bus nach Augsburg. Die Familie war untergebracht. Dann konnte ich mit dem letzten Bus zurück nach Königsbrunn fahren.

Am nächsten Morgen wurde ich von den Ziehleuten geweckt. Das Entladen ging flott voran. Dann kamen Eleonore und Schwager Klaus mit der Familie von Augsburg herüber. Sie kümmerten sich um Greta und die Familie. Schnell noch eine Couch für Oma Peters gekauft. Dann musste ich zurück nach Köln zum Lehrgang.

Der Lehrgang war bestanden. Ich hatte meine Stammdienststelle, wir hatten eine Wohnung – Möbel fehlten noch – und wir hatten einen positiven Blick in die Zukunft. Wir konnten eine Familie sein.

Noch steht die Beisetzung von Gretas Urne nicht fest. Ich will ihr eine letzte Ehre erweisen. Denn auch nach unserer Trennung hatten wir uns gedanklich immer noch lieb. Ich will ihr noch einmal deutlich sagen, dass ich sie nicht aus Mitleid geheiratet hatte.
ortwin

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Kommentare (3)

indeed Glauben tut wohl jeder, fragt sich nur in welcher Situation und woran.
Es hat aber nichts damit zu tun, weil man einem Menschen huldigt, mit dem man eine gewisse eigene Lebenszeit verbracht hat. Ich finde diese Erinnerung sehr schön geschrieben und nebenbei ist es gleichzeitig ein Stückchen Zeitgeschichte geworden, die hier aus deinem Blog hervor geht. Die ersten Anfänge nach dem Krieg irgendwie wieder Fuß zu fassen und der Start von jungen Familien fanden unter ganz anderen und sehr viel bescheideneren Verhältnissen statt, als sich die heutige Jugend vorstellen kann. Ich finde es nicht verkehrt, wenn man dieses einbringt.
Ich muss gestehen, mich hat dein Blog so gefesselt, dass ich mein Essen habe anbrennen lassen, lach. Dann gab es eben einen Döner.
™ir danke ich sehr für deinen Blog.
Ein lieber Gruß
indeed
Traute Das Wort Gläubig ist nicht gepachtet, wir sind alle gläubig, nur woran wir glauben, da gibt es Unterschiede.
Ja so ist es gewesen. In der schweren Nachkriegszeit. Auch noch eine Weile danach.
Es ist schön es sich vom Herzen zu reden und hier ist es auch gut angekommen. Wir haben alle ein Päckchen zu tragen und Deines hat sich noch ein mal leise gemeldet.
Meine erste Liebe ist im Juli gestorben. Ich habe auch kondoliert und den herzlichen Dank von der Frau und seinen drei Kindern empfangen.
Sie fanden meine Bücher gut, die auch sie gelesen haben und ihren Vater und mich beschrieben fanden. So ist das Leben und ein paar Überraschungen schaffen es noch uns tief an zu rühren.
Mit ganz freundlichen Grüßen,
Traute
Traute2012(Traute)
marianne darüber zu schreiben?!
Ich hoffe es für dich.

Dich grüßt Marianne

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