Internationale Politik Entsetzen in Norwegen

Mitglied_bed8151
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von ehemaliges Mitglied
gerade wird versucht, den attentäter als einen einzelnen wahnsinnigen erscheinen zu lassen. als einen zeitlosen. als einen unerklärlichen. manche tun so, als sei die tat eine tat eines mannes aus dem 'nichts' (wie sich ein polizist ausdrückte). sicher, es war die tat eines wahnsinnigen. aber es gibt viele wahnsinnige in dem milieu, in dem anders behring breivik sich bewegte.

rechtsradikalismus - der normal gewordene wahn

dieses milieu gilt es zu benennen. es ist ein rechtsradikales milieu. es ist verbreitet in ganz europa. rechtsradikale sitzen in vielen parlamenten. auch in norwegens parlament sitzen sie. 2009 holten sie über 22 prozent der stimmen. - stichwort: Fremskrittspartiet

der rechtsradikalismus speist sich aus den ängsten in der mitte und ist bis in die mitte hinein salonfähig geworden. jeder rechtsradikalismus und jeder rechtsradikale braucht einen feind. früher waren es die juden. heute sind es die muslime. das muslime-bashing ist programm (nicht nur bei rechtsradikalen). hinz + kunz fahren darauf ab.

auf diesem nährboden gedeihen wahnsinnige täter und ihre taten.

--
Wolfgang
Mitglied_5ccaf87
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf pippa vom 25.07.2011, 19:50:10
Bevor ihr hier weiter diskutiert, möchtet ihr euch bitten mit diesen Beiträgen im vollem Umfang bekannt machen:
Norwegen und das Medien-Massaker: "Ein Täter darf nicht abgebildet werden"[/url] schreibt der Chefredakteur eines kleinen Blogs der PR-Branche und hat damit ausnahmsweise mal recht.

Auch Charlie Brooker widmet sich der Berichterstattung zum Anschlag. Er erklärt, warum er den Täter nicht beim Namen nennt. http://www.guardian.co.uk. In der Übersetzung des zweiten Absatzes lesen wir:
Vermutlich wollte er einen Namen für sich selbst machen, der ist, warum ich ihn nicht identifizieren werde. Sein Name verdient, vergessen zu werden. Verworfen. Gelöscht. Etiketten wie 'Wahnsinniger', 'Ungeheuer', oder 'Wahnsinniger' werden auch nicht tun. Es gibt eine perverse Verherrlichung in Fristen wie das. Wenn das Gehen der Medien, ihn irgendetwas zu nennen, es ihn erbärmlich nennen sollte; nichts.

Stefan Niggemeier beschäftigt in seiner FAZ-Kolumne mit einem damit zusammenhängenden Thema: Elmar Theveßen und der "saubere Journalismus" der Terrorismusexperten und spricht damit offen aus, welche erbärmliche Rolle die sg. Terror-Experten in diesem Szenario gespielt haben. Zu einem Zeitpunkt, als schon längst der Täter überwältigt und festgenommen war, lasen deutsche Experten noch immer im Kaffeesatz und spekulierten [u]so lange es nur irgendwie ging
über die Tat von Islamisten, statt sauber zu verkünden, das sie erst einmal die offizielle Stellungnahmen der norwegischen Behörden hören und lesen wollen.

Prompt hakten die deutschen Politiker ins Thema ein und verlangten erneut auf der Stelle die Datenvorratsspeicherung heise.de: Mit Vorratsdatenspeicherung und "Auffälligen"-Datei gegen den Terror

Es gibt aber auch eine positive Tendenz:
ZDF-Netzschau: Mitgefühl für Norwegen Ich habe mich an die virtuelle Menschenkette der mehr als 400.000 Menschen angereiht. Das gehört zur Pflicht eines jeden anständigen Weltbürgers. Siehe auch: tagesspiegel.de: Virtuelle Menschenkette für Opfer von Oslo und Utoeya

luchs35
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von luchs35
Ist es nicht eine Ironie, dass ausgerechnet einem Angehörigen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei die Pflicht-Verteidigung als Anwalt aufgebrummt wird? Sein in Isolationshaft einsitzender Klient hat davon keine Ahnung, wie Anwalt Geir Lippstädt an einer Pressekonferenz sagte. Kann ein Anwalt überhaupt einen Klienten verteidigen, der seine Tat gegen diese Partei richtete und somit gegen die Gesinnung seines Rechtbeistandes? Lippstädt sieht ihn als *verückt* an und wird wohl in diese Richtung plädieren.

Damit ich nicht missverstanden werde: von mir aus kann Brevik irgendwo vermodern, aber wenn auf Demokratie so viel Wert gelegt wird, wie die Norweger es tun, müssen auch klare Richtlinien vorgegeben sein.

Inzwischen weisen die großen christlichen Kirchen zurück, dass dieser Massenmörder aus religiösen Gründen getötet hat. Und nun stellt sich zudem heraus, dass dass Breivik jahrelang mit wilden Thesen versuchte, die protestantischen Kirchen in Norwegen "katholich" zu machen, weil er "dem Papst nicht mehr zutraue, dies zu schaffen."

Mit seinen wirren Theorien trieb er sich privat selbst immer mehr ins Abseits, bis er schließlich bei Sekten und Rechtsgerichteten landete. Kaum jemand maß wohl Ernsthaftigkeit seinen kruden Gedanken bei. Wem vielleicht dabei doch mehr auffiel, wird heute schweigen, um sich nicht in diesem Zusammenhang an die Seite des Täters stellen lassen zu müssen, zumal dieser sonst nicht weiter auffiel.

Ich fürchte, wir machen es uns zu einfach, Breivik einfach in die rechtsnationale Schublade zu schieben und abzuschließen. Er hat dort Gleichgesinnte gesucht, sicher auch gefunden. Aber der Nährboden für seine Gedankenwelt war diese Ecke kaum allein.

Luchs


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adam
adam
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von adam
als Antwort auf luchs35 vom 27.07.2011, 15:13:01

Luchs,

Du sprichst eine mögliche Befangenheit des Anwaltes an? Das ist sicher möglich, wobei die Beweislage aber so klar erscheint, daß der Anwalt die Aussichten seines Kienten kaum noch verschlechtern könnte. Ich weiß nicht, was die norwegische Justiz dazu sagt.

Es ist in der Rechtsprechung wohl auch einmalig, daß sich vor Prozeß und Urteil darum bemüht wird, eine härtere Strafe möglich zu machen als im Staat vorgesehen. Der Täter ist bereits schuldig gesprochen, auch das ist bedenklich, vom Procedere her gesehen.

Interessant ist die Reaktion der Kirchen, die Du beschreibst. Ihr zentrales Gefüge macht es ihnen möglich, eine religiöse Begründung der Tat allgemeingültig zurückzuweisen. Das ist z.B. im Islam nicht möglich und trägt sicher zu unterschiedlichen Betrachtungsweisen, innerhalb des Glaubens und somit auch von außen her, bei.

--

adam


olga64
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von olga64
als Antwort auf luchs35 vom 27.07.2011, 15:13:01
Wir sollten nicht mal wieder in der freien Diskussion den Fehler machen, Schritte eines anderen Landes zu kritisieren (beeinflussen können wir sie sowieso nicht), bzw. juristische Prozedere oder Termini zu beanstanden - dazu fehlt uns allen einfach die Fachkompetenz.
In der Südd. Zeitung sind derzeit interessante und emotionslose Artikel über diesen dramatischen Amoklauf. Ich glaube auch, dass das Böse in jedem Menschen angelegt ist - gottlob kommt es bei den wenigsten in dieser brutalen Form heraus. Dies hängt mit der Sozialisation des Einzelnen, seines Umfeldes und seinen bisherigen ERfahrungen mit Gewalt zusammen; auch dokumentieren Amokläufe in den meisten Fällen die Gier nach Macht.
Bei Massenmorden (was dieser Amoklauf ja nicht war) ist auch immer wieder interessant, zu erfahren,dass es grossenteils ganz normale Familienväter waren, die Zig-Tausende von Menschen grausam hinrichten - am Abend kehren sie dann als liebende Väter und Ehemänner in ihre Familien zurück. Dies ar im Vietnam-Krieg so, in der Nazizeit, Ruanda u.v.m.
Beobachter wie wir hätten natürlich gerne eine einfache Erklärung, z.B. mad or bad. Aber leider ist es nicht so - es ist viel komplizierter. Olga
schorsch
schorsch
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von schorsch
als Antwort auf luchs35 vom 25.07.2011, 22:43:36
Das christliche Rechtsverständnis dieses Massenmörders ist im Alten Testament und bei den Kreuzrittern stecken geblieben!

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hafel
hafel
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von hafel
Zum Glück ist der Ruf nach mehr Überwachung, strengeren Kontrollen und härterem Durchgreifen in Norwegen ausgeblieben. Einerseits weil sich die Erkenntnis sehr schnell durchgesetzt hat, dass auch noch so strenge Regeln bei einem Attentäter vom Typ Breivik nichts, aber auch gar nichts, genützt hätte. Andererseits aber auch deshalb, weil den Norwegern die offene Gesellschaft ein hohes Gut ist, dessen Wert nur sie selber kennen. In dieser Offenheit liegt auch nichts Naives. Der König ging bisher ohne großen "Geleitschutz" in der Stadt einkaufen.

Diese Zeiten werden sich leider ändern. Es wäre aber zu wünschen, dass der "Nahkontakt" zwischen Volk und Volksvertreter nicht all zu sehr eingeschränkt wird.

hafel
luchs35
luchs35
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von luchs35
als Antwort auf adam vom 27.07.2011, 15:44:11
Es ist in der Rechtsprechung wohl auch einmalig, daß sich vor Prozeß und Urteil darum bemüht wird, eine härtere Strafe möglich zu machen als im Staat vorgesehen. Der Täter ist bereits schuldig gesprochen, auch das ist bedenklich, vom Procedere her gesehen.
geschrieben von Adam:


Diese Überlegungen kommen sicher von der Diskussion über die Form der Anklage : Mord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Für Mord sind in der norwegischen Verfassung 21 Jahre möglich, im andern Fall 30 Jahre. Allerdings kommt bei beiden Verurteilungen der Täter nicht automatisch frei, hier sieht das Recht auch eine Sicherheitsverwahrung vor.
Doch haben sich auch Rechtswissenschaftler dagegen ausgesprochen, dass der Anwalt des Täters vorab negative Details über seinen Mandanten öffentlich preis gibt. Das widerspricht der Ethik dieses Berufes.

Olga, ich hatte nicht vor, das Rechtssystem in Norwegen zu kritisieren. Das ist die Sache eines jeden Landes. Es ist auch bemerkenswert, dass in Norwegen es nur ganz wenige Stimmen gibt, die nach der Einführung der Todesstrafe rufen. Das kleine Land möchte sich seine Auffassung von einem demokratischen Rechtstaat keinesfalls kaputt machen lassen.

Luchs

olga64
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von olga64
als Antwort auf luchs35 vom 27.07.2011, 16:25:54
Nein, nein ich habe wirklich nicht Sie gemeint - dafür schreiben Sie ja wirklich viel zu vernünftige, gut lesenswerte Berichte, über die ich auch viel nachdenke. Danke dafür!
Das Schlimmste, was jetzt in Norwegen passieren könnte, wäre die psychologische Feststellung, dass der mutmassliche Amokläufer geistig beeinträchtigt ist. Dann könnte er - wie in Rechtsstaaten üblich - nicht für seine Taten verantwortlich gemacht werden, sondern müsste "nur" in der Psychiatrie seine Zukunft ausleben. Wie dann dieses liberale und noch friedliche Volk reagieren würde, wage ich mir nicht vorzustellen.
Gestern stand in der SZ auch ein Bericht über seinen Vater, der als ehemaliger Diplomat mit seiner 2. Ehefrau in Frankreich lebt. Der Vater verliess die Mutter des mutmasslichen Täters, als dieser 1 Jahr alt war. Der Kontakt zwischen Vater und Sohn scheint schon vor vielen Jahren abgebrochen worden zu sein. Der Vater meinte, er hätte sich den Tod seines Sohnes gewünscht. Auch dies ist, glaube ich, psychologisch gut zu erklären: damit wäre auch der Vater das Problem los und müsste sich seinerzeit keine Gedanken an seiner Mitschuld machen, was den Sohn anbetrifft. Olga
Mitglied_bed8151
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Re: Entsetzen in Norwegen
geschrieben von ehemaliges Mitglied
anders behring breivik, der den islam und muslime hassende rechtsradikale attentäter, war einst mitglied der rechtsradikalen fremskrittspartiet (deutsch: fortschrittspartei). vor allem per hetze gegen den islam gelang es dieser partei, zur zweitstärksten politischen kraft norwegens aufzusteigen. bei der letzten wahl 2009 gelang es ihr, 22,9 prozent (41 sitze) zu holen.

fremdenfeindlichkeit - nährboden für gewalt

die leute von der fortschrittspartei hetzen seit langem gegen fremde kulturen und religionen. multikulti ist ihnen ein greuel. bernd henningsen vom nordeuropa-institut der humboldt-universität in berlin sagt (lt. SPON, 28.07.2011): "Die Argumente und Parteiprogramme der Fortschrittspartei sind - positiv gesagt - sehr nah am gesunden Menschenverstand. Oder negativ ausgedrückt: sehr nah daran, was der Stammtisch sagt und denkt."

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Wolfgang

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